Bedrückend, schonungslos und poetisch

In seinem Debütroman schildert der sri-lankische Autor Anuk Arudpragasam, wie ein junger Mann im Angesicht des Krieges längst vergrabene Gefühle wiederentdeckt. Dabei zieht er die Leser unnachgiebig in die Brutalität von Krieg und Flucht.

Eigentlich wartet Dinesh nur noch auf den Tod. Bis der kommt, versorgt der junge Mann Verletzte, streift ziellos umher und sinniert über die Ausscheidungen seines Körpers. Ort der Handlung ist ein Flüchtlingslager an der Ostküste Sri Lankas wenige Wochen vor Ende des Bürgerkriegs im Mai 2009: Überall sind Leichen, Verstümmelte, Elend und Trauer. Dinesh hat seine gesamte Familie verloren. An die Gesichter seiner Eltern oder seines Bruders  kann er, dem alle Emotionen abhandengekommen zu sein scheinen, sich nicht mehr erinnern. Er hat vergessen „wann er zuletzt eine echte Verbindung zu jemandem gespürt hatte“.

All das ändert sich, als ihn eines Morgens ein älterer Herr darum bittet, seine Tochter Ganga zu heiraten. Denn Herr Somasundaram – so heißt der Mann – hofft, dass die siegreichen Soldaten sich an einer verheirateten Frau vielleicht nicht vergehen werden. Außerdem scheint es, dass er die Verantwortung für seine Tochter abgeben will, da er des Lebens überdrüssig ist, seit seine Frau und sein Sohn im  Flüchtlingslager umgekommen sind. Ganga scheint nicht heiraten zu wollen, fügt sich aber in ihr Schicksal. „Worüber sollte man da glücklich oder traurig sein?“, fragt sie einmal, nachdem Dinesh wissen will, ob sie froh sei, dass sie verheiratet sind.

In der Gegenwart von  Krieg und Angst setzt Ganga bei Dinesh totgeglaubte Empfindungen und Zärtlichkeiten frei, die der 29-jährige Autor in seinem Erstlingsroman intensiv und in allen Einzelheiten schildert. Er möchte sie beschützen und sich um sie kümmern. „Er schlang die Arme noch enger um sie und versuchte, ihr als das irgendwie mitzuteilen, sie wissen zu lassen, dass er stark genug war, dass er alles für sie tun würde, was sie brauchte.“

Überhaupt schreibt der aus Colombo stammende Arudpragasam, der derzeit an New Yorks Columbia Universität in Philosophie promoviert, sehr detailliert: Eine Szene, in der Dinesh sich wäscht, wie er bei der Armamputation eines kleinen Jungen assistiert oder wie er Ganga im Schlaf beobachtet, erstreckt sich über viele Seiten. Das wirkt zum einen beklemmend und sehr intim, zum anderen spiegelt es die Situation und die bedrückende Stimmung passend wider. Arudpragasam zieht seine Leserinnen und Leser  durch seine Beschreibungen unnachgiebig in den Dschungel und in das Flüchtlingslager hinein. Er erzählt brutal und schonungslos. Schon der Titel weist den Weg, wie die Geschichte ausgeht
 

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