Irgendwann an diesem Morgen platzt einem Afrikaner der Kragen. „Es ist nicht fair, hier nur eine Minute Zeit zu haben und vorher eine halbe Stunde zu warten“, schimpft er ins Mikrofon. Der Diskussionsbedarf bei der Abschlussbotschaft der Internationalen Friedenskonvokation des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) ist groß. Eine Woche lang hatten sich im jamaikanischen Kingston im Mai rund tausend Kirchenvertreter und Friedensaktivisten aus mehr als 100 Kirchen weltweit zu der Tagung getroffen, bei der vor allem eine Bilanz der zu Ende gegangenen „Dekade zur Überwindung von Gewalt“ gezogen werden sollte. Die Plenumssitzungen lieferten zahlreiche praktische Impulse, aber wenig Raum für Debatten.
Autorin
Barbara Schneider
ist Redakteurin beim Evangelischen Pressedienst (epd) in Frankfurt am Main.Viele Teilnehmer waren mit hohen Erwartungen nach Kingston gereist. Das kam schon in den Eröffnungsvorträgen zur Sprache: „Das Überleben unseres Planeten setzt nicht weniger als die Abschaffung des Krieges voraus“, sagte der ehemalige Leiter des Versöhnungszentrums in Coventry, Paul Oestreicher. „Ein Ja zum Leben bedeutet ein Nein zum Krieg.“ Auch die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, machte zu Beginn deutlich: „Wir brauchen klare theologische Überzeugungen und müssen deutlich sagen, dass Gewalt in keiner Weise von der Religion legitimiert wird.“ Die Glaubwürdigkeit der Kirche zeige sich auch am Umgang mit Gewalt.
Die Kirchen hatten sich 1998 auf der ÖRK-Vollversammlung in Harare darauf verständigt, zehn Jahre lang das Eintreten gegen Gewalt und das Engagement für Frieden und Gerechtigkeit in den Mittelpunkt ihrer Arbeit zu rücken. 2001 wurde die Dekade in Berlin eröffnet. Allein aus Deutschland, wo die Initiative weltweit wohl das größte Echo fand, kamen rund 120 Teilnehmer nach Kingston – Friedensaktivisten, Kirchendelegierte und Vertreter von kirchlichen Basisgruppen. Kingston sollte der krönende Abschluss werden – ein „Erntedankfest“ des Erreichten und eine Neuausrichtung der kirchlichen Friedensarbeit mit Blick auf die nächste Vollversammlung des ÖRK 2013 im südkoreanischen Busan.
Doch am Rande der Tagung in Kingston stand der ÖRK selbst in der Kritik. So wurde moniert, der Dachverband, der 349 Kirchen mit mehr als 560 Millionen Christen weltweit repräsentiert, habe an Bedeutung verloren. „Die Stimme des Weltkirchenrates ist zu wenig hörbar“, kritisierte etwa Margot Käßmann. Der ÖRK sei zu zögerlich, sagte Grace Kaiso. Der Generalsekretär des Rates der anglikanischen Kirchenprovinzen in Afrika erinnerte an die Zeiten, als der ÖRK klar und deutlich zur Apartheid-Politik in Südafrika Stellung bezogen hatte. Auch heute müssten die Kirchen überzeugt auftreten und den Krieg verurteilen, betonte er.
Kritisch äußerten sich auch Kirchenvertreter aus Deutschland. Auf Unverständnis stieß bei ihnen vor allem, dass der Weltkirchenrat zu aktuellen Krisen in der arabischen Welt nicht deutlich Position bezieht. Wohl aus Rücksichtnahme auf die Kirchen vor Ort fehlten klare Worte. Diese Konflikte hätten in Kingston aufgenommen werden müssen, sagte der EKD-Friedensbeauftragte, Renke Brahms. Der künftige bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm betonte: „Ich wünsche mir eine Weltkirche, die nicht nur gute Beispiele gibt oder Grundsätze zum Ausdruck bringt, sondern die auch einwirkt auf die politische Gestaltung.“
Rückblickend hat die „Dekade zur Überwindung von Gewalt“ längst nicht die gesellschaftliche Wirkung erzielt, die sich viele von ihr erhofft hatten. Zwar entstanden in vielen Kirchengemeinden wichtige Initiativen für Frieden und Versöhnung. Der Weltkirchenrat versuchte zudem, auf internationaler Ebene Schwerpunkte zu setzen, etwa in Israel und Palästina. Dennoch gelang es dem ÖRK nicht, die Friedensdekade außerhalb des kirchlichen Spektrums bekannt zu machen.
Möglicherweise war sie dafür zu breit angelegt: Jedes Jahr stand eine andere Region im Fokus. Thematisiert wurden unter anderem die Besetzung der Palästinensergebiete, der Friedensprozess im Sudan, Gewalt in Lateinamerika und die Situation in Europa. Ein Zusammenhang ließ sich da nur schwer herstellen. Auch die ökumenischen Besuchsteams, „Lebendige Briefe“ genannt, die während der vergangenen beiden Jahre als Beobachter in verschiedene Länder geschickt wurden, fanden wenig Beachtung. Die vom ÖRK organisierten Reisen waren vor allem als Solidaritätsbesuche geplant. Die international besetzten Teams führten in einzelnen Ländern Gespräche mit Opfern von Gewalt und informierten sich über Friedensprojekte. An die Öffentlichkeit drang davon wenig.
Gleichzeitig, auch das sollte nicht unerwähnt bleiben, wurden in Kingston zahlreiche gute Beispiele kirchlicher Friedensarbeit vorgestellt. In Workshops und Seminaren brachten die Teilnehmer ihre Ideen für eine gerechtere Welt ein und tauschten sich über Friedensprojekte in ihren Heimatländern aus. Somit gewann die Tagung als großes internationales Vernetzungstreffen für Friedensinitiativen und -aktivisten aus dem kirchlichen Bereich ihre Bedeutung.
Zum Abschluss verabschiedeten die Konferenzteilnehmer eine Botschaft, die zahlreiche wichtige Punkte benennt, aber in vielem wenig greifbar bleibt. An eine eindeutige Position zu Kriegseinsätzen wagte man sich nicht heran. War im Entwurf des Papiers noch davon die Rede, dass Krieg geächtet werden müsse, wurde die Endfassung auf die schwächere Formulierung korrigiert: „Wir sind geeint in unserem Bestreben, dass Krieg illegal werden sollte.“ Hier hätten sich viele eine schärfere Formulierung und eine deutlichere Aussage gewünscht. Klare Worte hingegen findet die Botschaft gegen den Waffenhandel, für das Eintreten der Kirchen für eine vollständige nukleare Abrüstung sowie für ein Kleinwaffenverbot.
Zudem enthält das Papier deutliche Signale an den ÖRK selbst, sich stärker zu positionieren, etwa zur so genannten „Schutzpflicht“ gegenüber Opfern von Kriegsverbrechen und schweren Menschenrechtsverletzungen (Responsibility to Protect). Denn in der Frage, wie unschuldige Menschen vor Krieg und Gewalt geschützt werden können, vertreten die Mitgliedskirchen unterschiedliche Auffassungen. Zudem nimmt das Abschlusspapier die vielfältigen Formen von Gewalt und Unterdrückung weltweit in den Blick – angefangen bei Rassismus und Militarismus bis hin zur Diskriminierung durch das indische Kastenwesen.
Für lauten Beifall sorgte dann aber ein ganz anderer Aspekt: die Tatsache, dass in der Abschlussbotschaft ein Satz zur Diskriminierung Homosexueller aufgenommen wurde. So heißt es in der Botschaft: „Fragen der Sexualität spalten die Kirchen und daher ersuchen wir den ÖRK, geschützte Räume zu schaffen, in denen über die trennenden Fragen menschlicher Sexualität gesprochen werden kann.“ Diese Aufforderung ist ein Novum und mehr als zuvor erhofft. Angesichts der Schwierigkeiten, die etwa Kirchen in Afrika im Umgang mit Homosexuellen haben, ist der Austausch in diesem Bereich eine große Aufgabe für den Weltkirchenrat.
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