Ein unwiderstehliches Angebot

Seit gut zwei Jahren fördert Ghana Öl. Das Gas, das dabei austritt, soll verflüssigt werden. China baut die Anlage dafür – und das ärgert viele Ghanaer.

Ein langes schwarzes Rohr hängt am Kran. Vorsichtig manövriert Isaac Bley es mit einem Kollegen Richtung Waldschneise. Nach drei Monaten Arbeit bei der staatlichen chinesischen Ölgesellschaft SINOPEC hat er die Nase voll: „Wir arbeiten zwölf Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, seit drei Monaten. Am Anfang haben wir 20 Cedis am Tag bekommen. Dann haben die Chinesen gesagt, wir seien zu viele, und den Lohn auf 15 Cedis (knapp 6 Euro) gekürzt.“

Isaac ist einer von 45 ghanaischen Arbeitern, die im Südwesten von Ghana eine neue Gasleitung verlegen. Das Gas wird bei der Ölförderung im sogenannten Jubilee-Field 60 Kilometer vor der Küste  freigesetzt. SINOPEC errichtet bei der Ortschaft Atuabo seit vergangenem August eine Gasverflüssigungsanlage. Von dort soll die Leitung weiter an der Küste entlang nach Takoradi führen, wo das Gas in die Westafrican Pipeline eingespeist und das Elektrizitätswerk Aboadze mit Energie versorgt werden soll. Für alle Arbeiten an der 200 Kilometer langen Leitung, die von Schweißern, Ingenieuren und Facharbeitern verrichtet werden, hat SINOPEC eigene Leute mitgebracht. Eine Handvoll Ghanaer hat die Häuser für die Chinesen errichtet, danach wurden sie entlassen. Die Büros bauen die Chinesen selbst. „Die werden täglich mehr“, sagt Isaac, der am Monatsende mit etwa 230 Euro nach Hause geht. Von einem der wenigen englischsprechenden Chinesen weiß er, dass die Chinesen das Dreifache verdienen.

Autorin

Andrea Stäritz

ist freie Journalistin und Wahlbeobachterin unter anderem für die Europäische Union (zuletzt im Senegal).

Seit Dezember 2010 fördert Ghana Öl im Jubilee-Field, das von  einem Konsortium einiger kleiner Ölfirmen unter Federführung des irisch-britischen Konzerns Tullow Oil erschlossen wurde. Das Feld gilt mit einem Vorrat von 490 Millionen Barrel Öl als der größte Fund vor der westafrikanischen Küste seit Jahrzehnten. In der Folge vergab Ghana weitere 70 Lizenzen, allein im vergangenen Jahr wurden 16 neue Felder gefunden. Der Ölboom beschert dem Land seit einigen Jahren hohe Wachstumsraten, seit Ende 2010 gilt Ghana als Land mit mittlerem Einkommen. Von Beginn an wollte die Regierung dafür sorgen, dass – anders als beim großen Nachbarn Nigeria – auch die Bevölkerung von den Öleinnahmen profitiert und die Umwelt in den Fördergebieten möglichst wenig leidet. So war vorgesehen, das bei der Ölförderung austretende Gas nicht einfach abzufackeln, sondern aufzufangen und zur weiteren Verwendung zu verflüssigen. Eigentlich sollte die dafür nötige Anlage seit 2010 stehen, aber nach den Präsidentschaftswahlen Ende 2008 wurde das Vorhaben zunächst gestoppt. Der Grund: Der Wahlsieger John Atta Mills vom sozialdemokratischen „National Democratic Congress“ (NDC), der zuvor in der Opposition gewesen war, wollte einiges anders machen als sein Vorgänger John Kufuor, unter dem die Ölförderung Chefsache gewesen war.

Hezel Ferguson ist am Ende. „Wir können das auch, aber wir bekommen keine Chance“, flucht er. Ferguson hat gut 2000 Schweißer, Klempner und Installateure in Takoradi ausgebildet. Mit viel Engagement hat er eine Ausbildungsstätte aus dem Boden gestampft. Er kam 2008 aus Nigeria in sein Heimatland zurück und wollte daran mitarbeiten, dass das Unrecht, das dort mit der Ölförderung einhergeht, sich nicht in seiner Heimat wiederholt.

Wütend wirft er einen Packen Abschlusszertifikate seiner Auszubildenden auf den Tisch: Alle sind ohne Job. Ursprünglich hatte die CAF-Holding, eine Firma aus Trinidad und Tobago in der Karibik, den Auftrag für die Gasverarbeitungsanlage bekommen und Ferguson seine Leute entsprechend qualifiziert. Trinidad und Tobago gilt als Erfolgsmodell: Das Land hat hundert Jahre Erfahrung in der Öl- und der Gasindustrie, die bis heute in Staatsbesitz sind. Der Aufbau von einheimischen Kapazitäten und die Zusammenarbeit mit lokalen Firmen sind Teil der staatlichen Förderpolitik. Sein Wissen und seine Erfahrungen bietet das Land nun anderen, jungen Förderländern an – eine Süd-Süd-Kooperation der besonderen Art.

Die ausgebildeten Ghanaer stehen auf der Straße

Ferguson hatte mit den Investoren aus Trinidad und Tobago verabredet, dass sie seine Auszubildenden übernehmen. Doch dann bekam China den Auftrag für die Anlage und Fergusons Männer gingen leer aus. Jetzt verlangen sie die Gebühren zurück, die sie für die Ausbildung gezahlt haben, und werfen ihm falsche Versprechen vor. Ferguson ist bankrott.

Noch im Juni 2011 gingen alle in Ghana von einem Deal mit Trinidad und Tobago aus. Die Firma CAF Holdings hatte sich erfolgreich gegen Angebote aus Indien, Nigeria und Korea durchgesetzt. Doch nur zwei Monate später peitschte die Regierungsmehrheit einen Milliarden-Kredit mit China durchs Parlament und die Karten wurden neu gemischt. Im September 2011 wurde das Projekt zur Gasverflüssigung neu ausgeschrieben, im November ein Abkommen mit China unterzeichnet, dass SINOPEC die Anlage baut.

Bereits ein Jahr davor, im September 2010, war Präsident Atta Mills auf Staatsbesuch in Peking gewesen. Das Paket, das dort für ihn geschnürt worden war, war offenbar zu verführerisch: Die Exim Bank of China sagte einen Kreditrahmen von insgesamt 10,4 Milliarden US-Dollar für Entwicklungs- und Infrastrukturprojekte zu. Darüber hinaus vereinbarten Präsident Hu Jintao und Atta Mills einen Kredit der China Development Bank über 3 Milliarden Dollar  für die Öl- und Gasinfrastruktur sowie weitere Darlehen für kleinere Projekte. Insgesamt will China sich mit bis zu 15 Milliarden US-Dollar in Ghana engagieren.

Der Kredit für die Öl- und Gasinfrastruktur sorgt in Ghana für heftige Diskussionen in Politik und Gesellschaft. Denn im Gegenzug verlangt China 60 Prozent der Aufträge, die mit der Gasaufbereitungsanlage verbunden sind; auf die Anlage allein entfallen 800 Millionen Dollar des Kredits. Die Opposition und die Zivilgesellschaft protestierten, als bekannt wurde, dass fast ein Viertel des Kredits pauschal an SINOPEC weitergereicht werden soll. Doch die Regierung in Accra und die neu gegründete staatliche Gasgesellschaft Ghana Gas rechtfertigten den Vertrag mit Peking mit Zeitdruck: Seit Beginn der Ölförderung wird das Gas wieder zurück in den Meeresboden gepresst. Doch das ist auf Dauer nicht möglich; Tullow Oil setzte eine Frist bis Februar 2013. Danach muss das Gas verbrannt werden, wenn die Anlage zur Verflüssigung nicht fertig ist. Und China steht dafür, Vorhaben schnell und zuverlässig zu erledigen. Im April 2012 unterzeichneten beide Länder die erste Tranche in Höhe von einer Milliarde US-Dollar.

Die Zivilgesellschaft und die Opposition kritisieren den Deal auch deshalb, weil die ghanaische  Regierung China die Lieferung von 13.500 Barrel Öl täglich im Gegenzug für den zinsgünstigen Drei-Milliarden-Kredit zugesagt hat – und das für die nächsten 15 Jahre. Damit hat Ghana fast seinen gesamten Anteil am Jubilee-Feld verpfändet, denn die nationale Ölgesellschaft hält lediglich 13,75 Prozent an dem Konsortium, das dort zurzeit etwa 120.000 Barrel täglich fördert. Das verstoße gegen das Gesetz zur Verwaltung der Ölreserven, sagen Kritiker. Denn dort sei festgelegt, dass keine Verträge über die Verwendung der Ölreserven geschlossen werden dürfen, die Ghana länger als zehn Jahre binden.

Ghana Gas wirbt damit, Ghanaer würden vom Bau profitieren. Das Vorhaben biete Chancen für lokale Transport- und Bauunternehmen, Sicherheitsdienste, Müll- und Cateringservices. Allerdings ist davon außer der Werbung eines Sicherheitsdienstes an den Baustellen für die Anlage nicht viel zu sehen. Selbst Köche haben die Chinesen mitgebracht. Der Finanzdirektor von Ghana Gas, Baluri Kassim Bukari, rechtfertigt das so: Es mangele den Ghanaern an Arbeitsmoral; ständig gingen seine Landsleute zu Hochzeiten und Beerdigungen und nähmen sich deswegen frei.

Um in der Bevölkerung den Rückhalt für den Einsatz der Chinesen zu fördern, wurden in allen Städten und Dörfern rund um das Gasprojekt „Community Liaison Officers“ eingestellt, Verbindungsleute, die zwischen den Projektverantwortlichen und den Dorfbewohnern vermitteln sollen. Patricia Kabena ist eine von ihnen. Ihre Familie wohnt gut einen Kilometer von der Anlage entfernt, auf deren Gelände sie arbeitet. Sie hält die Presse fern und kontrolliert, dass kein Unbefugter das Areal betritt. Sie hat Betriebswirtschaft studiert und hofft auf eine spätere Anstellung bei Ghana Gas.

John Darkoh, ein anderer Verbindungsmann, sieht  seine Aufgabe darin, die Chinesen zu kon­trollieren. Denen mangele es an kultureller Sensibilität. Er hat in China studiert und dient als Mittler zwischen den Dörfern und den Baustellen. Sein Glanzstück: Er vermittelte zwischen SINOPEC und dem örtlichen Fetischpriester, als ein Baum, in dem sich ein Gottesschrein befindet, der Anlage weichen musste. Nachdem ein paar Kühe, Ziegen und Hähne geopfert worden waren, konnte der Schrein umziehen. Ghana Gas schlachtete den Fall ausgiebig medial aus und präsentierte ihn als Beispiel für vorbildliche Unternehmensverantwortung.

Die Verbindungsleute aus den Dörfern können auch Jobs verschaffen. Felix Arthur ist „Community Liaison Assistent“ aus einem kleinen Dorf an der Gasleitung. Er hat eine Handvoll seiner Leute als Tagelöhner an SINOPEC vermittelt. Wenn die Leitung geschweißt ist, zieht der Trupp weiter und rekrutiert Leute aus dem nächsten Dorf. So bleiben in jedem Dorf einige hundert Cedis hängen.

Frank Buah ist in Atuabo, wo die Anlage gebaut wird, der lokale Bau-Tycoon und gilt als einer der großen Geldgeber der Regierungspartei NDC. Ohne grünes Licht von ihm gibt es kein Interview, heißt es rund um die Baustelle. Buah baut für die Chinesen das Fundament der Gasverarbeitungsanlage; seine Subunternehmen haben fast alle anderen ghanaischen Firmen bei der Ausschreibung ausgestochen. Er habe seinen Bruder in die Politik geschickt, erklärt Buah auf der in gediegenem Holz gehaltenen Veranda seines  Anwesens, etwa zehn Kilometer außerhalb von Atuabo. Mit Erfolg: Emmanuel Armah-Kofi Buah ist nicht nur Parlamentsabgeordneter, sondern auch frischgekürter Energieminister.

Auch Sipah Yankey, der Geschäftsführer von Ghana Gas, stammt aus der Region. Für die Leute hier ist es keine Überraschung, dass das Projekt in ihrer Heimatprovinz angesiedelt ist. Als die heutige Oppositionspartei NPP noch an der Macht war, war die Anlage für den Nachbarwahlkreis vorgesehen. 

Ghanas staatliche Firmen entziehen sich der Kontrolle

Im Dezember 2010 hatte die Weltbank Ghana einen Kredit über 38 Millionen Dollar für das sogenannte Oil & Gas Capacity Building Project (OGCBP) gegeben. Mit dem Geld sollten die Zivilgesellschaft gestärkt, Fachkräfte in der Verwaltung und Arbeiter für die Baustellen geschult werden. Bis Ende 2012 wurden jedoch lediglich Mittel für die Modernisierung des Energieministeriums in Anspruch genommen. Die Berufsschule Kikam Technical Institute hinggen, keine 20 Minuten von der Anlage entfernt, wartet seit 2010 auf Geld, obwohl sie in dem Weltbank-Projekt ausdrücklich genannt wird. Auch Ghana Gas nennt das Institut als einen seiner Kooperationspartner. Kikams Direktor John P. Appiah hat davon bisher nichts gemerkt: „Wir haben die Kapazitäten, wir haben ausgebildete Rohrleger, aber niemand hat uns angesprochen.“ Gerne würde er einen Ausbildungsgang im Bereich Öl und Gas anbieten, aber es fehle an Werkzeugen und Maschinen. Der Kontakt zur Industrie sei „sehr, sehr schwierig“.

Um schnell zum Ziel zu kommen, ist öffentliche Kontrolle hinderlich. Obwohl Ghana Gas und das Mutterunternehmen, die Ölgesellschaft GNPC, Staatsbetriebe sind, operieren sie als Kapitalgesellschaften mit beschränkter Haftung. Damit entziehen sie sich der Kontrolle durch den Rechnungshof und das Parlament, moniert Steve Manteaw vom zivilgesellschaftlichen Öl- und Gas-Forum. „Der Geschäftsführer von Ghana Gas hat öffentlich gesagt, er unterstehe nicht dem Ministerium und gebe daher keine Auskunft. Das verstößt eindeutig gegen unsere Gesetze.“

Ghana wird jährlich Gas für 100 Millionen US-Dollar verlieren

Das Team von Steve Manteaw hat ausgerechnet, dass dem ghanaischen Staat durch den Vertrag mit China ein Schaden von gut 140 Millionen Dollar entstanden ist. Zum einen seien die Rohre zu teuer: SIPSC, eine Tochter der chinesischen Ölgesellschaft SINOPEC, veranschlage für jeden Kilometer 1,6 Millionen Dollar mehr, als die ersten 14 Kilometer Unterwasserrohre gekostet haben, die noch vom ghanaischen Staatsunternehmen GNPC verlegt worden waren. Der höhere Preis gehe unter anderem auf künstliche Zwischenhändler wie die in Dubai registrierte Firma SAF Petroleum zurück. Die ist laut Manteaw offiziell mit der Materialbeschaffung beauftragt und verkaufe die Rohre mit einem Aufpreis an SIPSC. SAF Petroleum wird von derselben Direktorin geleitet wie die SINOPEC-Tochter SIPSC.

Zum anderen habe sich SINOPEC bei der Anlage zur Gasverflüssigung für ein Angebot entschieden, das 40 Millionen US-Dollar teurer sei und weniger leiste als eine vergleichbare Fabrik der Konkurrenz. Der einzige Vorteil der georderten Anlage war, dass der Hersteller zusicherte, noch vor den Wahlen im Dezember 2012 zu liefern. Weil sie aber nur 46 Prozent des Gases verflüssige statt 85 Prozent wie das Konkurrenzangebot, entgehen dem Staat laut Steve Manteaw 100 Millionen Dollar jährlich. Im vergangenen Oktober forderte Manteaw in einer Fernsehsendung Präsident John Dramani Mahama auf, Transparenz herzustellen. Angesichts der Millionenbeträge versprach Mahama, eine Untersuchungskommission einzurichten und die Verträge zu überprüfen. Das war vor den Wahlen im Dezember. Ergebnisse stehen noch aus.

China hat seine Zusage, die Anlage in nur vier Monaten bis Dezember 2012 zu bauen, nicht erfüllt. Im Januar erklärte Sipah Yankey von Ghana Gas, die Produktion werde auch nicht im Februar, sondern erst im Juli anlaufen. Das Finanzministerium habe Anzahlungen nicht fristgerecht angewiesen, daher hätten die Hersteller ihre Aufträge storniert. Ghana entgehen so jeden Tag 1,2 Millionen US-Dollar Einnahmen, hat ein der oppositionellen NPP nahe stehendes Institut ausgerechnet. Und an der Westküste sieht man seit Monaten nachts einen Feuerschein auf dem Meer. Er kommt vom Jubilee-Feld, wo das Gas offiziell nicht verbrannt, sondern in den Meeresboden gepresst wird.

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erschienen in Ausgabe 3 / 2013: Neue Geber: Konkurrenz stört das Geschäft
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