Beschönigungen und Überlegenheitsdünkel

Carlos Alberto Haas, Lars Lehmann, Brigitte Reinwald, David Simo (Hg.): Das Auswärtige Amt und die Kolonien. Geschichte, Erinnerung, Erbe. C. H. Beck-Verlag, München 2024, 592 Seiten, 36 Euro

Vor 140 Jahren grenzten die Kolonialmächte auf der Kongokonferenz in Berlin ihre Interessen in Afrika ab – ohne Mitwirkung von Afrikanern. Der Sammelband beleuchtet die Rolle des Auswärtigen Amts dabei.

Die Initiative zu diesem Sammelband kam von Diplomats of Colour – also Mitarbeitenden des Auswärtigen Amtes; es hat das Projekt finanziert, ohne inhaltliche Vorgaben zu machen. Zeitlich umspannt das Buch die Phase der eigentlichen Kolonialherrschaft, die nach dem Ersten Weltkrieg endete, und auch nachkoloniale Entwicklungen. Die zumeist von Historikern und Sprachwissenschaftlern gelieferten Beiträge befassen sich mit deutscher Kolonialverwaltung in Afrika, in Gebieten im Pazifik und in China. Thematisch reicht das Spektrum von juristischen Erläuterungen bis zu institutionellen und personellen Aspekten. 

So geht es um damalige Rechtsgrundlagen, Befugnisse einzelner Abteilungen und des Personals in Berlin bzw. in den Kolonien und um Karrieren vor allem innerhalb des AA. Skizziert werden Kolonialbürokratie, Entscheidungsstrukturen und latente Spannungen zwischen der Zentrale und Repräsentanten in den Kolonien, die aus deren selbstherrlicher Haltung – auch gegenüber ihren Vorgesetzten in Berlin – resultierten. Offizielle Berichte an die Zentrale wurden oft geschönt, Gräueltaten an Kolonisierten verschwiegen. Rassistischer Überlegenheitsdünkel übertünchte die weitreichende Unkenntnis der unterworfenen politischen Systeme und Gesellschaften.

Paternalistische deutsche Vorgesetzte und afrikanische Söldner

Einzelne Beiträge im Sammelband thematisieren die Rolle des örtlichen Personals in der Verwaltung vor Ort, etwa von Übersetzern in Samoa, die gegenüber der lokalen Bevölkerung Privilegien erhielten, gleichzeitig aber durch die paternalistische Haltung deutscher Vorgesetzter in eine niedrige Stellung verwiesen wurden. Zum örtlichen Personal zählten auch afrikanische Söldner in der Kolonialarmee in Ost- und Westafrika; sie wurden oft nicht in der jeweiligen Kolonie rekrutiert und gingen unter brutalen deutschen Militärs gewaltsam gegen die lokale Bevölkerung vor.

Manche Texte setzen Kenntnisse über historische und regionale Zusammenhänge voraus und auch über die umfangreiche Forschung zur deutschen Kolonialherrschaft. Schon jetzt wird in der Fachwelt über die in diesem Buch vorgelegte Auswahl der Fallstudien hinsichtlich eines schlüssigen Gesamtkonzeptes durchaus kritisch diskutiert. Möglicherweise resultieren daraus Impulse für weitere Analysen, die systematischer als in diesen Artikeln Positionen von Nachfahren der Gewaltopfer in früheren deutschen Kolonien beachten – etwa der Interessenvertretungen von Nama und Ovaherero in Namibia. 

Zu den Beitragenden dieses Sammelbands zählen allerdings auch einige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem heutigen Togo, Kamerun und Tansania. Sie erörtern keineswegs nur historisch-politische Aspekte, sondern auch kulturelle Fragen, beispielsweise zu Museen und Ausstellungsobjekten. Der Beitrag über Stelen der guatemaltekischen Cotzumalhuapa-Kultur im umstrittenen Humboldt-Forum in Berlin ist von einem Historiker aus Guatemala verfasst, das allerdings keine deutsche, sondern eine spanische Kolonie war. So bietet das Buch viele Perspektiven und Interpretationsebenen, Schreibstile und Kritikweisen am Vorgehen früherer AA-Mitarbeiter. Aufschlussreich für Interessierte ist auch die bereits 2010 publizierte und viel diskutierte Studie „Das Amt und die Vergangenheit“ über das AA während der NS-Zeit und dessen späterer Umgang damit.

Neuen Kommentar hinzufügen

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
CAPTCHA
Wählen Sie bitte aus den Symbolen die/den/das Fahrrad aus.
Mit dieser Aufforderung versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt.
Diese Sicherheitsfrage überprüft, ob Sie ein menschlicher Besucher sind und verhindert automatisches Spamming.
Unterstützen Sie unseren anderen Blick auf die Welt!
„welt-sichten“ schaut auf vernachlässigte Themen und bringt Sichtweisen aus dem globalen Süden. Dafür brauchen wir Ihre Unterstützung. Warum denn das?
Ja, „welt-sichten“ ist mir etwas wert! Ich unterstütze es mit
Schon 3 Euro im Monat helfen
Unterstützen Sie unseren anderen Blick auf die Welt!