Ein Schuh ist manchmal nur ein Schuh

Der iranisch-amerikanische Literaturwissenschaftler Hamid Dabashi fordert mehr Anerkennung für das philosophische Denken im globalen Süden – und mehr Raum für alternative Lesarten der politischen Realität im Nahen Osten.

In der Vergangenheit hat sich Hamid Dabashi als scharfer Kritiker der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern und der Rolle der Vereinigten Staaten im Nahen Osten profiliert. Wer ihn allerdings allein als Verfechter palästinensischer Interessen wahrnimmt, wird seinem Denken nicht gerecht. Schon der Titel seines neuen Buches macht deutlich, in welcher Tradition der Autor steht. „Can Non-Europeans think?“ ist eine Anspielung auf Gayatri Chakravorty Spivaks Klassiker des Post-Kolonialismus „Can the Sub-Altern speak?“. Auch Dabashis Kritik speist sich aus dieser Denkschule, er fühlt sich sowohl persönlich als auch philosophisch mit dem US-amerikanischen Literaturtheoretiker Edward Said verbunden, dem er ein komplettes Kapitel seines Buches widmet.

Dabashis Kritik richtet sich vor allem an die Überheblichkeit des Westens bei der Beschreibung der Welt. Was in Europa gedacht werde, gelte als „Philosophie“, Gedanken und Ideen aus dem globalen Süden würden dagegen mit dem „Ethno“-Label versehen und als exotische Besonderheit abgewertet, bemängelt er. Dabei sei jedes Denken in seinem Ursprung provinziell und lokal, in seiner Bedeutung aber global. Philosophie könne jeder, sie sei nicht nur eine Sache des Westens, meint Dabashi, der als iranischstämmiger Professor an der renommierten New Yorker Columbia-Universität lehrt.

Das Buch ist eine Sammlung von Essays und Kolumnen, die Dabashi zwischen 2003 und 2013 für die New York Times, Al Jazeera, die ägyptische Wochenzeitung Al-Ahram und die Website des US-Fernsehsenders CNN veröffentlicht hat. Sie beschäftigen sich mit Ereignissen in der arabischen Welt, wie dem vermeintlichen Arabischen Frühling oder den Gezi-Park-Protesten in der Türkei. Immer wieder Thema ist die Außenpolitik der USA, etwa die Auswirkungen der Wiederwahl Obamas auf den Nahen Osten oder  die Beziehungen zum Iran.

Interessant sind Dabashis Gedanken über die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen im Iran. Diese seien weniger durch den Streit zwischen religiösen und säkularen Kräften geprägt, wie es vom Westen oft wahrgenommen werde. Vielmehr gehe es darum, welchen Weg der Modernisierung der Iran einschlage: Einen kolonialen, also nach westlichem Vorbild, oder einen anti-kolonialen, eigenen Weg?

In einem anderen Essay reflektiert der Autor die Schuhwurflegende im Nahen Osten. Nachdem dort innerhalb weniger Jahre gleich zwei namhafte Politiker mit Schuhen beworfen worden waren, übten sich westliche Ethnologen und Journalisten in Analysen über die Bedeutung des Schuhs in der muslimischen Welt. Für Dabashi sind solche Ausführungen entlarvende Ethnifizierungen des Profanen: Im Westen sei ein Schuh nur ein Schuh. Im Nahen Osten dagegen werde der Schuhwurf auf die kulturelle Praxis reduziert, kritisiert Dabashi. Der Protest – und die Gründe dafür – rückten in den Hintergrund.

Es sind solche Episoden, die Dabashis Kritik greifbar und sein Buch lesenswert machen. Empfehlenswert sind die Essays auch für Leser, die sich für postkoloniale Studien interessieren oder sich tiefergehend mit den sozialen und politischen Verhältnissen im Nahen Osten beschäftigen wollen.

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