Es begann mit 22 Cent. So viel Geld brauchte die junge Frau aus dem Dorf Jobra in Bangladesch, um sich Material für die Fertigung von Bambushockern zu kaufen. Ohne diese Summe wäre sie weiter vom örtlichen Geldverleiher abhängig und in einem Teufelskreis aus Armut und Schulden gefangen gewesen. Mohammed Yunus, damals ein junger Wirtschaftsprofessor an der Universität von Chittagong, lieh ihr den Betrag und gab auch weiteren Dorfbewohnern ein Darlehen. Die Idee, armen Menschen mit Kleinstkrediten wirtschaftlich auf die eigenen Füße zu helfen, war geboren. 1976 gründete Yunus die Grameen Bank, 30 Jahre später wurde er für sein Engagement mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
Sein Modell hat schnell Schule gemacht: Längst setzt die Entwicklungszusammenarbeit auf Mikrokredite als eines ihrer wichtigsten Instrumente. Dirk Niebel nutzte gleich seinen ersten öffentlichen Auftritt als Bundesentwicklungsminister, um sich für eine Ausweitung der Mikrofinanzierung auszusprechen. Tausende Mikrofinanzinstitutionen verleihen derzeit kleine Summen, in der Regel zwischen 50 und 1500 US-Dollar, ohne Sicherheiten und gegen Zins an rund 133 Millionen Kunden. Die sitzen nicht mehr nur in Entwicklungs- und Schwellenländern. Die Grameen Bank hat eine Filiale in New York eröffnet, auch in Deutschland, Frankreich und Großbritannien finden kleine Darlehen als Starthilfe für Arbeitslose oder Kleinunternehmer immer mehr Verbreitung.
Autorin
Gesine Kauffmann
ist Redakteurin bei "welt-sichten".Doch trotz ihrer Erfolge reißt die Kritik an Mikrokrediten nicht ab. In jüngster Zeit hat sie neue Nahrung erhalten. Ökonomen aus den USA bezweifeln in kürzlich veröffentlichten Untersuchungen, dass Mikrokredite Armut tatsächlich verringern können. David Roodman vom Center for Global Development und sein Co-Autor Jonathan Murdoch weisen nach, dass die Datenbasis einer Reihe älterer Erfolgsstudien aus Bangladesch schwach und in einigen Fällen fehlerhaft ist. Nach mehr als 30 Jahren Mikrokreditbewegung gebe es wenig solide Beweise dafür, dass sie das Leben ihrer Kunden auf messbare Weise verbessert habe, lautet ihr ernüchterndes Fazit. Zwei weitere Wissenschaftlerteams verglichen über eineinhalb Jahre das Einkommen von Familien in Indien und auf den Philippinen mit und ohne Unterstützung aus Mikrokrediten. Sie konnten nur sehr geringe Unterschiede feststellen. Gar keinen Effekt hatten die Darlehen auf die Gesundheit und die Bildung der Kinder. Diese Befunde lassen sich zwar nicht verallgemeinern, aber sie legen nahe, dass weitere Forschung notwendig ist, um die Wirksamkeit von Mikrokrediten besser einzuschätzen. Eine Auswertung von Haushaltsbüchern armer Familien ergab zudem, dass verlässliche Sparangebote für sie mindestens genauso wichtig sind wie kleine Darlehen, um über die Runden zu kommen.
Zugleich häufen sich Warnungen, dass ausgerechnet der Erfolg der Mikrokredite ihren Kunden zum Verhängnis werden könnte. Denn außer öffentlichen Gebern und nichtstaatlichen Organisationen investieren zunehmend auch große Banken und Fondsmanager in Mikrokredite. Schätzungsweise 90 Anlagefonds und -papiere mit einem Gesamtvolumen von sechs Milliarden Euro gibt es auf diesem Markt. Die Weltbank rechnet bis 2015 mit einem Zuwachs auf 15 Milliarden. Experten sprechen deshalb von einer drohenden „Mikrofinanzblase“: Es sei zu befürchten, dass Mikrofinanzinstitute künftig bei der Kreditvergabe weniger auf die Zuverlässigkeit ihrer Kunden achten, um mehr Investitionsmöglichkeiten zu bieten. Damit steigt das Risiko, dass die Kreditnehmer das Geld nicht zurückzahlen können. Die zunehmende Zahl von Mikrofinanzanbietern an einem Ort kann außerdem dazu verführen, mehrere Darlehen aufzunehmen, um einen ersten Kredit mit Hilfe eines weiteren abzulösen, und sich so zu überschulden.
Nötig sind mehr Transparenz bei der Vergabe von Mikrokrediten und eine Besinnung auf das ursprüngliche Ziel, armen Menschen die Sicherung ihres Lebensunterhaltes zu ermöglichen. Die Initiative „Micro Finance Transparency“ veröffentlicht bereits in einer Internet-Datenbank Informationen über die Höhe von Krediten und Zinsen sowie die jährliche Zinsrate von Mikrokreditanbietern. Bislang haben sich 253 Mikrofinanzinstitutionen der Initiative angeschlossen. Darüber hinaus müssten sich aber alle am Mikrofinanzmarkt Beteiligten auf gemeinsame Standards verständigen, die den Schutz der Kunden und ihre Aufklärung in Finanzfragen sowie die soziale Wirksamkeit der Kredite gewährleisten.
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