„Armutsreduzierung und die Überwindung der Ursachen der Armut … sind und bleiben daher Kernziel der deutschen Entwicklungspolitik.“ Applaus! Diesem zentralen Satz des im Oktober 2012 vorgestellten Konzeptes des Bundesentwicklungsministeriums BMZ „Armut wirksamer bekämpfen – weltweit!“ kann man nur zustimmen. Im letzten Jahr der Legislaturperiode kommt ein zentrales Stück Programmatik des BMZ auf den Markt und kaum jemand kümmert sich darum.
Nun ist Wahljahr. Es wird wieder eine Debatte um Sinn und Unsinn von Entwicklungspolitik, ihre Ziele, ihre finanzielle Ausstattung und natürlich ihre organisatorische Aufstellung geben. Da hat das Konzept zur Armutsreduzierung besondere Bedeutung.
Autorin
Claudia Warning
leitet den Vorstandsbereich „Internationale Programme und Inlandsförderung“ von Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst.Aber wo bleibt die Debatte über das Papier? Zwei kurze Pressemeldungen, eine kurze Meldung in „welt-sichten“ und das war’s? Was sagt das Parlament dazu? Wie positioniert sich die Zivilgesellschaft? Wo bleiben die Workshops und Veranstaltungen, um über das Papier zu debattieren, es abzuwägen, es mit Leben zu füllen?
Unabhängig davon, wie ab Oktober die Regierung aussehen und wer dem BMZ vorstehen wird, braucht das BMZ angesichts vielfältiger Krisen, der Selbstbeschäftigung Europas, des Erstarkens der Schwellenländer und des Auseinanderdriftens von Gesellschaften in Nord und Süd eine klare Position zum Kernziel der Entwicklungspolitik, zu dessen Umsetzung und zu den Erfolgsaussichten. Wir brauchen eine große Allianz aller an Entwicklungspolitik Beteiligten, die sich über das Ziel einig sind. Ebenso brauchen wir den Streit über die richtigen Wege dorthin.
Armut weltweit bekämpfen – dieses Geschäftsmodell und Ziel des BMZ ist unter den Ministerien einzigartig
Und hier bietet das Konzept jede Menge Diskussionsstoff. Es liest sich wie eine Einkaufsliste der guten Taten: Gesundheit und Bildung, Basisinfrastruktur und öffentliche Dienstleistungen, soziale Sicherung und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, gute Regierungsführung und entwicklungsförderliche Rahmenbedingungen. Den Menschen immer im Mittelpunkt und die Menschenrechte im Gepäck. Das ist alles zustimmungsfähig. Aber wie wird das umgesetzt? Wo liegen die Prioritäten? Wer sind die Bündnispartner? Macht- und Verteilungsfragen sind nur implizit angesprochen – wie werden sie angegangen?
1983 hat das BMZ begonnen, die deutsche Entwicklungszusammenarbeit verstärkt auf Armutsbekämpfung durch Hilfe zur Selbsthilfe und durch Beteiligung der Zielgruppen auszurichten. Nach einem intensiven Dialogprozess wurde 1990 das Konzept „Armutsbekämpfung durch Hilfe zur Selbsthilfe“ verabschiedet. Wie kaum ein anderer Prozess hat dieser das Denken und Handeln der deutschen Entwicklungszusammenarbeit geprägt und ihr eine Richtung gegeben. Damals wurde der Grund gelegt für Prinzipien, die heute selbstverständlich sind wie Partizipation, Demokratie-, Selbsthilfe- und Zivilgesellschaftsförderung. Auch der politische Anspruch, zu Gerechtigkeit und einer weniger ungleichen Verteilung der wirtschaftlichen und politischen Mittel beizutragen, wurde hier explizit ausgeführt.
Auch das neue Konzept macht nochmals klar, was seit langem Konsens ist: „Entwicklungspolitik ist mehr als nur karitative Hilfe“. Aber es blendet Interessengegensätze aus: „Wir werden verstärkt zu einer Aktivierung des wirtschaftlichen Potenzials in den Entwicklungsländern für eine breitenwirksame, dauerhafte und ökologische Wirtschaftsentwicklung beitragen.“ Wie richtig das ist und mit wie viel politischer Sprengkraft! Am Wirtschaftswachstum hat es insgesamt im letzten Jahrzehnt nicht gefehlt. Doch breitenwirksam und ökologisch war es in den seltensten Fällen. Zu Recht weist das Konzept des BMZ auf die eine Milliarde Arme in den Ländern mit mittlerem Einkommen hin. Es blendet aber die Politikprozesse aus, die damit zusammenhängen. Warum scheitern denn die Klimaverhandlungen, wenn es um Verteilungsgerechtigkeit und Nutzungsansprüche an öffentlichen Gütern geht?
Es lohnt sich also, das neue Konzept zu diskutieren. Nur dann kann es wie sein Vorgängerpapier von 1990 das entwicklungspolitische Denken und Handeln prägen.
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