Schuldgefühle und Tabus

In Masande Ntshangas südafrikanischen Debütroman geht es um HIV/Aids. Dicht und spannend erzählt er über ein Thema, das in der südafrikanischen Gesellschaft lange tabu war.

Komm heim, fleht der Onkel. Aber Nathi reagiert nicht auf dessen SMS. Lieber schmeißt er zusammen mit seinen Freunden nach dem späten Aufstehen Ibuprofen-Tabletten ein. Nachmittags schnüffeln sie Farbverdünner, nehmen noch mehr Pillen. Abends fahren sie zu einer Künstlerparty, wo sie sich mit Gras und viel Merlot den Rest geben. Das Trio lässt sich im Drogenrausch tage- und nächtelang durch Kapstadt treiben.

Genauso gut könnte das in Berlin, London oder Edinburgh passieren. Es ist ein Kniff des Autors, dass im ersten Teil seines Debütromans, der im Jahr 2003 spielt, fast nichts mehr an die Schrecken der Apartheid, das Elend der Schwarzen und den Befreiungskampf erinnert. Die Mittzwanziger Nathi, Cecilia und Ruan haben eigene Wohnungen, Handys und Internet. Nathi jobbt in einer Videothek, er hat studiert. Die frühere Kunststudentin Cecilia arbeitet in einer Kindertagesstätte. Der Ich-Erzähler Nathi verliert kein Wort mehr über die Hautfarbe der Menschen und über Politik schon gar nicht. Stattdessen kreist seine Erzählung um ein südafrikanisches Tabuthema: Er hat sich bei seiner Arbeit als Laborassistent mit dem HI-Virus infiziert. Der Unfall hat ihm eine Abfindung eingebracht, mit der er eine Krankenversicherung abgeschlossen hat, die ihm seine antiviralen Medikamente zahlt. Mit den Freunden beredet er, was er mit seinem „Rest­leben“ anfangen soll. Ansonsten versucht er, nicht an die Krankheit zu denken. Zugedröhnt klappt das besser als nüchtern.

Nathi verkauft seine Medikamente, um Drogen zu besorgen. Abnehmer finden er und seine Freunde bei inoffiziellen HIV-Gruppentreffen. Der Roman verweist auf ein dunkles Kapitel nach der Befreiung des Landes: Präsident Thabo Mbeki leugnete von 1999 bis 2008 den Zusammenhang zwischen HIV und Aids; die Regierung weigerte sich, Betroffene mit Medikamenten zu versorgen, und ein Schwarzmarkt entstand.

Nathi quälen zudem Schuldgefühle. Vor zehn Jahren hat seine Familie seinen schwulen Bruder, den 17-jährigen Luthando, gezwungen, sich einer Beschneidung zu unterziehen. Die Xhosa-Familie wollte ihn mit dem archaischen Ritual „von einer Schwuchtel zum Mann machen“. Doch er infizierte sich und starb. Nathi war da schon in die Stadt abgehauen und konnte dem Bruder nicht helfen.

„Positiv“ ist ein dichter Roman über Mittzwanziger, die nach dem Ende der Apartheid erwachsen wurden. Sie gehören zu einer entwurzelten, desillusionierten Generation. Der Befreiungskampf ist vorbei, der Turbokapitalismus für sie kein Versprechen. Von der Familie und den afrikanischen Traditionen haben sie sich abgewandt. Auch der 1986 in East London geborene Autor zählt zu dieser Generation, was seine Sprache authentisch und ausdrucksstark macht. Nathi erzählt lässig, präzise und gelegentlich poetisch. Wenig nachvollziehbar ist allerdings, weshalb er im letzten Kapitel zu seinem Onkel in eine Township am Stadtrand zurückkehrt. Er haust im Container, hilft in einem Kiosk aus und erzählt niemanden von der Infektion. Aber er fühlt sich aufgehoben in der Gemeinschaft und es geht ihm zunehmend besser.     

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