In ihrem Überblickswerk präsentieren Tilman Altenburg und Wilfried Lütkenhorst den aktuellen Diskussionsstand zur Industriepolitik in Entwicklungsländern.
Noch vor wenigen Jahren war die Industriepolitik ein Partisanenthema, weit abseits des liberalen entwicklungspolitischen Mainstreams. Beide Autoren, die sich seit langem verdienstvoll um die Thematik bemühen, können davon ein Lied singen. Gerade afrikanische Staaten sollten sich besser ohne verarbeitende Industrie entwickeln, hieß es. Heute ist in Fachkreisen Konsens, dass vor allem das andauernde Fehlen diversifizierter Industrie die Entwicklung Afrikas hemmt.
Die Autoren unternehmen eine Bestandsaufnahme dieses Politikfeldes. Das Leitmotiv ihres Textes ist Industriepolitik unter realen, nicht unter idealen Bedingungen, die es auch in den erfolgreichen neuen Industrieländern Ostasiens nicht gegeben hat. Die Bedingungen reichen in heutigen Entwicklungsländern von „good enough governance“ bis zu „neopatrimonialistischen“ Regimen und Entwicklungsdiktaturen. Unvollkommenheiten des Marktes stehen hier neben vielfältigen Unvollkommenheiten des Staates und der politischen Klassen. Besonders herausfordernd sind ressourcenreiche Länder.
Fünf Länderbeispiele analysieren Altenburg und Lütkenhorst auf der Basis von Fallstudien: Tunesien, Äthiopien, Mosambik, Namibia und Vietnam. Zum Thema „Grünes Wachstum“ betonen sie, dass marktkonforme Abgaben auf CO2-Emissionen nicht genügen, es müssen auch nicht marktförmige Lösungen wie Verbote und andere Regulierungen her. Sie empfehlen „grüne“ Technologien, hinterfragen aber auch ihre Machbarkeit. Ähnlich verhält es sich beim „Inklusiven Wachstum“. Auch hier bleibt offen, ob nun arbeitsintensive Branchen gefördert werden sollen oder ob es dafür angesichts der dräuenden Industrie 4.0 schon zu spät ist, ebenso ob es einen regionalen Ausgleich zugunsten von Menschen in benachteiligten Regionen geben sollte oder nicht.
Dies ist charakteristisch für das gesamte Buch: Die Autoren können sich nicht entscheiden, und sie bieten auch nur wenige harte Entscheidungsregeln an. Sein – nützlicher – Überblickscharakter markiert zugleich seine inhaltliche Schwäche. Weder wird das Modell der dargestellten Fälle von Marktversagen rigoros durchdacht noch die Auswahlkriterien für gute Industrieprojekte. Natürlich kennen die Autoren die klassische Kontroverse, ob Industriepolitik mehr mit der Ausnutzung komparativer Vorteile (günstige Arbeitskräfte in China) oder mit dem überraschenden Vordringen in neue oder neu erschlossene Märkte (Containerschiffbau in Südkorea) zu tun hat. Aber was bedeutet das für Länder wie Äthiopien oder Ruanda? Über einen Satz guter Prinzipien hinaus liefert das entscheidende fünfte Kapitel dazu kaum Anhaltspunkte.
Unter ferner liefen behandeln die Autoren auch die Rolle der beiden wichtigen externen Faktoren Handelsregeln und Entwicklungszusammenarbeit. Zur Entwicklungshilfe finden sie mit Recht kaum positive und vier negative Einflussfaktoren, von denen der wichtigste mehr Betonung verdient: Die allermeisten westlichen Geber haben nie Industrieförderung betrieben. So bleibt der Grundunterschied zwischen moderner Industrieförderung, die immer einen selektiven Kern hat, und der Myriade von Initiativen zur Förderung des Privatsektors und des Investitionsklimas seltsam unbestimmt.
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