Anfang Februar beschieden drei Herren in einer geschlossenen Sitzung in Den Haag der Regierung von Ecuador, sie möge doch besser ihre Justiz außer Kraft setzen, wenn sie nicht Gefahr laufen wolle, saftige Bußen an den US-Ölkonzern Chevron zu zahlen. Der war zwar im vergangenen Jahr in Ecuador zu 18 Milliarden US-Dollar Schadenersatz für eine von ihm verursachte Ölpest im Amazonasgebiet verurteilt worden. Da der Konzern jedoch alles Eigentum außer Landes geschafft hat, suchen die Geschädigten – der Staat und Gemeinden – die Forderungen in Nachbarländern und in den USA einzutreiben. Dagegen wiederum hat Chevron ein internationales Schiedsverfahren nach dem Investitionsvertrag zwischen Ecuador und den USA eingeleitet.
Solche Schiedsverfahren, wie sie nun auch die EU in Handelsverträgen verankern will, haben es in sich: Sie öffnen eine Einbahnstraße für Firmen, die unter Umgehung des üblichen Rechtswegs gegen Staaten klagen wollen. Umgekehrt können Regierungen mit derlei Verfahren aber nicht auswärtige Firmen belangen, die eventuell Schaden angerichtet haben. Seit den 1980er Jahren ist die Zahl der bilateralen Investitionsschutzverträge, die solche Verfahren zulassen, geradezu explodiert – und ebenso die Zahl der darauf gegründeten Klagen: 1991 gab es 24 Schiedsverfahren, 1996 waren es bereits 38, und 2011 wurden 450 registriert. Politisch begründet werden die Verträge mit dem Schutz von Investoren vor Enteignungen. Das schaffe Rechtssicherheit und diene damit dem globalen Wirtschaftswachstum, antwortete EU-Handelskommissar Karel De Gucht im Februar auf Anfragen des EU-Parlaments.
Vor allem aber nutzen solche Verfahren einer Handvoll internationaler Anwaltskontore, die sich auf die Schiedsgerichtsbarkeit spezialisiert haben. Deren Experten sitzen für horrende Honorare mal für die Kläger, mal für beklagte Staaten oder als vermeintlich neutrale dritte Partei in den Schiedsgerichten. Das Amsterdamer Transnational Institute (TNI) legte interessierten EU-Parlamentariern auf einer Tagung Ende Februar Material dazu vor. Laut der von Misereor mitfinanzierten Studie schätzen Branchenkenner die Einnahmen dieser Büros auf gut vier Fünftel der Gesamtkosten solcher Verfahren; die OECD veranschlagt die durchschnittlichen Kosten solcher Fälle auf gut sechs Millionen Euro. Einzelne, spektakuläre Verfahren sind allerdings deutlich teurer: Rund 43 Millionen Euro musste die Regierung der Philippinen bisher für den seit zehn Jahren laufenden Streit mit der Frankfurter Flughafen-Gesellschaft FRAPORT um den Bau des Flughafens Manila berappen – laut der TNI-Studie so viel wie für ein ganzes Jahr Gehälter für 12.500 Lehrer.
Kleine und schwache Länder sind immer die Verlierer
Gerade einmal 20 Anwaltsbüros beherrschen das Feld, auf dem es um gewaltige Summen geht: In 151 der 450 Schiedsverfahren 2011 wurde Schadensersatz von mehr als 75 Millionen Euro verlangt. Der britische Konzern Churchill Mining hat Indonesien gar auf 1,6 Milliarden Euro verklagt, weil die Regierung eine Konzession für den Kohleabbau auf Borneo annulliert hatte, nachdem sich vor indonesischen Gerichten die Genehmigung als gefälscht erwiesen hatte. Der kanadische Bergbaukonzern Pacific Rim will von El Salvador den Gegenwert von einem Prozent des gesamten Volkseinkommens, weil die Regierung die Konzession für eine Goldmine zurückgezogen hat. Laut der TNI-Studie werden 42 Prozent der Klagen von großen multinationalen Konzernen gegen Länder außerhalb der OECD angezettelt.
Längst dienen diese Verfahren nicht mehr dem Schutz von Investoren vor ungerechtfertigten Enteignungen. Die astronomischen Verfahrenskosten versetzen kleine und verwaltungsschwache Länder grundsätzlich in die Position der Verlierer. Bolivien, das nach dem Versagen des privatisierten Telefons den Dienst wieder verstaatlicht hatte, musste 100 Millionen US-Dollar an die Telecom Italia erstatten, weil es sich das Land nicht leisten konnte, das Verfahren weiterzuverfolgen.
Mittlerweile spannt sich laut der UN-Handelsorganisation UNCTAD ein Netz von 3000 zwischenstaatlichen Investitionsschutzverträgen um den Globus, 1200 entfallen auf die EU-Staaten. Brüssel verhandelt derzeit mehrere Freihandelsabkommen, die Investitionsschutz und internationale Schiedsgerichtsbarkeit für die EU insgesamt und für alle ihre Mitglieder vorsehen: Ein Vertrag mit Kanada steht kurz vor dem Abschluss, Verhandlungen mit Singapur und Indien laufen, Gespräche mit Marokko begannen Anfang März und sollen zum Muster für Abkommen mit allen Nachbarstaaten im Süden des Mittelmeers werden.
Wer in der EU im Streitfall zahlen muss, ist nicht klar
Die EU will damit vor allem die EU-Investoren im Ausland schützen. Doch da die Schiedsgerichtsbarkeit gegenseitig ist, stellt sich die Frage, wer zahlt, wenn Firmen aus den Vertragsstaaten die EU oder ihre Mitgliedsaaten verklagen. Eine im Februar von der Kommission vorgelegte EU-Regelung soll das klären: Sie sieht eine komplizierte Prozedur in Streitfällen vor, in denen die „finanzielle Verantwortlichkeit“ zwischen EU und einzelnen Mitgliedstaaten nicht klar ist – wie maßgeschneidert für die Spezialisten des exklusiven Klubs der Schiedsrichterindustrie. Zwar hat die TNI-Untersuchung nach Auskunft von Franziska Keller von den Grünen im Europaparlament „quer durch die Fraktionen“ auf die kafkaesken Folgen dieserart Gerichtsbarkeit aufmerksam gemacht. Doch bisher hat nur die Fraktion der Grünen im Deutschen Bundestag gefordert, sie einfach abzuschaffen.
Wirksamer ist vielleicht, dass vorgesehene Partner von Freihandelsverträgen der Europäischen Union und sogar andere OECD-Länder die Schiedsgerichtsbarkeit ablehnen. So biss die Brüsseler EU-Spitze Ende Januar auf Granit, als sie beim Gipfeltreffen mit Lateinamerika eine Empfehlung dafür in die Schlusserklärung schreiben lassen wollte. Die OECD-Länder Australien und Neuseeland haben beschlossen, in ihren Investitionsschutz- und Handelsverträgen mit anderen Staaten die entsprechenden Klauseln zu kündigen. Die USA und Kanada wollen sie im nordamerikanischen Freihandelsabkommen (NAFTA) einschneidend ändern.
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