Das Buch des Politik- und Rechtswissenschaftlers Mark Fathi Massoud wirft einen kritischen Blick auf „State building“-Projekte in Somalia und Somaliland.
Wenn es um internationale Interventionen zur Staatenbildung geht, zum sogenannten „State building“, liegt der Fokus oft darauf, Rechtssicherheit herzustellen. Es geht um die Formulierung von Verfassungen sowie um Gesetzgebung, juristische Ausbildung, Aufbau von Gerichten und Institutionen der Rechtspflege und den Zugang dazu. Das Buch des im Sudan geborenen und in den USA aufgewachsenen Sozialwissenschaftlers Mark Fathi Massoud zum Thema „state building“ erscheint zu einer Zeit, in der mit Afghanistan gerade ein besonders prominentes derartiges Projekt scheitert. Denjenigen, die sich in diesem Bereich engagieren, sei es daher dringend empfohlen. Es ist das Ergebnis mehrjähriger ethnografischer Feldstudien in Somalia und der Republik Somaliland, zahlloser Gespräche mit Imams, Scheichs und Vertretern aus Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft sowie Recherchen in Instituten in der Region am Horn von Afrika, Europa und den USA.
Allen zerfallenden Staaten ist gemein, dass sämtliche rechtsstaatlichen Praktiken und Institutionen zerbrochen, uneinheitlich und diskreditiert sind, betont der Autor. Vergeblich hätten dort koloniale Verwalter, demokratisch gewählte Beamte, autoritäre Herrscher, Sultane, Scheichs und Fachleute aus dem In- und Ausland versucht, durch die „Zentralisierung des Rechts“ die Streitigkeiten der Menschen zu lösen, Verfassungen zu schreiben, Gesetze zu entwerfen, Rechtsschulen zu errichten, Gefängnisse zu bauen und Gerichte zu reformieren. Dass das nicht funktioniert hat, so die Hauptthese des Buches, liegt daran, dass die Herrschaft des Rechts aus der Perspektive der Bürger aufgezwungen und ohne Legitimität war. Rechtspolitik könne in vielen Gesellschaften, in denen den Menschen Religion wichtig ist, nicht von Religion und Religionspolitik getrennt werden. Das zu erkennen und zu verstehen, ist für Massoud ein wichtiger Schritt hin zu dauerhaftem gesellschaftlichem Frieden.
Leserinnen und Leser in Europa könnten irritiert sein
Seine Studie macht die vielschichtigen Verflechtungen und Beziehungen zwischen Religion, Rechtsverständnis und Recht deutlich. So bedeute Scharia für einen konservativen Scheich etwas anderes als für eine somalische Menschenrechtsaktivistin, die ihren Kampf für Frauenrechte mit einer fundierten Kenntnis der Quellen islamischen Rechts und ihrer Interpretationen begründet. Kapitel 6, in dem Massoud beschreibt, wie Frauen die Scharia „zurückerobern“, wird vermutlich viele Leserinnen und Leser in Europa irritieren.
Massoud beschreibt mit vielen empirischen Details in Kapitel 5, wie internationale Programme zur Rechtsreform, wieder durch die Zentralisierung des Rechtssystems, zum Teil Konflikte verschärfen. Dabei hätten die internationalen Fachleute die jeweiligen Einzelinteressen der Bürokraten und Entscheidungsträger, die sie beauftragt haben, nur allzu oft übersehen.
So kompliziert „state building“ sich darstellt, so ist Massoud doch optimistisch, wenn er in Somaliland einen öffentlichen Konsens darüber sieht, dass die Rechtssysteme westlicher Staaten bei der Anwendung des Rechts objektiv oder wertneutral sind. In diese Richtung entwickeln sich, davon ist er überzeugt, mit der Zeit auch islamische Staaten.
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