Afrikanische Zeitreise

Wie sieht die Welt im Jahr 2060 aus – rund 100 Jahre, nachdem viele afrikanische Staaten politisch unabhängig geworden sind? Zehn namhafte Autorinnen und Autoren des Kontinents geben in dieser Anthologie verblüffende und nachdenkliche Antworten.

Seit zehn Jahren gestalten die Herausgeberinnen schwerpunktmäßig in Köln die „Stimmen Afrikas“, eine Lesungsreihe mit afrikanischen Schriftstellerinnen und Schriftstellern. Fünf Frauen und fünf Männer, die daran mitgewirkt haben, kommen nun in der Anthologie von Christa Morgenrath und Eva Wernecke zu Wort. Sie alle waren in Köln und weiteren Städten für Lesungen und Literaturfestivals zu Gast. Nun haben sie für dieses ansprechende Zukunftsbuch eigene Kurzgeschichten verfasst.

Wer sie liest, wird rasch in eine futuristische Welt katapultiert, in der Krisenszenarien vom Klimawandel schon Wirklichkeit geworden sind. Soziale Ungleichheiten haben sich verschärft, Sieger sind die Eliten des Nordens. In pompösen Luftschiffen dösen sie gelangweilt über der erhitzten Erde, ihr Leben ist zeitlos und sinnentleert. Nur auf dem Ballon namens Luanda gibt es noch Bücher. Die Bewohner erinnern sich wehmütig an ihre im Meer versunkene Heimat, den Duft der Savanne und den Anblick von Mangobäumen, wie der Angolaner José Eduardo Agualusa schreibt.

Unverständnis zwischen Vätern und Söhnen thematisiert Tendai Huchu aus Simbabwe. Angesichts des dortigen Wirtschaftskollapses wirken die prosperierende Farm eines namenlosen Vaters und die Karriere von dessen Sohn als Börsenspekulant absurd. Die Episode, in der er sich verleugnen lässt, als sein Vater anruft, und stattdessen lieber zahlreiche Aufputschmittel schluckt, könnte zwar auch in der Gegenwart spielen. Neu dagegen sind Droiden als Arbeitskräfte und Ersatz für Ehepartnerinnen.

Vertrackte Ehen thematisieren einige Autorinnen, etwa die Nigerianerin Chika Unigwe. Deren Protagonistin wird erste Präsidentin des Landes, obwohl – oder gerade weil – sie sich von ihrem Mann scheiden lässt. Bei Ellen Banda-Aaku spielt die Großmutter eine zentrale Rolle: Hier geht es um eine grauenvolle Familiengeschichte und Kontroversen über die Kolonialzeit. Es ist ermutigend, dass die Autorinnen und Autoren starke Frauenfiguren, die teilweise Schlimmes erlitten haben, ins Zentrum ihrer Geschichten stellen.

Inwieweit autobiografische Erfahrungen in die Geschichten hineinspielen, können interessierte Leserinnen und Leser selbst überlegen, denn jeder Geschichte ist ein kurzes Porträt der Autorin oder des Autors beigefügt. Deren unterschiedliche Lebenswege reichen vom Aufwachsen als Kind einer armen und sehr jungen Mutter im ländlichen Südafrika (Sonwabiso Ngcowa) und malischer Einwanderer in Paris (Aya Cissoko) über Studienjahre in New York (Youssouf Amine Elalamy) bis zum Pendeln zwischen Frankreich und Senegal (Ken Bugul). Von ihren internationalen Erfolgen zeugt die lange Liste hochkarätiger Literaturpreise. Verfasst wurden die hier vereinten Texte ursprünglich auf Wolof, Französisch, Portugiesisch oder Englisch – teils in lokalem Slang. Dass diese Vielfalt in den Übersetzungen mitschwingt und nachhallt, zeichnet „Imagine Africa 2060“ ebenfalls aus

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