Gemeinsam heiße Eisen anpacken

Angesichts der Krisen, die es zu bewältigen gilt, scheinen die Grenzen zwischen Religionen und Konfessionen überholt. Konflikte friedlich lösen, einen gerechten Zugang zu politischer und wirtschaftlicher Macht schaffen und die Schöpfung pfleglich behandeln, sind menschliche Werte, die gemeinsam verteidigt werden müssen.

Ist die Ökumene Schnee von gestern oder gibt es sie noch? Für mich als Direktor von Fastenopfer eine nicht ganz irrelevante Frage. Warum? Weil wir dieses Jahr zum vierundvierzigsten Mal zusammen mit Brot für alle unsere ökumenische Fastenkampagne durchführen, dieses Jahr zum Thema „Ohne Land kein Brot“. Die Ökumene treibt unsere Arbeit in der Schweiz an – und wir sind zu Recht stolz darauf. Es ist uns gelungen, an der Basis der Kirchen, aber auch in der breiten Öffentlichkeit etwas zu bewegen. Dabei waren wir oft auch unbequem.

Gemeinsam haben wir heiße Eisen angefasst, etwa die Rolle der Schweiz in Südafrika während der Apartheid oder die Aufhebung des Bankgeheimnisses und die Steuergerechtigkeit. Was uns früher viel Schelte eingetragen hat, stößt heute erstaunlicherweise auf Zustimmung. Inzwischen dämmert es vielen in der Schweiz, dass es wohl klüger gewesen wäre, das Bankgeheimnis konsequenter zu lockern. Und dass das Wirken der großen Schweizer Rohstofffirmen unserem guten Ruf schaden könnte, hat indessen sogar unsere Regierung erkannt.

Autor

Antonio Hautle

ist Direktor des katholischen Hilfswerks Fastenopfer in Luzern.

Doch was ist der Beweggrund unserer ökumenischen Zusammenarbeit? Sicher nicht, die Reputation der Schweiz zu bewahren. Es geht uns um weltweite Gerechtigkeit und die Überwindung der Armut – bewusst aus christlicher Perspektive. Aber spielen die Christen im Europa des 21. Jahrhunderts überhaupt noch eine Rolle? Die Kirchen sind vor allem mit sich und ihren hausgemachten Problemen beschäftigt. Weil die Konfessionen sich auf dogmatischer und liturgischer Ebene nicht wirklich einander nähern, besinnen sie sich auf sich selbst. Als Folge zahlreicher Skandale steht vor allem die katholische Kirche in der Öffentlichkeit stark unter Beschuss. Rückzug statt Öffnung scheint die Devise zu lauten. Schweigen anstelle von geschwisterlicher Auseinandersetzung über die gemeinsame Praxis des christlichen Glaubens. Haben die christlichen Kirchen in Europa als wichtige soziale und kulturelle Kraft ausgedient?

Darüber hinaus scheint sich die Landschaft der Religionen ohnehin zu radikalisieren: Pseudoangebote wie Scientology allenthalben; islamfeindliche Angstmache und zugleich das Erstarken radikaler Kräfte nicht nur in Europa; radikale Freidenker, die den öffentlichen Raum von religiösen Zeichen, Aktivitäten und Privilegien reinigen wollen. Die einen wollen gar keine Religion mehr, die andern sehen die Zukunft in einem nach ihrer religiösen Ideologie geprägten Europa. Sogar rechtskonservative Parteien in der Schweiz haben das Christliche als identitätsstiftend entdeckt; christliche Werte sollen nun das gleiche bedeuten wie „gutschweizerisch“. Eine größere Perversion des christlichen Gedankenguts kann ich mir nicht vorstellen.

Rückzug statt Öffnung scheint die Devise der katholischen Kirche zu lauten

Aber genug des Lamentos: Es gibt zum Glück auch eine frohe Botschaft. Und damit bin ich zurück bei der Ökumene. Die darf nicht ausgedient haben! Und die abendländische Aufklärung ebenso wenig. Wir müssen uns damit befassen, wie die Zukunft unserer Erde aussehen soll. Weder die Kirchen noch die europäische Kultur bestimmen den Lauf der Welt. Unser Einfluss hat eindeutig abgenommen. Ich betrachte das als Chance, die wir wahrnehmen müssen. Als Europäer und Europäerinnen mit einer reichen Geschichte, die ihre Vorherrschaft abgegeben haben, sind wir wie geschaffen für den Dialog auf Augenhöhe.

Partnerschaftlich miteinander umgehen, Konflikte friedlich lösen, gerechten Zugang zu politischer und wirtschaftlicher Macht schaffen und die Schöpfung so nutzen, dass auch unsere Nachkommen davon leben können – das sind nicht nur christliche, sondern vor allem menschliche Werte. Und gerade in diesem Bereich haben wir christlichen Kirchen eine hohe Kompetenz und Glaubwürdigkeit, die wir einsetzen und sichtbar machen können.

Der gemeinsame Einsatz für den Aufbau einer gerechten Welt, in der alle Menschen gut leben können, setzt voraus, dass wir uns über Konfessions- und Religionsgrenzen hinweg darüber verständigen, wie eine solche Welt aussehen könnte. Ich weiß, das ist nicht sehr fromm und löst die Probleme der Kirchen nicht. Aber vielleicht wäre genau das ein Weg, um von der Nabelschau weg zu kommen – schließlich hat sich Jesus auch nicht um sich, sondern um die Menschen gekümmert. Für mich ist das durchaus ein fruchtbarer ökumenischer Weg.

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erschienen in Ausgabe 3 / 2013: Neue Geber: Konkurrenz stört das Geschäft
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