Junge Frauen und Männer aus Entwicklungsländern können sich seit diesem Jahr mit dem Freiwilligendienst „weltwärts“ in Deutschland sozial engagieren. Ben Macharia aus Kenia und die Bolivianerin Aguirre Adriana Espinoza haben die Chance genutzt.
Ben Macharia will helfen, die Schwachen und Kranken zu versorgen. Deshalb ist der junge Kenianer nach Deutschland gekommen. In ein Seniorenheim in der Brandenburger Vorstadt in Potsdam, zwischen grünen Alleen, Altstadtvillen, See und Schlossgarten. Im Speiseraum des Hasenheyer-Stifts serviert der 25-Jährige das Mittagessen. Leichtfüßig tänzelt er zwischen den Tischen, hilft den weißhaarigen Damen beim Aufstehen, nimmt sie lächelnd am Arm, wenn er sie zurück auf die Zimmer bringt.
Dass Ben Macharia für sie da ist, haben die Senioren und Seniorinnen einem Projekt der deutschen Entwicklungshilfe zu verdanken: dem neuen Süd-Nord-Austausch von „weltwärts“. Der Freiwilligendienst ermöglicht seit 2008 jungen Leuten einen Aufenthalt in den Partnerländern der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Bislang wurden nur Deutsche unterstützt, die im Ausland in sozialen Einrichtungen, Umweltverbänden oder Entwicklungsorganisationen mitarbeiteten. Hilfsorganisationen haben das Programm deshalb immer wieder als einseitig kritisiert.
Seit diesem Jahr können mit „weltwärts“ erstmals junge Freiwillige aus Afrika, Lateinamerika oder Asien nach Deutschland kommen. Drei Jahre läuft die Pilotphase, die Nachfrage ist groß. 2014 wurde das geplante Kontingent von 100 auf 150 Plätze erhöht. Das Programm ermöglicht, was für viele unerreichbar ist: ein bezahltes Praktikum, Unterkunft, Sprachkurs – und ein Visum für Deutschland. Viele Afrikaner riskieren dafür ihr Leben. Ben Macharia fand einen anderen Weg.
Während eines Deutschkurses im Goethe-Institut hört der gelernte Reiseführer von „weltwärts“. Weil er seit Jahren ehrenamtlich als Rettungshelfer arbeitet, bewirbt er sich für einen Platz in der Pflege. Er wird angenommen und beantragt sein Visum. Zwei Gespräche habe es gebraucht, um die Frau im deutschen Konsulat zu überzeugen, dass er kein somalischer Terrorist sei, erzählt er. Das Flugzeug nach Berlin besteigt er im April, einen Monat später als geplant.
Bei den Mitarbeitern und Bewohnern im Seniorenstift kommt der charmante junge Mann mit Tattoos und Piercing gut an. Die Arbeit macht ihm Spaß. Nur die Abende in seinem Zimmer unter dem Dach des Altersheims sind hart. „Wenn man alleine ist, ist alles grau“, sagt er. Dabei hat er sich bewusst für Potsdam entschieden: viel Grün, viel Wasser. Auf den Bildern im Internet habe es fast ausgesehen wie in Nairobi. Doch während der ersten drei Monate ist vieles fremd und manches schlimmer als in seiner Heimat. Vor allem der Rassismus. Am Bahnhof fällt ihn plötzlich ein junger glatzköpfiger Mann an, stößt ihn vom Fahrrad und schreit „Scheißneger“.
Für Aguirre Adriana Espinoza war der Start in Deutschland einfacher. Die Bolivianerin ist seit Januar in Koblenz. „Ich habe nie Probleme gehabt, die Leute fragen mich schon auf der Straße nach dem Weg“, sagt sie. Als Pfadfinderin ist sie gewohnt, sich in einer fremden Umgebung zurechtzufinden. In Koblenz ist sie beim Stamm St. Franziskus engagiert, kümmert sich dort um den Nachwuchs, fährt mit auf Zeltlager und findet so schnell Anschluss. Auch das Essen schmeckt der Vegetarierin hier besser als in Bolivien.
Dort hat die 22-Jährige zuvor drei Jahre Umweltingenieurwissenschaft studiert. Ihre Heimatstadt Cochabamba ist hierzulande vor allem wegen des Streits über die kommunale Wasserversorgung bekannt. Im Haus ihrer Eltern gibt es den ganzen Tag fließendes Wasser, ihre Mutter ist Zahnärztin, ihr Vater lehrt an einer Hochschule. Schon als Jugendliche reiste sie mit den Pfadfindern durch Europa. Sie wusste, was sie hier erwartet.
Überrascht war sie nur, als sie zum ersten Mal ihren Arbeitsplatz in den Rhein-Mosel-Werkstätten in Koblenz besuchte. Dort sind rund 800 Menschen mit Behinderung beschäftigt. Sie habe nicht erwartet, dass die Einrichtung so groß ist, sagt sie: „In Bolivien gibt es so etwas nicht.“ Wenn sie nicht mit den Pfadfindern unterwegs ist, arbeitet sie von acht bis 16 Uhr in der Werkstatt, hilft beim Toilettengang und unterstützt die Beschäftigten bei den einfachen Handgriffen: Sie kleben für einen Discounter Sicherheitsetiketten auf Weinflaschen oder montieren Kabelklemmen. Sie versteht, was die Beschäftigten wollen, auch wenn sie nach einem Monat Deutschkurs nicht immer die richtigen Worte findet. Die Arbeit sei gut, alle seien nett und warmherzig, sagt sie.
Den Platz in Koblenz hat sie über die Organisation Soziale Friedensdienste im Ausland (SoFiA) bekommen. Bei der Suche nach Plätzen für die Freiwilligen greifen die Vermittler von SoFiA auf Plätze des Bundesfreiwilligendienstes zurück, meist in sozialen Einrichtungen. Nun steht mit „weltwärts“ ein weiterer Fördertopf bereit. Espinoza hörte von dem Programm erst, als Entwicklungsminister Gerd Müller sie zum offiziellen Start des neuen Süd-Nord-Austauschs persönlich in Berlin empfing.
Ein paar Monate bleiben Aguirre Espinoza noch in Deutschland. Die will sie nutzen, um besser Deutsch zu lernen. Auch um die jungen Pfadfinder besser zu verstehen und ihnen mehr von Bolivien erzählen zu können. Später will sie ihr Studium abschließen und einen Doktor machen. „Den hat mein Vater, also will ich auch.“ Vielleicht wird sie dafür nach Deutschland zurückkommen, die Umwelt ist schließlich eine große Wissenschaft hier.
Deutschland ist eben anders, aber nicht schlecht
Auch der Kenianer Ben Macharia kann sich vorstellen, länger zu bleiben. Sein Leben in Potsdam hat Farbe bekommen. Im Sommer trainiert er jeden Abend mit seinem Rennrad, erkundet dabei die Umgebung. Die Wochenenden verbringt er öfter mit Arbeitskollegen oder deren Kindern. Und seit er bei einem „weltwärts“-Seminar andere Freiwillige kennengelernt hat, ist er mit seinen Sorgen nicht mehr allein.
Nach dem Freiwilligenjahr will er eine Ausbildung als Krankenpfleger machen – wie seine Eltern und seine Schwester. Nur eben nicht in Kenia, wo die Konkurrenz hart sei und man sich nicht spezialisieren könne, sondern in Deutschland. Er hofft, dass ihm seine Erfahrung im Altersheim hilft. Vorausgesetzt seine Chefin setzt ihn in den nächsten Monaten auch bei der Altenpflege ein.
Deutschland sei eben anders, aber nicht schlecht, sagt er. Und selbst wenn der Winter hart und kalt wird und das Heimweh nicht schwindet, er will sich durchbeißen: „Es geht immer nach vorne.“ Er habe sich dafür entschieden, seine „Komfortzone“ in Kenia zu verlassen, sagt er. Er wollte sich selbst fordern, sich beweisen, dass es geht – und mit dem Erlebten wachsen. Ben Macharia ist auch nach Deutschland gekommen, um sich selbst zu verwirklichen. (Sebastian Drescher)
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