Chinas unvermeidliches Machtstreben

Im Südchinesischen Meer wachsen die Spannungen zwischen China und seinen Nachbarn. Vietnam und die Philippinen etwa fühlen sich bedroht, seit Peking kleine Atolle künstlich zu Militärstützpunkten ausbaut, um seinen Anspruch zu untermauern, dass dieses Meer zu China gehört. Viele Beobachter sehen darin einen Beleg für die aggressive Haltung der chinesischen Führung. Das greift laut dem Brüsseler Politikwissenschaftler Jonathan Holslag zu kurz.

Die Konflikte in Asien gehen, so betont er, nicht auf das Wesen des Regimes in China zurück; eine demokratische Regierung dort würde sich wohl ähnlich verhalten. Die Volksrepublik verfolgt laut Holslag seit ihrer Gründung 1949 vier große Ziele: Nachdem China 100 Jahre ein Spielball kolonialer Mächte war, will die Kommunistische Partei als legitime Regierung anerkannt werden und weitere Einmischungen in ihre Souveränität abwehren. Beides ist heute erreicht.

Weiter wollte und will sie die Kontrolle über ihre Grenzregionen zurückgewinnen. Das befördert in Tibet und Xinjiang allerdings Proteste. Schließlich will Peking Territorien zurückgewinnen, die das Kaiserreich im 20. Jahrhundert verloren hat: Taiwan sowie, nach Pekinger Lesart, auch Inseln im Südchinesischen Meer und zwischen China und Japan. Dieses Ziel, so der Autor, ist das konfliktträchtigste.

Chinas Interessen, betont Holslag, machen das Land zwangsläufig zu einer revisionistischen Macht: Um seiner untergeordneten Rolle zu entkommen, müsse es eine Veränderung der Ordnung in Asien anstreben und die Vormachtstellung Japans und der USA in Frage stellen. Denn beide sperrten sich gegen den Verlust ihrer Privilegien, und Staaten wie Vietnam fühlten sich durch den Machtzuwachs Chinas zwangsläufig ihrerseits bedroht. Das ist für den Politikwissenschaftler ein klassisches Sicherheitsdilemma: eine Situation, in der Staaten einseitig ihre Sicherheit durch Machtzuwachs steigern wollen und so für alle die Unsicherheit erhöhen.

Die These ist einleuchtend. Um sie zu untermauern, zeichnet Holslag die Außenpolitik Chinas seit 1949 in groben Zügen nach. Für die ersten Jahrzehnte macht er Strukturen und Umbrüche gut deutlich; für die Zeit nach den 1990er Jahren wird die Lektüre etwas ermüdend, weil eine offizielle Erklärung nach der anderen angeführt wird. Auch das Kapitel über die Aufrüstung zur See langweilt mit Aufzählungen von Waffensystemen.

Fesselnd ist dagegen die Darstellung der Handelspolitik. Hier macht der Autor klar, wie China Handelsverträge und das Versprechen beidseitiger Vorteile nutzt, um Nachbarländer in die Rolle von Rohstofflieferanten zu drängen. Überhaupt geht die chinesische Diplomatie laut Holslag sehr geschickt vor und zeigt sich in taktischen Fragen flexibel, ohne die strategischen Ziele aufzugeben.

Eine weitere Stärke des Buches ist, dass Holslag die Selbstsicht von Chinas Eliten deutlich macht, die er aus vielen persönlichen Gesprächen kennt: Sie sehen ihre Politik als friedlich an und bringen für die Sorgen, die sie in manchen Nachbarländern auslösen, wenig Verständnis auf. Leider geht er kaum auf innenpolitische Faktoren der chinesischen Außenpolitik ein wie den Einfluss der Entscheidungswege und Institutionen.

So fürchten manche Fachleute, dass eigenständige außenpolitische Aktionen von Küstenprovinzen, deren Sicherheitskräften oder dem Militär die Zentrale in Peking unter Zugzwang setzen und eine Eskalation auf See vorantreiben. Allerdings ist das Buch auch nicht für China-Experten geschrieben, sondern für an Weltpolitik Interessierte. Denen kann man es insgesamt sehr empfehlen.

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