Der türkische Journalist und Autor Mustafa Akyol ist im englischsprachigen Raum ein intellektueller Superstar. In seinem Buch eröffnet er eine Debatte über den Weg des Islam in die Moderne, wie sie in arabischen Kernländern des Islam kaum geführt wird.
Mustafa Akyol gilt als einer der profiliertesten Reformdenker im Islam, obwohl er weder Theologe noch Islamwissenschaftler ist: Der 1972 in Ankara geborene Politologe und Historiker lehrt am Cato Institute in Washington, D.C. Dass keines seiner Bücher bisher ins Deutsche übersetzt wurde, enttäuscht, während Bücher sogenannter Islamkritiker zu Bestsellern werden.
Der Islam steckt in einer Sackgasse, konstatiert Akyol. Islamisch geprägte Staaten gehörten heute zu den am wenigsten entwickelten der Welt. Dort, wo es Reichtum gebe, verdanke er sich vor allem dem Öl, und auch durch wissenschaftliche Errungenschaften zeichne sich die islamische Welt momentan nicht aus. „Die Menschen werden von autoritären Regimen unterdrückt und die Gesellschaften von inneren Konflikten zerrissen.“ Auch wenn er die Ursachen dafür differenziert beurteilt, sieht Akyol den Islam heute weit von seiner Blüte in den ersten Jahrhunderten entfernt.
Über Jahrhunderte, so führt Akyol aus, prägte der Islam eine Zivilisation, die dem Abendland an Weisheit weit überlegen war. Werte wie Vernunft und Toleranz, die oft mit der europäischen Aufklärung assoziiert werden, waren auch in der islamischen Tradition präsent, sind allerdings im Laufe der Jahrhunderte in Teilen verloren gegangen. Autoritäre Interpretationen des Koran konnten sich durchsetzen, weil sie den Herrschenden gelegen kamen, so Akyols These.
Freier Wille versus Schicksalsgläubigkeit
Er macht das an verschiedenen Beispielen fest, etwa an der Vorstellung eines freien Willens des Menschen – wie ihn die sog. Mutaziliten vom 9. bis zum 11. Jahrhundert verstanden – im Kontrast zu einer absoluten Schicksalsgläubigkeit, der zufolge Gott allein über das Leben der Menschen entscheidet. Wer glaubt, dass das Schicksal der Menschen ausschließlich in Gottes Hand liegt, lehnt sich nicht so leicht gegen die Herrschenden auf. Wer hingegen an die Freiheit des Menschen glaubt, der wird auch das Handeln der Herrscher infragestellen. Die Mutaziliten als eine Strömung in der islamischen Tradition, die eine tolerante, offene Interpretation des Koran und der Sammlung von Sprüchen und Taten des Propheten Mohammed propagierten, wurden Ende des 11. Jahrhunderts verfolgt und von den Herrschenden unterdrückt.
Heute gelte es, ihre Positionen neu zu entdecken. Den im Westen häufig geäußerten Ruf nach einer „Aufklärung“ im Islam setzt Akyol allerdings die Forderung nach einer genuin islamischen Aufklärung entgegen. Sie solle auch Schwächen der europäischen Aufklärung – wie Eurozentrismus, Rassismus und patriarchalische Denkweisen – überwinden. Die Werte Vernunft, Freiheit und Toleranz könnten aus der islamischen Tradition heraus begründet werden.
Die Debatte über einen islamischen Weg in die Moderne kann in den arabischen Kernländern des Islams aus politischen Gründen kaum geführt werden; auch in Akyols Heimat, der Türkei, ist sie heute kaum möglich. Aber sie existiert. Wie die Argumentationslinien der Reformdenker verlaufen, beschreibt Akyol spannend und verständlich. Wer einen Einblick in die lebhaften innerislamischen Diskussionen über die Vereinbarkeit der Religion mit der Moderne sucht, sollte dieses Buch lesen.
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