Evangelikale Propaganda

Christenverfolgung
200 Millionen verfolgte Christen: Einmal mehr greifen viele Medien die alarmierenden Zahlen aus dem neuen Weltverfolgungsindex von Open Doors auf, ohne sie zu hinterfragen. Die differenzierte Sicht der beiden großen Kirchen findet dagegen kaum Gehör.

Für Open Doors war die Vorstellung des Weltverfolgungsindex fast schon Routine: Seit Jahren arbeitet das freikirchliche Hilfswerk mit Sitz in Kelkheim daran, das Thema Christenverfolgung in die breite Öffentlichkeit zu bringen – mit Erfolg. Open Doors hat die Methodik, mit der es seine jährliche Rangliste der 50 Länder mit der stärksten Christenverfolgung erstellt, im Laufe der Zeit immer weiter ausgefeilt. Betroffene Christen vor Ort und externe Experten haben die Länderstudien erstellt.

Für jedes Land werden die gleichen Kategorien abgefragt, darunter „Triebkräfte der Verfolgung“, wer die „Verfolger“ sind oder ob einheimische, evangelikale oder konvertierte Christen unterschiedlich stark betroffen sind. Abschließend listet die Organisation jeweils drei Fürbitten, mit denen sich Leser an die Seite der verfolgten Geschwister stellen können.

Diese schematische Einteilung suggeriert Wissenschaftlichkeit und macht den Weltverfolgungsindex mit seinen 50 ausführlichen Länderstudien übersichtlich. Das dürfte mit ein Grund sein, dass diese Publikation evangelikaler Provenienz mittlerweile auch von großen Medien wie dem „Spiegel“ oder der „Welt“ unhinterfragt als Referenz angeführt wird, wenn es um die Situation von Christen in bestimmten Ländern geht.

Zweifelhafte Zahlen

Auch die pauschalen Angaben von Open Doors, dass 200 Millionen Christen weltweit unter starker Verfolgung leiden und das Christentum heute die am stärksten verfolgte Religion sei, werden von vielen Medien zitiert. Dabei ist gerade bei solchen Aussagen Vorsicht geboten. Angesichts der Tatsache, dass das Christentum mit 2,3 Milliarden Anhängern (Pew Research Center) die größte Glaubensgemeinschaft der Welt ist, ist es wenig verwunderlich, dass Christen unter allen religiös Verfolgten auch die größte Gruppe darstellen.

Zudem sind die von Open Doors genannten 200 Millionen zumindest zweifelhaft. Das Hilfswerk hatte die Zahl schon vor einigen Jahren genannt, war dann aber nach kritischen Anfragen, wo denn alle diese verfolgten Christen leben, zurückgerudert und hatte sie auf 100 Millionen korrigiert. Dass im aktuellen Bericht nun wieder von doppelt so vielen Betroffenen die Rede ist, kann nur mit einer Aufweichung des Begriffs Verfolgung erklärt werden. Bei Open Doors gelten Christen nicht nur als verfolgt, wenn sie aufgrund ihres Glaubens von Tod und Vertreibung bedroht sind. Für das Hilfswerk reicht es schon aus, wenn Christen unter Diskriminierung leiden oder als Minderheit in einem mehrheitlich muslimischen oder atheistischen Land leben.

Pauschalisierungen und Ungenauigkeiten

Der Bericht schließt zudem aus Einzelfällen tatsächlicher Verfolgung auf die Situation ganzer Bevölkerungsgruppen. So würden Christen in Palästina überall von Muslimen unterdrückt. In Eritrea zeigten angeblich viele Muslime, die dort etwa die Hälfte der Bevölkerung ausmachen, eine Tendenz zum Extremismus. Und in Ägypten machen die einheimischen koptisch-orthodoxen Christen laut Open Doors den evangelikalen Christen das Leben extrem schwer und tragen selbst zur Verfolgung bei. Natürlich wird es für jede dieser Aussagen aus den jeweiligen Ländern Beispiele geben, die dies belegen. Verallgemeinern lassen sie sich aber nicht so einfach.

Diese Ungenauigkeiten und Pauschalierungen entlarven den Weltverfolgungsindex als ein Propaganda-Instrument der evangelikalen Bewegung, die im Islam die Hauptbedrohung für das Christentum sieht und ihre evangelikale Les- und Lebensart des Evangeliums über andere christliche Traditionen stellt. Ökumene und der gleichberechtigte Dialog mit Anhängern anderer Religionen haben in diesem Weltbild offenbar keinen Platz.

Ökumenischer Bericht kommt zu anderen Erkenntnissen

Ganz anders klingt das im „Ökumenischen Bericht zur Religionsfreiheit von Christen weltweit“, den die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) Mitte Dezember 2017 vorgestellt haben. Auf konkrete Zahlen legen sich die Autoren darin nicht fest, „da es für genaue Angaben über die Zahl der weltweit verfolgten Christen ein weitaus komplexeres wissenschaftliches Instrumentarium braucht, als es bislang vorgelegt wurde“, heißt es in der Pressemitteilung.

Auch verwenden die beiden großen Kirchen den Begriff „Christenverfolgung“ sehr sparsam, unterscheiden zwischen „Verfolgung“ und „Bedrängnis“ und ordnen das Thema in den größeren Kontext der Menschenrechte ein. Die Autoren gehen der Frage nach, in welchem Maß und auf welche Weise die religiöse Freiheit von Christen, aber auch von anderen religiösen Minderheiten in vielen Ländern und Regionen missachtet oder eingeschränkt wird.

Autor des inhaltlichen Schwerpunkts im Bericht ist Heiner Bielefeldt, Professor für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik an der Universität Erlangen-Nürnberg und ehemaliger UN-Sonderberichterstatter für Religions- und Glaubensfreiheit. Er unterfüttert seine Analysen mit belastbaren Fakten, spart nicht an Fußnoten und legt auch nicht über alle Länder die gleiche Schablone. Vielmehr differenziert er, wo es möglich und nötig ist.

Entsprechend mühsam lesen sich die 70 Seiten. Im schnelllebigen Medienbetrieb, in dem knackige und kurze Aussagen Vorrang haben, wird deshalb wohl weiter der Weltverfolgungsindex beim Thema Christenverfolgung die Referenzquelle bleiben, zumal Open Doors sich über die Jahre als „Experte“ auf diesem Gebiet etablieren konnte. Lange hatten die Bischofskonferenz und die Evangelische Kirche dazu geschwiegen. Nach 2013 ist die Studie vom vergangenen Jahr erst die zweite ihrer Art. 

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Es ist schon sehr traurig, wie hier die Christenverfolgung und das Leid der Betroffenen heruntergespielt werden. Selbst wenn die Zahlen nicht stimmen sollten, was ich nicht glaube: Jeder verfolgte und gequälte Christ ist es wert, dass über ihn berichtet wird und die Öffentlichkeit davon erfährt.

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erschienen in Ausgabe 2 / 2018: Diaspora: Zu Hause in zwei Ländern
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