Faszinierendes Katz- und Mausspiel

Der Schriftsteller, Literaturnobelpreisträger und Politiker Pablo Neruda gilt als größter Dichter seines Landes. Nun hat ihm der chilenische Regisseur Pablo Larrain einen biographischen Film gewidmet, der weit mehr sein will als ein klassisches Biopic.

Mit der Pinochet-Diktatur und ihren Folgen hat sich der chilenische Filmregisseur Pablo Lorrain bereits in seiner Filmtrilogie aus „Tony Manero“, „Post Mortem“ und „No“ auseinandergesetzt. In seinem jüngsten Werk, einer eigenwilligen filmischen Annäherung an den kommunistischen Literaten Pablo Neruda (1904-1973), geht er noch weiter zurück: in die ersten Jahre des Kalten Krieges. Larrain hakt  keineswegs nur die biographischen Stationen ab, sondern vermischt Reales und Erfundenes zu einer eigenständigen Vision, die Neruda in ein neues Licht taucht.  

1948 wendet sich der gewählte Präsident Gabriel Gonzales Videla dem Westen zu und geht radikal gegen Kommunisten vor. Der kommunistische Senator Neruda beschuldigt Videlas Regierung in einer flammenden öffentlichen Rede des Verrats – worauf Videla prompt Nerudas parlamentarische Immunität aufheben lässt. Auf Empfehlung seiner Partei taucht Neruda mit seiner Frau Delia del Carril unter. Während er an seinem wichtigsten Werk, der epochalen Gedichtsammlung „Canto General“ schreibt, versucht er, zusammen mit seiner Frau das Land auf geheimen Wegen zu verlassen.

Videla schickt den ehrgeizigen Polizeipräfekten Oscar Peluchoneau los, der den beim Volk überaus populären Dichter diskreditieren und aufspüren soll. Es beginnt ein skurriles Katz- und Maus-Spiel, bei dem Neruda für den Verfolger Spuren legt, indem er am jeweils letzten Aufenthaltsort einen Kriminalroman liegen lässt. Neruda sonnt sich in der schmeichelhaften Idee, er sei  der Regierung so wichtig, dass sie ihn auf Hauswänden sogar als „Verräter“ anschwärzen lässt. Peluchoneau hingegen kommentiert das Geschehen in pathetischen Worten aus dem Off  und sieht sich mit der Frage konfrontiert, wer  die Hauptfigur und wer die Nebenfigur ist. Als der übereifrige, aber stets zu spät eintreffende Polizist  den vor ihm stehenden Neruda nicht einmal erkennt, wird er zu einer tragikomischen Gestalt, die eine literarische Erfindung des Dichters sein könnte. Die kuriose Verfolgungsjagd führt die Kontrahenten in immer abgelegenere Gegenden und endet im Schnee der Kordilleren.

Was hat uns Neruda heute noch zu sagen?

Eines kann man Larrain nicht vorwerfen: Dass er seinen Helden auf einen Denkmalsockel stellen würde. Neruda wird zwar als idealistischer Politiker und versierter Autor geschildert, der mit seiner Lyrik die  Zuhörer in Bann schlagen kann. Aber er erscheint auch als snobistischer Salonkommunist und eitler Egomane, der sich gerne bewundern lässt und dem Hedonismus frönt.

Luis Gnecco verleiht diesem ebenso schillernden wie widersprüchlichen Polit- und Literaturstar auf der Leinwand große Glaubwürdigkeit. In der Rolle des obsessiven, innerlich zerrissenen Polizisten, der als Sohn einer Prostituierten sichtlich unter Minderwertigkeitskomplexen leidet, steht ihm der mexikanische Schauspieler Gael Garcia Bernal, der schon in Larrains Film „No“ die Hauptrolle spielte, in nichts nach.

Der 40-jährige Regisseur belässt es aber nicht beim kriminalistischen Katz- und Mausspiel. Er  grundiert es mit Verweisen auf die zeitgenössische Repression, etwa durch Szenen, in denen Soldaten Arbeiter misshandeln und Andersdenkende in Sammellager verfrachtet werden. Mit seinem filmischen Mosaik, das am Ende fast wie die phantasievolle Verfilmung eines Neruda-Buches wirkt, gibt Larrain reichlich Anstöße, sich zu fragen, was der Autor und Politiker uns heute noch zu sagen hat. Insbesondere seit sich durch jüngste Untersuchungen die Indizien mehren, dass er 1973 ermordet wurde.

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