Anhand von Recherchen und Gesprächen mit arabischen Aktivistinnen zeichnet Claudia Mende nach, wie sich der Feminismus in der arabischen Welt bis heute entwickelt hat. Dabei entlarvt sie manches Vorurteil und plädiert für eine neue feministische Solidarität auf Augenhöhe.
Die Autorin verbrachte einen Teil ihrer Schulzeit in Jordanien und Ägypten, wo sie auch ihr Abitur ablegte. Später reiste sie immer wieder für Reportagen in die Region und lernte dabei viele selbstbewusste und politisch aktive Araberinnen kennen. Sie haben nach Meinung der Autorin 2011 die „Arabellionen“, also die pro-demokratischen Aufstände in der Region, viel stärker geprägt, als es westliche Medien vermitteln.
In neun spannend geschriebenen Kapiteln, oft mit personalisiertem oder reportageähnlichem Einstieg, erzählt Mende die facettenreiche Geschichte der arabischen Frauenbewegung vom Beginn um 1900 bis heute. Angereichert durch umfangreiche historische Quellennachweise im Anhang gibt sie einen Überblick über die unterschiedlichen Entwicklungen in verschiedenen Regionen – beispielsweise in Tunesien, das heute eine weitgehende rechtliche Gleichstellung der Geschlechter erreicht habe, und in Saudi-Arabien, wo Bestimmungen der islamischen Scharia Frauen nach wie vor erheblich diskriminieren.
Die verschiedenen Phasen der arabischen Frauenbewegung
Um das Jahr 1900 herum verbanden die Frauen im arabischen Raum ihren Kampf für gleiche Rechte mit dem antikolonialen Kampf für nationale Unabhängigkeit. Die erste arabische Frauenorganisation gründete die Ägypterin Huda Shaarawi 1923 – ein Jahr nach der Unabhängigkeit ihres Landes. Sie stammte aus der Oberschicht und forderte Bildung, Wahlrecht und Berufstätigkeit für Frauen. In den neuen Nationalstaaten wie beispielsweise Ägypten bekamen Frauen durch Verfassungen und Gesetze Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt, und in den 1950er Jahren erhielten sie zunächst in Syrien, Tunesien, Ägypten und im Libanon das Wahlrecht. Doch dieser „Staatsfeminismus“ änderte nur wenig an konservativen Rollenmodellen in den Familien. 1967, nach dem von den fortschrittlicheren Ländern Ägypten, Jordanien und Syrien verlorenen Sechs-Tage-Krieg gegen Israel erlebte die Region einen Aufstieg der ölreichen, konservativen Staaten am Golf und damit einhergehend einen Aufstieg des politischen Islams und eine Re-Traditionalisierung des Verhältnisses zwischen den Geschlechtern.
Im Zuge der Proteste des „Arabischen Frühlings“ und der Demokratiebewegung von 2011 öffneten sich die Frauenbewegungen dann für Aktivistinnen aus allen sozialen Schichten und auf dem Lande, und sie verbanden säkulare und islamische Frauenrechtlerinnen. Neue Themen wie sexuelle Selbstbestimmung, Schutz vor Gewalt und die Aufteilung der Familienarbeit prägen die Debatten.
„Wir wollen endlich für uns selbst sprechen“
Diese verschiedenen Phasen der arabischen Frauenbewegung erzählt Mende anhand von Porträts und Zitaten engagierter Frauen, mit denen sie persönlich gesprochen hat. So etwa die emiratische Autorin Dubai Abulhoul, die sie 2023 auf der Buchmesse in Abu Dhabi traf. Sie verkörpere das neue Selbstbewusstsein arabischer Frauen, die sich nicht nur von einem durch Männer ausgelegten Islamverständnis, sondern auch von westlicher Dominanz befreien: „Wir wollen endlich für uns selbst sprechen“, sage Abulhoul: „Wir sind anders, als ihr denkt. Wir sind nicht diese armen, unterdrückten Opfer, die vom Westen gerettet werden müssen.“
Dieses neue Selbstbewusstsein arabischer Feministinnen ist titelgebend für das informative und anregende Buch, mit dem Claudia Mende für eine neue Solidarität zwischen Frauen in Orient und Okzident plädiert, die Verschiedenheit akzeptiert und auf gegenseitigem Respekt beruht. Das sei gerade jetzt notwendig, wo nach den gescheiterten Aufständen in der Region die Autokraten wieder fest im Sattel sitzen.
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