Ilker Ataç u.a. (Hg.)
Migration und Entwicklung: Neue Perspektiven
Promedia-Verlag, Wien 2014, 260 Seiten, 24,90 Euro
Autoren mit und ohne Migrationshintergrund bürsten ein Thema, das in der Entwicklungspolitik gerade Konjunktur hat, gegen den Strich: die positiven Effekte von Migration auf Entwicklung.
In den Beiträgen wird vermieden, von „den“ Migranten und Migrantinnen zu sprechen und pauschal deren entwicklungspolitische Bedeutung zu preisen. Die Texte stellen eine solche Herangehensweise vielmehr grundlegend in Frage.
Die Herausgeber des Bandes gehen sogar soweit, zu sagen, es müsse erst einmal geklärt werden, inwiefern sich Migrantinnen und Migranten sowie diasporische Verbände überhaupt als entwicklungspolitische Akteure eignen. Denn das politische, soziale, ökonomische und regulatorische Umfeld sei entscheidend dafür, ob Entwicklung stattfinden kann. Und dieses Umfeld könnten Migranten nicht schaffen.
Der Position, die Migranten nicht mehr als Problem ansieht, sondern sie zur Lösung von Entwicklungsproblemen ihrer Herkunftsregionen erklärt, schließen sich die Herausgeber und Autoren des Buches also nicht an. Sie stehen diesem „Hype“, wie es im Buch heißt, vielmehr sehr kritisch gegenüber, formulieren den Widerstand dagegen aus der akademischen Ecke. Dies tun sie mit gewichtigen Argumenten, die sich wie Perlen in den zum Teil schwer lesbaren, weil sehr akademisch verfassten Texten finden.
Das Buch versammelt Beiträge mit sehr unterschiedlichen disziplinären, theoretischen und methodischen Zugängen. Gemeinsam ist ihnen jedoch, dass sie alle auf einen kritischen Entwicklungsbegriff. zurückgreifen. Den vermissen die Wissenschafter in den Diskursen über Migration und Entwicklung: Ein Großteil der Berichte dazu entstand als Auftragsarbeiten für internationale Organisationen oder staatliche Institutionen. Die Erkenntnisse von Forscherinnen und Forschern fänden nur stark verzögert Eingang in die von einigen Staaten und internationalen Organisationen dominierten Diskurse, stellen Albert Kraler und Marion Noack fest. Insbesondere Theorien, die nicht in das optimistische Bild vom Zusammenhang zwischen Migration und Entwicklung passen, blieben weitgehend unberücksichtigt.
Die Autoren des Buches zeigen auch Schattenseiten auf. So berichtet José Luis Rocha, der zu Migration in Zentralamerika forscht, von architektonischen Schandflecken, die durch Rücküberweisungen von Migranten hervorgebracht werden: Die Empfänger des Geldes bauten oft, wo sie können und wie sie wollen; das Ergebnis sei ungeordnetes Wachstum.
Isaie Dougon, Professor für Sozialanthropologie an der Universität Bamako, spricht von „entwicklungsbedingten“ Ursachen der Migration: Bäuerinnen und Bauern in Mali, Ghana und der Elfenbeinküste migrierten unter anderem deshalb, weil sie finanzielle Beiträge zu von außen veranlassten Entwicklungsprojekten nicht aufbringen oder Darlehen nicht zurückzahlen können.
Eine Schattenseite des „Migration und Entwicklung“- Diskurses ist nach Meinung der Herausgeber auch dessen Koppelung mit der Migrationspolitik der Aufnahmeländer. Lassen sich eine auf Kontrolle ausgerichtete Migrationspolitik und ein von wirtschaftlichen Interessen geleitetes Migrationsmanagement mit dem Anspruch der Überwindung globaler Ungleichheit verbinden? Oder greifen Einwanderungsstaaten Entwicklungsaspekte nur auf, um die dunkle Seite der Migrationspolitik zu kaschieren? Diese Fragen werden in dem Buch nicht abschließend beantwortet. Aber es ist gut, dass sie gestellt werden.
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