Virtuelle Supermacht in Afrika

Samuel Ramani: Russia in AfricaResurgent Great Power or Bellicose Pretender? Hurst & Co, London 2023, 445 Seiten, ca. 53 Euro

Samuel Ramani legt mit seinem Buch erstmals eine umfassende Analyse russischer Afrikapolitik vor, die ihr Augenmerk auf grundsätzliche Strategien des Putin-Regimes richtet. Der Politikwissenschaftler aus Oxford thematisiert auch die globale Dimension des Angriffskriegs auf die Ukraine.

Der als Frage formulierte Untertitel „Resurgent Great Power or Bellicose Pretender?“ dient dem Autor als Leitfaden, um die Janusköpfigkeit russischer Afrikapolitik zu analysieren und in der Informationsflut nicht die Orientierung zu verlieren. Die vielen Zwischenüberschriften im Fließtext sind für das Leseverständnis sehr hilfreich. Denn die Vielzahl der Beteiligten, ihre Interaktionen und die Orte des Geschehens erinnern an ein Schachspiel, das mit jedem Zug komplizierter wird. Der Text liest sich in weiten Teilen wie ein Erlebnisprotokoll, das die unterschiedlichen Phasen der Afrikapolitik seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 dokumentiert. Der vorgeschaltete historische Abriss sowjetischer Afrikapolitik trägt dabei zum besseren Verständnis bei. 

Die wichtigsten Wegmarken sieht Ramani in der marginalen Rolle des Kontinents unter Präsident Michail Gorbatschow, der Neuausrichtung unter Jew­geni Primakow – er war ab 1991 erst Direktor des Auslandsnachrichtendienstes, dann Außenminister, dann 1998–1999 Ministerpräsident und ist als Orientalist der Architekt der heutigen Afrikapolitik – sowie der Politik im ersten Russland-Afrika-Gipfel 2017 in Sotschi. Wladimir Putin übernahm nahtlos das bestellte Feld und verstärkte sukzessive das russische Engagement in Afrika als Teil des globalen Südens, um mit dessen Hilfe sein Projekt einer multipolaren Welt in Angriff zu nehmen. Das stieß in zahlreichen Staaten, angeführt von Südafrika, auf ein gewisses Maß an Wohlwollen.

Rastlose Reisediplomatie statt Soft Power

Allerdings, so der Autor, übersieht der Kreml, dass der globale Süden keine Einheit darstellt und Russland mangels weicher Macht (soft power) nur partiell Einfluss auf wichtige Akteure ausübt. Dies kann auch die rastlose Reisediplomatie des russischen Außenministers Lawrow nur notdürftig kaschieren. Selbst militärische Engagements in etlichen afrikanischen Staaten mit Söldnern der Wagnertruppe, zum Beispiel in Libyen, im Sudan, in Mali, in der 
Zentralafrikanischen Republik und in Mosambik, waren allenfalls in Ansätzen erfolgreich. Die meisten scheiterten, beispielsweise in Nordmosambik und im Sudan. 

Das Fazit des Autors fällt für Putin und sein Regime wenig schmeichelhaft aus: Russland handle in Afrika allenfalls als „virtuelle Supermacht“, deren politischer Einfluss letztlich überschaubar sei. Darüber hinaus legt die Invasion in der Ukraine große strukturelle Mängel der russischen Afrikapolitik offen,  ausgelöst durch die beträchtliche Anzahl an Einsätzen, ohne über die dafür notwendigen Ressourcen zu verfügen. So stand Russland der Internationalisierung der Akteure im Libyen-Konflikt recht ratlos gegenüber, was viel über die mangelnde strategische Kompetenz gegenüber komplexen Clan- und Machtstrukturen sagt. Des Weiteren traf in Nordmosambik das große Gasförderprojekt auf eine wenig beachtete,  gewaltbereite islamistische Bewegung, die die Investoren mit den vorhandenen militärischen Mitteln nicht in Schach halten konnten. Beide Beispiele zeichnen demnach das Bild einer in sich inkonsistenten Afrikapolitik, die angesichts der vielfältigen ethnisch-kulturellen, politischen und sozioökonomischen Widersprüche afrikanischer Gesellschaften schnell an Grenzen gerät. Dadurch vergrößere sich die Kluft zwischen politischem Anspruch und praktischer Umsetzungsfähigkeit. 

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