Der US-amerikanische Historiker Rashid Khalidi analysiert in seinem Buch den Nahostkonflikt vom Ende des Osmanischen Reiches bis heute. Und ist überzeugt: Für eine friedliche Koexistenz braucht es gleiche Rechte.
Rashid Khalidi hält den Edward-Said-Lehrstuhl für Modern Arab Studies an der Columbia University in New York. Gleichzeitig entstammt der 1948 in New York geborene Autor einer bekannten palästinensischen Familie, die im Osmanischen Reich über die Geschicke der Palästinenser bestimmte. Aufgrund seiner familiären Beziehungen und seiner akademischen Ausbildung war er immer wieder eng in politische Verhandlungen zwischen PLO und UNO, aber auch in den Friedensverhandlungen im Oslo-Friedensprozess in den 1990er Jahren involviert. Er hat Zugang zu den Privatbibliotheken einiger der ältesten, arabischen Familien in Jerusalem und hat viele Diplomaten und Unterhändler persönlich interviewt, die Schlüsselrollen in verschiedenen Phasen des Konflikts gespielt haben.
Khalidi geht davon aus, dass der Zionismus von Anfang an eine koloniale Grundidee war: Ein Volk ohne Land strebte nach einem eigenen Land, um so zu einer Nation zu werden. Dieses Land war allerdings von anderen Menschen bereits besiedelt, deren Rechte und Bedürfnisse dem eigenen Nationalstaatsprojekt im Wege standen. Realisiert werden konnte dieses nur, weil die Mächtigen der jeweiligen Zeit – zuerst die Briten, später die USA – die Idee von einem Staat für das jüdische Volk politisch und mit Waffengewalt bis heute unterstützen.
Sechs „Kriegserklärungen“
Sechs Etappen – er nennt sie „Kriegserklärungen“ – macht Khalidi dabei aus: die britische Mandatszeit, die Staatsgründung Israels, den Sechs-Tage-Krieg, die Bombardierung und Besetzung Beiruts sowie die erste und die zweite Intifada. Das englische Original seines Buches erschien bereits 2020. Für die deutsche Übersetzung 2024 hat Khalidi noch ein kurzes Kapitel zum 7. Oktober und dem Krieg in Gaza hinzugefügt.
Es ist schwer, Khalidis Lesart des Konflikts als rein ideologisch gefärbt abzutun. Denn er führt viele historisch belegte Fakten an. Er beginnt bei der Balfour-Erklärung, mit der die Briten 1917 den führenden Vertretern des Zionismus die Zusicherung gaben, die Idee von einem Juden-Staat in Palästina auch gegen die Interessen und Rechte der einheimischen Bevölkerung durchzusetzen, fährt fort mit dem Völkerbundmandat, in dem die Wörter „Araber“ oder „Palästina“ kein einziges Mal auftauchen, und prangert die Tatsache an, dass den Palästinensern bis heute die politischen und nationalen Rechte verwehrt werden und sie somit nicht die volle Mitsprache bei Entscheidungen über ihre Zukunft haben. Bis heute gibt es keinen vollsouveränen Staat Palästina, in den besetzten Gebieten leben Palästinenser seit Jahrzehnten unter israelischer Militärverwaltung, so dass sie eine Eigenstaatlichkeit auch nach den Oslo-Verträgen nicht aufbauen konnten. Und auch die Palästinenser, die einen israelischen Pass haben, werden den jüdischen Israelis gegenüber im Alltag benachteiligt.
Verbundenheit zum Land auf beiden Seiten
Gleichzeitig kritisiert der Autor aber auch deutlich palästinensische Führer, selbst wenn sie aus seiner eigenen Familie kommen. Mal bezeichnet er sie als naiv, mal als zu schlecht ausgebildet, um auf internationalem Parkett mitspielen zu können, und auch als eitel, selbstverliebt (Yassir Arafat), schwach, korrupt und ideenlos (Mahmud Abbas).
Für Khalidi steht außer Frage, dass beide Völker ein Existenzrecht zwischen Jordan und Mittelmeer haben. Denn für beide gehöre die Verbundenheit zum Land mittlerweile zur nationalen Identität. Eine gemeinsame und friedliche Zukunft könnten sie aber nur teilen, wenn sie gleiche Rechte als Völker und Nationen bekämen, ob in einer Zwei- oder Ein-Staatenlösung. Man wünscht sich, die politisch Verantwortlichen auf allen Seiten würden Khalidi zuhören.
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