Ratlos im Westen

Die USA und die EU wollen arabische Länder bei der Demokratisierung unterstützen - bislang ohne klares Ziel

Der ehemalige Präsidentschaftskandidat und linke Menschenrechtsanwalt Khaled Ali fand Anfang des Jahres deutliche Worte. „Die Entrüstung der Vereinigten Staaten und der Europäischen Union über die autoritäre Politik des ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi ist in hohem Maße verlogen“, stellte er bei einem Treffen in Kairo fest. Und tatsächlich beurteilen die meisten Ägypter das Engagement des Westens in den arabischen Ländern nach der Revolution äußerst skeptisch.

In den vergangenen zwei Jahren haben erdbebenartige Verschiebungen die politische, wirtschaftliche und geostrategische Landschaft in mindestens fünf Ländern verändert: Tunesien, Ägypten, Libyen, Jemen und Syrien. In jedem dieser Länder mit Ausnahme Syriens, wo  die Krise andauert und das Erbe noch schlimmer sein wird, haben die entmachteten autoritären Regime ein Vermächtnis aus Korruption und Verfall hinterlassen. Es wird Jahrzehnte dauern, das zu bereinigen. Viele in der arabischen Welt begrüßten es deshalb, dass der Westen Hilfe bei demokratischen Reformen, beim wirtschaftlichen Aufschwung sowie eine Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen in Aussicht stellte.

Autor

Tarek Radwan

ist Forschungsdirektor am Rafik-Hariri-Zentrum für den Nahen Osten des Atlantic Council, einer Denkfabrik in Washington DC.

Doch die versprochene Hilfe lässt Schnelligkeit und Substanz vermissen, wenn sie die stabilen und wohlhabenden Gesellschaften schaffen soll, auf die die USA und die EU hoffen. Trotz wohlmeinender Versuche wirkt ihre Politik reaktiv und unüberlegt. Um der Gerechtigkeit Genüge zu tun: Ihre gegenwärtige politische und wirtschaftliche Lage behindert die USA und Europa dabei, eine eindeutige Politik gegenüber der arabischen Welt zu entwickeln und zu verwirklichen.

Wer die westlichen Bemühungen um Unterstützung des Übergangs verstehen will, muss kurz zurückblicken. Gegen Ende 2010 hat der arabische Frühling in verschiedenen politischen Zirkeln große Verwirrung hervorgerufen. Die erste explizite Stellungnahme der USA in Form einer Rede von Präsident Barack Obama ließ denn auch bis Mai 2011 auf sich warten. Hier lag der Schwerpunkt auf „Handel statt Hilfe“ und wirtschaftlichen Reformen. Angesicht der ökonomischen Dimension der arabischen Aufstände schien es sinnvoll, sie in den Mittelpunkt der US-Hilfe zu rücken.

Der Zeitpunkt der politischen Explosion im Nahen und Mittleren Osten aber rief 2011 im US-Außenministerium helle Panik hervor. Man hantierte dort bei Ausbruch des arabischen Frühlings mit einem begrenzten, zweckbestimmten Haushalt. Es gelang, den „Middle East Relief Fund“ einzurichten, aus dem Libyen und Tunesien fast 100 Millionen US-Dollar erhielten. Mit Hilfe eines bereits bestehenden Fonds zur wirtschaftlichen Unterstützung wurden für Ägypten knapp 170 Millionen US-Dollar bereitgestellt. Obwohl es sich dabei nicht um frisches Geld handelte, war es aufgrund von Budgetauflagen und politischer Polarisierung ein mühseliges Geschäft, dem US-Kongress selbst diese Mittel aus den Rippen zu leiern.

Als Lehre daraus stellte die Regierung Obama im Haushalt für 2013 den „MENA Incentive Fund“ mit 770 Millionen US-Dollar ein, um bei künftigen Initiativen flexibler sein und die Genehmigung des Kongresses umgehen zu können. Dieses Programm aber klammert Syrien als potenziellen Hilfeempfänger aus – darüber bleibt in Washington noch ein Strauß auszufechten, da das Blutvergießen in dem Land nicht abnimmt und die humanitäre Krise über die Grenzen hinaus Kreise zieht.

Der möglicherweise größte Beitrag der Vereinigten Staaten besteht in ihrem Bemühen, Investitionen in der Region durch Kreditbürgschaften in Höhe von zwei Milliarden US-Dollar über die „Overseas Private Investment Corporation“ zu fördern. Die Organisation hat in Tunesien und Ägypten Koordinationsstellen gegründet, um die Infrastruktur zu entwickeln und kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) zu unterstützen. Außerdem stehen die USA hinter dem Darlehen des Internationalen Währungsfonds über 4,8 Milliarden US-Dollar für Ägypten.

Digitale Waffen im Kampf gegen die Meinungsfreiheit

Die Kämpfe zwischen Alt und Neu in den Ländern des „Arabischen Frühlings“ wurden auch über die digitalen Medien ausgetragen: Blogger schrieben im Internet ...

Es gibt jedoch in dreifacher Hinsicht gravierende Probleme mit diesen großzügigen Hilfspaketen: Sie reichen nicht aus, um den wirtschaftlichen Niedergang infolge der politischen Instabilität zu kompensieren; die Entwicklungen in der arabischen Welt sind so dynamisch, dass eine ständige Überprüfung der Angebote nötig ist; und die Hilfe wird nur den Worten nach von ernsthaften politischen Reformen abhängig gemacht. Anders gesagt: Die Hilfsleistungen der USA und der EU beinhalten zwar Bedingungen zur Förderung von Demokratie und Menschenrechten. Aber Handel und Sicherheit genießen weiterhin höchste Priorität – zu Lasten der Schaffung von Institutionen, die für repräsentative, keine Bevölkerungsgruppen ausschließende Regierungen und damit für langfristige Stabilität sorgen.

Historisch gesehen stand die Demokratieförderung im Nahen und Mittleren Osten ganz oben auf der Tagesordnung verschiedener US-Regierungen – zumindest in den Sonntagsreden. Obamas ehrgeizige, mit „Neuanfang“ betitelte Ansprache an die muslimische Welt stieß 2009 in Kairo in das gleiche Horn. Doch nach dem arabischen Frühling war die Unterstützung wenig greifbar. Der Aufstieg islamistischer politischer Kräfte – nirgendwo so deutlich wie in Ägypten – hat Hilfe für demokratische Reformen noch komplizierter gemacht, besonders für die USA, die sich im klassischen Dilemma sehen, gleichzeitig ihre Interessen und ihre Werte zu verteidigen.

Trotz einer erbitterten Debatte in Washington haben sich die politischen Entscheidungsträger in den USA wiederholt den Sicherheitsinteressen gebeugt – auch wenn das hieß, die Augen zu verschließen vor autoritären Übergriffen unter Missachtung grundlegender bürgerlicher und politischer Rechte. Zwar wurden beinahe 70 Millionen US-Dollar für nichtstaatliche Organisationen (NGO) bereitgestellt, um die ägyptischen Wahlen 2011 zu beobachten und politischen Pluralismus zu fördern. Sie wurden 2010 aus früher bereitgestellten Mitteln umgewidmet. Wer seither neues Geld einfordern wollte, beißt auf Granit.

Ein Konflikt um aus dem Ausland finanzierte NGOs verschärfte die Spannungen zwischen den USA und Ägypten so stark wie zuletzt das Friedensabkommen von Camp David zwischen Palästinensern und Israelis: Im Frühjahr 2012 wurden 43 Mitarbeitende von NGOs in Ägypten – darunter 19 US-Amerikaner – angeklagt, ohne die nötige Genehmigung Geld aus dem Ausland erhalten und Proteste gegen Ägyptens Regierung finanziert zu haben. Das spielt Kritikern in die Hände, die sich gegen zusätzliches Geld für Ägypten aussprechen. Auch die Ermordung des US-Botschafters Christopher Stevens durch Al-Qaida nahestehende Extremisten in Bengasi im September 2012 führte zu Debatten in Washington über eine Beschränkung der Hilfen für Libyen.

Tunesiens Entwicklung scheint stabiler. Doch der Aufstieg der islamistischen Al-Nahda-Partei sowie einige Bestimmungen in der Verfassung geben US-amerikanischen Politikern Grund zur Sorge – vor allem denen, die eine islamistische Machtübernahme befürchten. Die Regierung Obama kann das Tempo der politischen Entwicklungen in der Region kaum mitgehen. Sie konzentriert sich auf einflussreiche Kräfte wie die Muslimbrüder in Ägypten und den Nationalen Übergangsrat in Libyen, anstatt sich auf Augenhöhe mit allen Stimmen einzulassen, die den politischen Spielraum nutzen. Das ist ein Trend, der noch gebrochen werden muss.
Europa dagegen hat etwas eher als die USA seine Sprache wiedergefunden und auf den arabischen Frühling reagiert – wenngleich sich der Ansatz nicht wesentlich unterscheidet. Im März 2011 riefen die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton und die Europäische Kommission eine „Partnerschaft mit dem südlichen Mittelmeerraum für Demokratie und gemeinsamen Wohlstand“ ins Leben. Der Slogan mit den „3 Ms“ fasst Europas Vision für sein Engagement in dieser sich rasch verändernden Region zusammen: Geld (money), Mobilität und Marktzugang. Die EU sagte bis Mai 2011 Finanzhilfen in Höhe von knapp sieben Milliarden Euro zu und koordinierte zusätzliche Hilfen durch die Europäische Investitionsbank und die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung.

Die Mechanismen für die Auszahlung des Geldes wurden flexibler und nach dem sogenannten „more for more“-Prinzip gestaltet. Je mehr Fortschritte ein Land bei demokratischen Reformen und dem Aufbau staatlicher Institutionen vorweisen kann, desto mehr Geld soll es erhalten.  Ebenfalls zugesagt wurden mehr Hochschulstipendien, Visa-Erleichterungen, die Wiederaufnahme von Studenten, Arbeitnehmern und Migranten in die EU sowie ein verbesserter Marktzugang und Unterstützung für kleine und mittlere Unternehmen. Dass diese Hilfe eine zivilgesellschaftliche Komponente enthält, ist einer der wichtigsten Aspekte für die Förderung von Reformen, die breite Schichten der Gesellschaft einschließen und auf Dialog ausgerichtet sind.

Beide, die EU und die USA, versuchen, ihre Hilfe passgenau auf jedes Land zuzuschneiden. Die EU geht aber noch einen Schritt weiter. Sie betont die Bedeutung einer integrativen wirtschaftlichen Entwicklung etwa im Rahmen des „Support for Partnership, Reform and Inclusive Growth“-Programms, das im September 2011 beschlossen wurde und 350 Millionen Euro für die Schaffung von Arbeitsplätzen bereitstellt.

Die Stärke des europäischen Engagements hängt jedoch von den einzelnen Mitgliedsstaaten ab – auch wenn die koordinierenden Stellen in der EU die besten Absichten haben. Solange nationale Interessen Vorrang haben vor gemeinsamen Initiativen zugunsten der arabischen Länder, die zudem kaum Rechenschaftspflichten vorsehen, bleibt die EU-Hilfe ein lahmes Versprechen. Spanien hat sich sehr dafür eingesetzt, dass die Hilfe für die südlichen Mittelmeerländer für die EU-Mitglieder hohe Priorität haben sollte. Doch das Land leidet unter Geldknappheit aufgrund seiner Wirtschaftskrise. Italien betrachtet die Hilfe für Libyen als nationale Prioriät, auch, um die illegale Einwanderung zu begrenzen, hat aber wenig Interesse, den anderen Staaten des arabischen Frühlings zusätzliche Mittel zur Verfügung zu stellen.

Angesichts des „more for more“-Prinzips finden viele Bürger in den arabischen Ländern zudem, dass eine solche Hilfe keine Einbahnstraße sein sollte, sondern mit Rechenschaftspflicht verknüpft. Kürzlich kündigte der deutsche Entwicklungsminister Dirk Niebel zwar an, Hilfe in Höhe von 240 Millionen Euro für Ägypten einzubehalten, um vor einer Abkehr von der Demokratie zu warnen. Doch Außenminister Guido Westerwelle äußerte sich freundlich über die neue Regierung, und Bundeskanzlerin Angela Merkel lud Präsident Mursi für Ende Januar nach Berlin ein. Ägyptische Aktivisten haben das Gefühl, dass Deutschland mehr am Zugang zum ägyptischen Markt gelegen ist. Scherzhaft änderten sie das Motto in „more for Mursi“. Die Hilfe der USA und der EU lief langsam an, lässt aber echte Bemühungen um die länderspezifische Förderung der Demokratie und liberaler Wirtschaftsreformen erkennen. Leider untergraben nationale politische und wirtschaftliche Interessen die Wirksamkeit dieser Politik. Denn sie begrenzen die Ressourcen für die arabischen Länder, deren Wirtschaft infolge der Revolutionen schwere Verluste hinnehmen musste, und damit den politischen Einfluss auf die gesellschaftlichen Umwälzungen.

Auch wenn der Weg zur Demokratie im Einzelnen nicht beeinflusst werden kann, steht der Westen in der Pflicht, eine nachhaltigere Hilfe anzubieten. Stärkere Anreize zum Aufbau von Demokratie könnten etwa Freihandelsbeziehungen geben, und der Westen könnte seine Beziehungen zu den wohlhabenden Golfstaaten nutzen, die bereits Unterstützung zugesagt haben. Auf diese Weise könnten die USA und die EU einen Zusammenbruch der Wirtschaft in den arabischen Ländern abwenden und Vorkehrungen treffen, um einen Rückfall in den Autoritarismus zu verhindern.

Aus dem Englischen von Barbara Kochhan

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erschienen in Ausgabe 2 / 2013: Ägypten: Aufruhr und Aufbruch
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