Aufwachsen in Afrika

Politische Krisen und Gewaltkonflikte stellen Familiennetze vor Zerreißproben. Die beiden Soziologen Michaela Fink und Reimer Gronemeyer zeigen: Auch in Friedenszeiten sind Wanderarbeit, Armut und Aids für Eltern und Kinder große Herausforderungen.

Schon mit dem Titel unterstreichen Fink und Gronemeyer, worauf es ihnen ankommt: Das Spektrum an Kindheitserfahrungen. Ihre gut strukturierte Einleitung lädt zur Annäherung an die flexible Organisation sozialer Elternschaft ein. Diese resultiert aus der Vielfalt familiärer und verwandtschaftlicher Konstellationen. Auch das zeitweilige Wohnen in unterschiedlichen Haushalten prägt vielerorts Kindheitsbiographien.

Der reich bebilderte Sammelband vermittelt Lebenswelten von Kindern in verschiedenen Regionen Afrikas, exemplarisch werden auch ihre erwachsenen Bezugspersonen vorgestellt. Neben freundlich inszenierten Gruppenfotos sprechen aus einzelnen Portraits distanzierte Skepsis, große Nachdenklichkeit oder gar stummer Zorn. Mit diesen ausdrucksstarken Fotos ließen sich wohl kaum Spenden einwerben.

Umso spannungsgeladener ist der Kontrast zwischen Fotos, Fachartikeln und der Projektarbeit von Entwicklungsorganisationen. Karin Döhne schildert die Arbeit von Brot für die Welt mit Kindern und Jugendlichen und stellt Bildungs- sowie Gesundheitsprojekte in den Mittelpunkt. Claudia Berker, Mitarbeiterin bei Terre des Hommes, beschreibt Ansätze zur Stärkung von Kindern im südlichen Afrika. Anschließend erklärt Ulrike Brizay von der internationalen Aids-Gesellschaft IAS in Genf innovative Kriterien, nach denen sie Waisenprojekte in Tansania evaluiert hat.

Der Psychotherapeut Klaus Dieter Grothe skizziert am Beispiel von Kindersoldaten in Uganda, wie ihnen geholfen werden kann: Sie brauchen Schutz, Sicherheit und Vertrauen der erwachsenen Bezugspersonen. Verlässliche soziale Bindungen sind wichtig, damit traumatisierte Kinder ihre Bildungsinteressen verwirklichen können. Dazu können Entwicklungsprojekte beitragen, die Erwachsene ökonomisch befähigen, ihre familiär-verwandtschaftlichen Pflichten zu erfüllen.

Den programmatischen Überlegungen werden ethnographische Fallstudien aus Namibia und Benin gegenübergestellt. Deren Autorinnen verzichten weitgehend auf kolonial- und zeithistorische Zusammenhänge. Auch wirtschaftliche Entwicklungen streifen sie nur grob. Sie präsentieren Momentaufnahmen aus Forschungen, die zum Teil schon viele Jahre zurückliegen. Anstatt ausführlicher die komplexen Realitäten vor Ort zu erläutern, verschwenden sie Platz für seitenlange Literaturlisten mit Texten ihnen nahestehender deutscher Fachkollegen. Hier werden afrikanische Kindheitsforscher deutlich vernachlässigt.

Insgesamt fällt auf, dass keine Autoren aus afrikanischen Ländern zu Wort kommen – weder in der Auseinandersetzung mit den Entwicklungsprojekten, noch in der Analyse kindlicher Lebenswelten und Versorgungssysteme. Der Sammelband geht zwar auf eine Fachkonferenz zurück, doch zusätzliche Beiträge von Kindheitsexperten aus Ost- und Südafrika hätten Perspektivwechsel ermöglicht. So sind die entwicklungspolitischen und praxisrelevanten Artikel die Stärken des Buches.

Rita Schäfer
 

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