Die „Zeit des Schattens“ zog in vielen Teilen Westafrikas herauf, als die Europäer begannen, die einheimische Bevölkerung als Sklaven zu verschleppen. Léonora Miano hat darüber einen berührenden Roman geschrieben, konsequent erzählt aus der Perspektive der Opfer.
Eines Tages wird das westafrikanische Dorf der Mulongo überfallen und in Brand gesteckt. Danach sind zwölf Männer verschwunden, darunter zehn frisch Initiierte sowie der spirituelle Führer der Mulongo. Die Mütter der jungen Männer werden an den Rand des Dorfes verbannt, denn man weiß nicht, wie man mit ihrer Trauer umgehen soll, schließlich ist ja niemand gestorben. Außerdem kann die männlich dominierte Gemeinschaft nicht ausschließen, dass die Frauen nicht doch etwas mit dem Verschwinden ihrer Söhne zu tun haben. Im Traum von ihrem Sohn gerufen, bricht die Protagonistin Eyabe heimlich in Richtung des großen Ozeans auf, denn man ahnt, dass die „Küstenmenschen“ für das Verbrechen verantwortlich sind.
Schnell wird klar, dass es in Léonora Mianos Roman um den Beginn des Sklavenhandels geht. Eben diese Bezeichnung – Sklavenhandel – lehnt die Autorin allerdings ebenso wie das französische „traite des noirs“ (wörtlich: „Handel mit Schwarzen“) ab. Die 1973 in Kamerun geborene Miano spricht stattdessen bewusst von der „transatlantischen Deportation“.
Bemerkenswert ist, wie sie die Perspektive des fiktiven Volkes der Mulongo einnimmt und damit die Weltsicht der vorkolonialen afrikanischen Völker rekons–truiert. So nennt sie die Europäer „die Männer mit den Hühnerbeinen“, da deren Beinkleid an diese Tiere erinnere. Interessanterweise wird ihre Hautfarbe nicht thematisiert, obwohl die Protagonisten zum ersten Mal in ihrem Leben Weiße sehen. „Kein Mensch in Afrika definiert sich als Schwarz“, erklärte Miano in einem Interview mit dem Saarländischen Rundfunk. Dies liege daran, dass „Schwarz“ ein kolonialer und rassifizierender Begriff sei – und „Weiß“ sei das somit auch.
Die Autorin erläutert weiter, dass sie die westafrikanische Gemeinschaft vor allem deshalb fiktionalisiert habe, weil den traumatisierten afrikanischen Gesellschaften immer wieder jene Herrscher vorgeworfen würden, die den späteren Kolonisatoren als Menschenhändler gedient haben. Im Roman sind dies die Fürsten der „Küstenmenschen“, die für ihre nicht ganz freiwillige Kooperation Waffen, Kleidung, Lebensmittel und Schmuck erhalten.
„Jedes Verbrechen muss aus der Sicht der Opfer erzählt werden“, sagt Léonora Miano. Sie macht das mit ihrem Roman, der bereits 2013 auf Französisch erschienen ist, auf eindrückliche und erschütternde Art und Weise und gibt dem vorkolonialen Subsahara-Afrika seine eigene Sprache zurück.
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