Spätestens seit Niklas Luhmanns soziologischer Studie über „Die Realität der Massenmedien“ gehört zum kleinen Medien-Einmaleins die Einsicht: „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir über die Massenmedien.“ Doch das Weltbild, das dort gezeichnet wird, blendet einen Großteil der Welt aus. Mit fatalen Folgen. Denn wir wissen: Manchmal kann nur konsequente Berichterstattung das öffentliche Bewusstsein schaffen, um Probleme auch politisch aufzugreifen. Wenn Themen wie der Hunger weltweit oder humanitäre Katastrophen nicht in den Medien vorkommen, erfährt die Katastrophenhilfe von Hilfsorganisationen keine Unterstützung.
Mehr Königshaus als Hunger
In der ersten Jahreshälfte 2022 wurde in der Tagesschau über das britische Königshaus umfangreicher berichtet als über den Hunger in vielen Ländern. Der Sport bekam mehr Sendezeit als alle Staaten des globalen Südens zusammen. Diese Länder drohen in der Nichtbeachtung zu verschwinden. Und das, obwohl viele von ihnen von gewaltigen Katastrophen erschüttert werden.
So wie Pakistan, das diesen Sommer von heftigen und langanhaltenden Monsunregen getroffen wurde. 33 Millionen Menschen waren davon betroffen, 6,4 Millionen Menschen gerieten in Not, 1130 Menschen sind gestorben, darunter 400 Kinder. Über eine Million Häuser wurden zerstört, Brücken und Straßen in weiten Teilen des Landes wurden unterspült oder sind ganz verschwunden. Die Mehrheit der betroffenen Menschen lebt unterhalb der Armutsgrenze, hat nicht genug Geld, um Lebensmittel zu kaufen. Für Millionen von Kindern bricht der Zugang zu Bildung einfach ab. Doch davon in den deutschen Medien kaum ein Wort.
Die Aufteilung der Berichterstattung ist eine Schande. Ob die extremen Hitzewellen auf dem indischen Subkontinent, die Menschenrechtsverletzungen und die angespannte humanitäre Lage in der Bürgerkriegsregion Tigray in Äthiopien oder die heftigsten Fluten in Bangladesch und Indien seit Jahren: Alle diese Themen werden in den Nachrichten nur marginal behandelt. Vor allem aber auch die katastrophale Ernährungslage in den vom Krieg zerstörten Ländern Syrien, Jemen und Afghanistan fand fast gar keine Berücksichtigung. Auf den globalen Hunger entfielen gemäß der Heidelberger Studie etwa 0,4 Prozent der Sendezeit der Tagesschau. So hat sich die wichtigste deutschsprachige Nachrichtensendung im ersten Halbjahr 2022 in etwa 1030 Minuten ihrer Sendezeit mit dem Ukraine-Krieg, in circa 287 Minuten mit der Coronapandemie und in lediglich 13 Minuten mit dem globalen Hunger beschäftigt.
Was ist berichtenswert?
Die Mitteilung von Unicef von Ende April dieses Jahres, dass mindestens zehn Millionen Kinder als Folge einer schweren Dürre am Horn von Afrika vom Hungertod bedroht sind, hat es gar nicht erst in die Tagesschau geschafft. Es scheint, dass der Hungertod von Tausenden von Menschen seinen Status als berichtenswerte Nachricht verloren hat.
Es sei diesmal in eigener Sache gesagt: Ich bin dankbar für ein Format wie „welt-sichten“, das nicht nur den Blick auf unsere Eine Welt beständig weitet, sondern auch Stimmen und Perspektiven aus den Ländern des globalen Südens so konsequent Raum schafft. Dieser Blick über den Tellerrand auf globale Entwicklungen und Zusammenhänge hätte womöglich auch Karl Valentin gefallen. Was die Lektüre seiner bayrischen Medien bei Lesern bewirkte, beschrieb er einst so: „Vater liest Zeitung – daher der Name Fatalist.“
Schiefe Berichterstattung
Nun lese ich schon etwa 10 Jahre welt-sichten. Immer häufiger ist schon auf der Frontpage der Alarmruf zu hören/sehen: Das Dach brennt! Was in den Berichten immer fehlt ist die Mitteilung, an den Zuständen ist kaum etwas zu ändern. Wenn sich die Weltbevölkerung wie zu erwarten weiter ungebremst vermehrt, werden mehr Menschen jährlich verhungern. Ihre Aufrufe gehen ins Leere. Durch meine Kontakte z.B. nach Namibia weiss ich, eine alleinstehende Frau hat dort nicht selten zehn oder mehr Kinder. Wenn ich Ihren Text richtig verstehe, soll der wohlhabende Teil der Welt verhindern, dass Kinder verkommen oder verhungern. Das erscheint mir zu kurz gedacht.
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