Kurz bevor sich der Amtsantritt Nelson Mandelas als erster demokratisch gewählter Präsident Südafrikas 2024 zum 30. Mal jährt, blickt die Kapstädter Autorin C.A. Davids in ihrem Roman auf diejenigen, die nicht zu Ikonen des Widerstands geworden sind.
Im Mittelpunkt des Romans stehen Menschen mit widersprüchlichen Revolutionserfahrungen: Sie haben Solidarität erlebt, aber auch Verrat durch gefolterte Gefangene oder Polizeispitzel. Um all das dreht sich das Leben der südafrikanischen Protagonistin Beth. Die Kapstädter Schriftstellerin C.A. (Carolann) Davids lässt Beths Stimmungen und Gefühle während ihrer Jugend und als erwachsene Staatsdienerin nach 1994 lebendig werden, von mitreißender Begeisterung bis hin zu zermürbenden Zweifeln.
Entsprechend gebrochen sind Beths Erinnerungen. Die Untrennbarkeit von Politischem und Privatem führt zu schweren Konflikten in ihrer Ehe. Das Paar quält die Frage, ob Beths Loyalität gegenüber der Regierungspartei ANC und Anpassung an deren Machtmissbrauch zu groß sind, um gegen Missstände wie die schwere Korruption in der südafrikanischen Regierung unter ihren früheren Mitstreitern anzugehen. Hals über Kopf entschließt sich die einstige Apartheidgegnerin, eine Konsulatsstelle im entfernten Schanghai anzunehmen. Ihr Ehemann bleibt in Südafrika.
Einstige Revolutionäre im Ringen um Vergangenheitsbewältigung
Der Roman besteht aus facettenreichen Episoden und Rückblenden und beschreibt Wahrnehmungen und Selbstbilder der zentralen Figuren mit großer Intensität. Dennoch rückt die Autorin Davids ihnen nicht zu nahe, lässt sie in konfliktreichen Situationen lange schweigen, durch angedeutete Gesten miteinander kommunizieren oder ohne Erklärung verschwinden. Das ist vor allem in den Kapiteln, die in Schanghai spielen, der Fall. Dort begegnet die Protagonistin dem älteren Journalisten Huang Zhao, der Beth allmählich vertraut und sie als Verbündete sieht. Er war Zeitzeuge des Massakers auf dem Platz des Himmlischen Friedens, was ihm die Augen für die Brutalität und Heuchelei seiner Regierung geöffnet hat. Schließlich übergibt er Beth seine geheimen Aufzeichnungen vom Massensterben unter Mao Zedong, dem Verhungernlassen vieler Millionen Menschen während der Kampagne „Großer Sprung nach vorn“ in den 1960er Jahren. Seine Mutter und Tante zählten zu den Opfern. Vom Leiden gänzlich ungerührt blieben politische Kader, die als wohlhabende Revolutionsgewinnler noch immer politische Parolen herunterrasseln.
Davids hat selbst einige Zeit in Schanghai gelebt, möglicherweise sind ihr dort derartige Kader begegnet. Ihr Verdienst ist es, dass sie den Bogen der Vergangenheitsbewältigung nicht nur über die südafrikanische Wahrheits- und Versöhnungskommission spannt und dabei Konflikte und Zerreißproben brillant erfasst. Sie zeigt auch am Beispiel Chinas, welche persönlichen und gesellschaftlichen Folgen es hat, wenn der Terror von Unrechtsregimen nicht aufgearbeitet wird. Deshalb schreibt sie über alternde Revolutionäre in unterschiedlichen politischen Systemen. So unterscheidet sich ihr lesenswertes Buch von der oft nationalistisch untermalten Erinnerungsprosa anderer Autoren aus dem südlichen Afrika, die jugendliche Unabhängigkeitskämpfer gern idealisieren.
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