Der Südsudan steht kurz vor der Unabhängigkeit, seit April haben Kämpfe mit Milizen im Land zugenommen. Drohen dem neuen Staat innere Gewaltkonflikte?
Das kann man nicht ausschließen. Nach dem langen Krieg sind die Menschen traumatisiert und sehen keine Möglichkeit, ihre Gefühle auszudrücken außer durch Kampf. Das heißt aber nicht, dass sie übereinander herfallen werden. Sie haben sich zusammengeschlossen gegen eine fremde Regierung im Norden, die ihre Interessen missachtete. Manche der Milizführer, die im Südsudan Probleme verursachen, wurden früher vom Nordsudan unterstützt. Weil sie jetzt nicht die Position bekommen haben, die sie wollten, kämpfen sie gegen die Regierung des Südsudan. Ein Teil der Sicherheitsprobleme wird von Konflikten zwischen einzelnen Gruppen um Wasser oder Weideland verursacht. Sobald der neue Staat seine Polizei eingerichtet hat und die Einnahmen des Südsudan stabil sind, wird das abnehmen.
Welches sind jetzt die wichtigsten Aufgaben der Kirchen im Südsudan?
Unsere erste Aufgabe liegt in der Versöhnung. Hier ist noch wenig getan worden. Die Menschen sind traumatisiert. Wir möchten sie ermutigen, einander zu vergeben, die Vergangenheit ruhen zu lassen und die Last der Gräueltaten abzulegen, indem man die Täter ermutigt zu gestehen, zu bereuen und um Vergebung zu bitten. Daneben treten wir weiter als Anwälte für gute Regierungsführung auf. Wir erklären den Menschen ihre Rechte und arbeiten mit der Regierung für Demokratie. Die Kirchen haben beschlossen, nicht nur ein Wachhund zu sein in dem Sinne, dass wir beobachten und Fehler anprangern. Sondern wir wollen eine Art Leithund sein: Wenn etwas im Argen liegt, werden wir bellen, aber dann auch der Regierung helfen, es nach unserem Verständnis besser zu machen.
Stellen Kirchen auch Sozialdienste bereit?
Das haben wir schon in der Vergangenheit immer getan. Die Regierung in Khartum hat uns im Süden damit ganz alleine gelassen. Jetzt bekommt der Süden eine Regierung, deren Verantwortung es ist, das Land zu entwickeln. Wo sie das nicht leisten kann, füllen wir als Kirchen weiterhin die Lücken aus, etwa im Schul- und Gesundheitswesen.
Erwarten Sie, dass die Regierung des Südsudan die Kosten dafür übernimmt?
Nein. Wir wollen das im Rahmen unseres Mandats als spirituelle Gemeinschaften tun.
Dann benötigen Sie dafür Hilfsgelder aus dem Ausland, oder?
Ja. Wir bitten unsere Partner in den Kirchen weltweit, uns hier zu unterstützen.
In drei Gebieten an der Grenze von Nord- und Südsudan gibt es neue Kämpfe. Fürchten Sie, dass sie den Unabhängigkeitsprozess gefährden?
Ja, und das ist sehr bedenklich. Das Umfassende Friedensabkommen (CPA) von 2005 regelt die meisten Probleme im Sudan, auch die der drei Gebiete. Man müsste es nur befolgen. In Abyei ist das Problem ein Streit um Ressourcen, vor allem Erdöl. Wir als Kirchen haben beide Seiten – Khartum und Juba – aufgerufen, sich über die Verteilung des Öls zu einigen und die Bevölkerung über ihre Zugehörigkeit zu Nord oder Süd selbst entscheiden zu lassen, wie es das Friedensabkommen vorsieht. Leider passiert das nicht. In den Nuba-Bergen in Süd-Kordofan sowie in Blue Nile sollten die Menschen in einem Konsultationsprozess entscheiden, wie sie regiert werden. Auch diese Bestimmungen im Friedensabkommen sind nicht befolgt worden.
Wird der Nordsudan nach der Sezession weiter mit sich selbst im Krieg liegen?
Ja, das ist zu befürchten. In Blue Nile, in den Nuba-Bergen, aber auch in Darfur und ganz im Norden und Osten des Landes leben Bevölkerungsgruppen, deren Gebiete vernachlässigt und deren Kultur missachtet worden sind. Wenn die Regierung in Khartum nicht ihre ideologische Ausrichtung ändert und die Interessen der Minderheiten anerkennt, werden ständig Konflikte aufbrechen.
Besteht die Gefahr, dass Minderheiten im Norden wie die Christen unter noch größeren Druck geraten?
Das werden sie sicher. Der Präsident hat bereits gesagt, dass nach einer Sezession die Scharia im Norden das Recht bestimmen wird. Das ist nicht nur eine Diskriminierung gegen Christen, sondern auch zum Beispiel gegen Frauen. Und er hat gesagt, die einzige Landessprache und Kultur solle die arabische sein.
Worin sieht der Kirchenrat seine Hauptaufgabe im Nordsudan?
Für die Anerkennung der kulturellen Vielfalt einzutreten und gegen die Konzentration der Ressourcen des Landes allein auf die zentrale Region am Nil.
Finden Sie im Norden Gehör?
Ja. Und nicht nur unter den etwa eine Million Christen – auch unter Muslimen in der Zivilgesellschaft und politischen Parteien, die Ungerechtigkeit beklagen und mehr Demokratie fordern.
Der Sudanesische Kirchenrat vereint die Kirchen des Nord- und des Südsudan. Wird das nach der Sezession auf Dauer funktionieren?
Wir denken, es wird. Im Sudan brauchen wir weiter einander. Die politische Abtrennung bedeutet keine soziale Trennung. Zum Beispiel finden viele Nomaden im Nordsudan in der Trockenzeit keine Weiden und ziehen in den Südsudan. Deshalb gehören für uns die Gesellschaften im Nord- und Südsudan weiterhin zusammen – trotz der Politik ihrer Regierungen. Wir möchten als Kirchen weiter zusammenarbeiten, statt die politischen Grenzen zu übernehmen.
Werden Sie als Südsudanese an der Spitze des Kirchenrats im Nordsudan nicht verdächtigt, Interessen des Südens zu verfolgen?
Die Kirche ist immer wieder verdächtigt worden, auf der Seite der SPLM zu stehen, wenn wir zum Beispiel für die Konsultationen in Blue Nile eintraten und das zufällig mit der Haltung der SPLM übereinstimmte. Doch wir unterstützen nicht die SPLM, sondern die Wahrheit und die Interessen des Volkes.
Erschwert der Verdacht nicht die Seelsorge und die Anwaltschaftsarbeit?
Deshalb richten wir in unserem Exekutivorgan ein Sekretariat ein, das unter dem Dach des gesamten Kirchenrats bleibt, aber nahezu autonom ist. So kann es für den Norden sprechen und Dinge sagen, die wir als Südsudanesen nicht sagen können.
Das Gespräch führte Bernd Ludermann.
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