Dokumentation eines langen Kampfes

2015 noch schien sich die Lage in den Kurdengebieten im Südosten der Türkei zu verbessern. Nun schildert Asli Özarslan in ihrem ersten langen Dokumentarfilm über eine kurdische Bürgermeisterin, wie die Erdogan-Herrschaft derlei Hoffnungen zunichtemacht.

Als die in Berlin geborene Filmemacherin Asli Özarslan 2014 erfuhr, dass die kurdischstämmige Leyla Imret aus Bremen mit 26 Jahren zur jüngsten Bürgermeisterin der Türkei gewählt worden war, beschloss sie, ein Filmporträt über sie zu drehen.  Für ihren Diplomfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg fuhr Özarslan in die Stadt Cizre und begleitete die optimistische Politikerin auf ihren ersten Wegen im Amt bis hin zu ihrer Inhaftierung. Immer wieder kontrastiert der Film dabei das beschauliche Leben in Bremen, wo Leyla aufwuchs, mit der prekären Sicherheitslage im türkischen Kurdengebiet unweit der Grenzen zu Syrien und dem Irak.

Leyla Imret wird 1987 oder 1988 in Cizre geboren. Als sie fünf Jahre alt ist, wird ihr Vater, ein örtlicher Kommandeur der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK, bei einem Gefecht mit türkischen Soldaten getötet, ihre Mutter verschleppt und gefoltert. Das Mädchen kommt zu einer Tante in der Nähe von Bremen.

20 Jahre später kehrt Leyla in ihre Heimat zurück, sieht ihre Mutter wieder und beginnt, sich politisch für die prokurdische Partei BDP (Partei für Frieden und Demokratie) zu engagieren, die mit der ebenfalls pro-kurdischen HDP kooperiert.  Mit einem Spitzenwert von 81 Prozent gewinnt sie als Kandidatin dieser Partei die Kommunalwahl. Ihr Programm: die vom Bürgerkrieg gezeichnete Stadt verschönern, Spielplätze bauen und Bäume pflanzen. Dabei möchte Asli Özarslan sie filmisch begleiten.

Doch der Frieden hält nur kurz. Vor der Parlamentswahl im Juni 2015 gibt es in der Kurdenmetropole Diyarbakir blutige Anschläge auf Versammlungen der HDP. Die Partei fährt zwar ein glänzendes Wahlergebnis ein, aber die politische Großwetterlage verschlechtert sich. Nach einem Selbstmordanschlag im kurdisch bewohnten Suruç durch die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) ermordete die PKK in der türkisch-syrischen Grenzstadt Ceylanpinar zwei türkische Polizisten, denen sie Kollaboration mit dem IS vorwarf. Kurz darauf flog die türkische Luftwaffe Angriffe auf PKK-Stellungen in den Kandil-Bergen im Irak. Die PKK hob daraufhin die von ihrer Seite im März 2013 verkündete Waffenruhe auf.

Das Filmteam muss heimkehren. Weil Leylas Tante in Bremen Kontakt zu Verwandten in Cizre hält, erfahren wir, dass Leyla untergetaucht ist. Die Bürgermeisterin ist angeklagt, in einem Interview zum Bürgerkrieg aufgerufen zu haben. Als das Filmteam nach Monaten wieder nach Cizre reisen darf, ist Leyla ihres Amtes enthoben. Im Dezember 2015 rückt das türkische Militär mit schweren Waffen vor.  Leyla wird festgenommen, mangels Beweisen wieder freigelassen und wartet auf einen Gerichtstermin.

Im März 2016 dokumentiert die Kamera in Cizre viele zerschossene Häuser, der Anblick des Trümmerfelds erinnert an Bilder aus Aleppo. Später berichtet Leyla in einem türkischen Parlamentsausschuss, dass während der 85-tägigen Blockade in Cizre etwa 300 Menschen getötet wurden. „Es war ein großes Massaker. Viele Opfer sind lebendig verbrannt.“

Bei Leyla kommen Erinnerungen an den gewaltsamen Tod ihres Vaters hoch, der sie damals liebevoll „Dil Leyla“ (Leyla, mein Herz) nannte. Trotz allem gibt Leyla nicht auf. Im Juni 2016 reichen deutsche Anwälte Klage gegen die Regierung in Ankara wegen Kriegsverbrechen in Cizre ein. Leyla darf das Land nicht verlassen, bis ihr Urteil gefällt ist. Nach Angaben des Filmverleihs steht sie unter Hausarrest und ist nicht zu erreichen.

Die filmische Fallstudie macht mit eindringlichen Bildern anschaulich, wie hindernisreich und langwierig der Kampf für demokratische Verhältnisse und einen hinreichenden Minderheitenschutz in der Türkei ist.

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Was wäre wenn alle hiesigen Bürgermeister zum Kampf gegen die deutsche Regierung aufriefen? Wie würde Deutschland reagieren wenn eine Minderheit mit Bombenanschlägen das Land bekämpft?

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