Befreiende Wirkung satanischer Klänge

Junge Leute mit langen  Haaren, Piercings, Tattoos und schwarzen Klamotten passen kaum in das gängige Bild vom Nahen Osten. Und doch sind sie ein Teil davon, wie der britische Journalist Orlando Crowcroft zeigt. Er hat mit jungen Rockmusikern gesprochen, illegale Konzerte in Wohnzimmern und Hinterhöfen besucht und darüber ein packendes Buch verfasst.

Der Autor gibt Einblick in eine Szene, die in den konservativen Gesellschaften des Nahen Ostens mit allen Konventionen bricht. So wie im Fall der Band „Ayat“, die Crowcroft in einem kleinen Club in Beirut aufspürt. Das Kollektiv spielt aggressiven, schnellen Black Metal, die grunzend vorgetragenen Texte sind pure Provokation. Etwa wenn „Ayat“ im Song „All Hail Allah the Swine“ den Propheten als Vergewaltiger beleidigen. Die Band steht damit ganz in der Tradition europäischer Black Metal Bands, die mit ihrer anti-christlichen Haltung und dem Spiel mit satanistischen Symbolen auch im liberalen Westen umstritten sind. Kein Wunder also, dass die Mitglieder von Ayat, die ihre Kunst als Kritik am religiösen Establishment bezeichnen, im Libanon nur unter Pseudonymen auftreten.

Längst nicht alle Bands, die Crowcroft  in seinem Buch auftreten lässt, sind ähnlich extrem. Die meisten verstehen sich nicht als Aktivisten, sondern als Künstler. Vor Verteuflung und Verfolgung sind aber auch sie nicht gefeit. Im Iran etwa rufen allein schon die brachialen Klänge und der Kleidungsstil der Musiker die Behörden auf den Plan. Auch in Saudi-Arabien fürchten viele Musiker die spitzen Ohren der Religionspolizei, trotzdem ist im wohl musikfeindlichsten Land der Welt seit den Nuller-Jahren eine klandestine Metal-Szene gewachsen. So besorgte sich die Grindcore-Gruppe „Creative Waste“ illegal CDs aus dem Ausland und übte ihre ersten Songs im Schlafzimmer eines der Bandmitglieder ein. Obwohl sie inzwischen sogar international bekannt ist, versucht die Band in ihrer Heimatstadt Qatif für wenig Aufsehen zu sorgen und hält sich mit offener Kritik an den politischen Verhältnissen zurück. 

Orlando Crowcroft teilt sein Buch nach Ländern auf: Je ein Kapitel widmet sich dem Libanon, Iran, Ägypten, Saudi-Arabien, Israel und Palästina sowie Syrien. Auch wenn sich dabei manches wiederholt und der journalistische Stil etwas ermüdet, ist diese Aufteilung sinnvoll. Denn der musikalische Streifzug durch den Nahen Osten zeigt, dass die Künstler nicht nur Teil einer internationalen Subkultur, sondern auch Produkt ihrer jeweiligen Umgebung sind. So entwickelte sich die Szene im zeitweise relativ liberalen Libanon freier als in Saudi-Arabien, wurde aber auch stärker durch Gewalterfahrungen geprägt. In den Kapiteln über Ägypten und Syrien zeichnet der Autor nach, wie der arabische Frühling erst neue Hoffnungen weckte und dann doch der Rückfall in Autokratie und Bürgerkrieg viele dazu zwang, ihre Gitarren zur Seite zu legen oder ganz abzuhauen. Viele der Künstler, die Crowcroft in seinem Buch porträtiert, leben inzwischen im Ausland.

Was alle Geschichten miteinander verbindet, ist der Kampf für kulturelle Freiräume – und eine Leidenschaft für die Musik, hinter der religiöse oder ethnische Unterschiede zurücktreten. Crowcroft schreibt kenntnisreich über die Musik – und über die Region. Das macht das Buch so lesenswert: für eingefleischte Metal-Fans genauso wie für am Nahen Osten interessierte Leser, die hier einen ungewohnten Zugang finden.  

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