Neue Stimmen im Dialog der Wissenschaften

Welche Rolle kann der Staat in emanzipatorischen Prozessen spielen? Dieser Frage wenden sich die 16 Beiträge des Sammelbandes aus unterschiedlichen Disziplinen wie Politologie, Geschichte und Literaturwissenschaft zu.

Die Mehrheit der Autorinnen und Autoren stammt aus Lateinamerika, Mexiko ist dabei stark, Brasilien gar nicht vertreten. Den Herausgebern ist es ein besonderes Anliegen, den Wissenschaftsdialog zwischen Lateinamerika und Europa zu beflügeln. Dieser sei bislang sehr einseitig gewesen: So habe man in Lateinamerika die in Europa geführten Debatten etwa zur Staatstheorie stets aufmerksam verfolgt, während die „lateinamerikanische Peripherie“ hierzulande lediglich als Forschungsobjekt wahrgenommen worden sei.
In verschiedenen Aufsätzen werden die Werke früherer Vordenker wie René Zavaleta (Bolivien) oder Aníbal Quijano (Peru) zu „überlagerten“ Gesellschaften, Staatlichkeit und Kolonialität in Lateinamerika rezipiert und gewürdigt. Die Besonderheiten lateinamerikanischer Staaten und Gesellschaften werden aus ihrer Geschichte und peripheren Lage analysiert, wobei an die sogenannten Dependenztheorien der 1970er Jahre angeknüpft wird.

Zu Zeiten der Militärdiktaturen und des neoliberalen Siegeszuges („Je weniger Staat, desto besser“) wandte sich die politologische und soziologische Forschung verstärkt zivilgesellschaftlichen Akteuren als Hoffnungsträgern für gesellschaftlichen Wandel zu. Inzwischen, nach den Erfolgen der Mitte-Links-Regierungen zu Beginn  des 21. Jahrhunderts steht die Auseinandersetzung mit dem Staat und seinen Funktionen wieder im Mittelpunkt des Interesses.

Der Band richtet sich gezielt an eine akademische Leserschaft. Die Texte insbesondere der lateinamerikanischen Autorinnen und Autoren sind nicht schnell und leicht zu lesen. Man braucht Zeit, um zu verstehen, was sie sagen wollen. Die Herausgeber selbst erkennen das Übersetzungsproblem aus dem lateinamerikanischen in den deutschen Kultur- und Sprachraum. Ich tendiere dazu: Wer Spanisch kann, sollte besser die Originale lesen. Und ob der Band, wie im Vorwort gepriesen „vorzüglich und vielfältig“ ist, mag jeder für sich entscheiden. 

Werner Würtele

 

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