Unser Geld würde wenig helfen

Japan ist von bespiellosen Katastrophen getroffen worden. Dennoch rufen Misereor und seine Partner im „Bündnis Entwicklung Hilft" nicht zu Spenden für das verwüstete Land auf. Denn erstens fehlt es dort weniger als anderswo an Geld - das Land ist reich, viele Schäden sind versichert und die Japaner spenden selbst sehr viel. Und zweitens fehlen uns die lokalen Partner, die eine sinnvolle Verwendung von Spenden sicherstellen.

Drei Katastrophen treffen ein Land: Erst das Erdbeben in ungeahnter Stärke, dann ein gewaltiger Tsunami, der ganze Städte auslöscht, und schließlich der Atom-GAU, der weitere Dörfer und Städte Japans auf Jahre unbewohnbar machen wird. Angesichts des unglaublichen Leids und der Verzweiflung der japanischen Bevölkerung ist das Bedürfnis, zu helfen, groß. Wir leiden mit den Menschen, verfolgen die Entwicklungen und sind mit unseren Gedanken bei denen, die Angehörige, Freunde und ihren gesamten Besitz verloren haben.

Autor

Josef Sayer

war bis Ende März 2012 Hauptgeschäftsführer und Vorstandsvorsitzender von Misereor.

Als Hilfswerk müssen wir uns jedoch bei jeder Katastrophe die Frage stellen: Können wir sinnvoll helfen? Haben wir einheimische Partnerorganisationen in den betroffenen Ländern, die kompetente Konzepte für Nothilfe und Wiederaufbau haben? Wird unsere Hilfe eher in Japan gebraucht als in der Elfenbeinküste, in Haiti oder in Pakistan - in Ländern, die sich aus eigener Kraft nicht helfen können und aus denen kaum mehr Berichte und Bilder die heimischen Wohnzimmer erreichen?

Das „Bündnis Entwicklung Hilft", zu dem neben Misereor auch „Brot für die Welt", die Deutsche Welthungerhilfe, terrre des hommes, medico international sowie weitere Hilfsorganisationen gehören, hat sich diesmal dazu entschlossen, keinen Spendenaufruf für Japan über seinen Kooperationspartner ARD herauszugeben. Ein solcher Aufruf hätte zweifellos zu großen Spendensummen geführt, die in dieser Höhe in einem Land wie Japan nicht bedarfsgerecht eingesetzt werden können. Japan ist die drittgrößte Industrienation der Welt. Im Wohlstandsindex der Vereinten Nationen liegt es auf Rang elf, direkt hinter Deutschland. Japanische Unternehmen repatriieren Kapital aus dem Ausland, um es jetzt im Heimatland zu investieren. Viele Schäden in Japan sind von Versicherungen abgedeckt. Und die Spendenbereitschaft der Japaner ist ebenfalls riesig, ähnlich wie in Deutschland bei der Elbeflut 2002, als der allergrößte Teil der Spenden aus Deutschland selbst kam.

Alle Organisationen im „Bündnis Entwicklung Hilft" arbeiten nach Kriterien, die sicherstellen sollen, dass die Spenden verantwortlich und seriös verwendet werden. Dazu zählen die Bedürftigkeit der Menschen, die Notwendigkeit von Hilfe aus dem Ausland sowie etablierte Beziehungen zu einheimischen Partnern. Diese Kriterien sind in Japan nicht umfassend erfüllt, so dass wir nicht guten Gewissens zu Spenden aufrufen können. Wir könnten das Geld nicht im Sinne der Spenderinnen und Spender ausgeben.

Einige Medien und Hilfsorganisationen, die selbst zu Spenden aufgerufen haben, kritisieren empört unsere Zurückhaltung - ohne dass sie die Einsatzmöglichkeiten für Hilfsgelder kritisch beleuchten. Dabei ist schon jetzt klar, dass spätestens am Jahrestag der Katastrophe dieselben Medien Berichte darüber senden werden, dass noch nicht sämtliche Spendengelder sinnvoll ausgegeben wurden.

Den Hilfsorganisationen sollte es - gemeinsam mit den Fernseh- und Rundfunkanstalten - allein um die Sache gehen: die Hilfe für Opfer von Katastrophen weltweit. Die entscheidende Frage ist, ob Spenden seriös und gemäß der Zweckbindung eingesetzt werden und man dafür die Verantwortung übernehmen kann. Unserer Einschätzung nach können derzeit nur ganz wenige deutsche Organisationen diese Bedingungen in Japan erfüllen.

Diese Position hat nichts mit einem Mangel an Mitgefühl und Solidarität zu tun. Misereor hat seit 1959 bis in die 80er Jahre Projekte in Japan gefördert. Wir haben unmittelbar nach der Katastrophe am 11. März der japanischen Bischofskonferenz unsere Hilfe angeboten. Diese hat unser Angebot (noch) nicht in Anspruch nehmen müssen. Wir sind zudem in enger Verbindung mit einem anderen langjährigen Partner, der Asian Coalition for Housing Rights. Dieses asienweite Netzwerk hilft beim Wiederaufbau auf kommunaler Ebene. Die Spenden, die wir spontan für Japan erhalten erhaben, setzen wir für diese Aufgabe ein. Ein Spendenaufruf war dafür nicht notwendig. Dafür sind wir dankbar. Sobald wir Hilfe über das normale Maß hinaus benötigen und seriös verwenden können, lassen wir das unsere Spenderinnen und Spender wissen.

 

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erschienen in Ausgabe 5 / 2011: Die Freiheit des Glaubens
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