Botschafter der Tuareg

Die jungen Musiker aus Mali haben mit ihrem neuesten Album den Sprung in die internationalen Hitlisten geschafft. In ihren Liedern singen sie von ihrer Heimat, in der das Leben für die Tuareg in den vergangenen Jahren immer härter geworden ist. Ihr Appell gilt der internationalen Gemeinschaft, die dem Verschwinden eines Volkes nicht schweigend zuschauen soll, aber auch ihren Altersgenossen: Sie sollen ihre Kultur bewahren und beim Aufbau ihrer Länder helfen.
Mitte der 1990er Jahre in Mali: Der zehnjährige Ousmane Ag Mossa bekommt eine Kassette in die Hand. Er legt den Tonträger in seinen alten Spieler und hört die Gitarre von Mark Knopfler, dem Sänger der britischen Rockband Dire Straits. 16 Jahre später tourt Ag Mossa als Frontmann der Band Tamikrest quer durch Europa: Paris, London, Brüssel – rund zwanzig Konzerte hat die Band im Juni und Juli absolviert. Ab November gehen Tamikrest erneut auf Tournee und wer Ag Mossa Gitarre spielen hört, hört auch den Einfluss von Knopfler.
 

Autor

Felix Ehring

ist freier Journalist in Frankfurt am Main.

„Mit den Dire Straits wurde mir klar, dass es noch andere Musik gibt als die traditionelle Musik der Tuareg“, erzählt Ag Mossa am Rande eines kleinen Festivals im nordrhein-westfälischen Landkreis Höxter. Kurz zuvor hat die Band eine gute Stunde gespielt. Das Konzert begann wie das neue Album von Tamikrest. Ein langgezogenes Raunen, erste Töne von Ag Mossas gezupfter E-Gitarre, dann setzen Djembé und Calabash ein, die westafrikanische Handtrommeln. Rhythmusgitarre und E-Bass fließen dazu und im Publikum wippen die ersten Köpfe und Beine mit. Die gut gelaunte Sängerin Wonou Walet Sidati klatscht in die Hände, tanzt von einem Musiker zum anderen und stimmt ihren Gesang in hoher Stimmlage an. Wie Wellen strömt der Sound über das Publikum hinweg. Der Gesang in der Sprache Tamaschek ist fremd, gleichmäßig und wirkt ein wenig meditativ.

Die Texte der Band schreibt Ousmane ag Mossa. Er singt von der Liebe zu einer Frau und zu seiner Heimat, in der „Wind und Durst regieren“. Und doch ist es die geliebte Heimat der Tuareg, denn dort gebe es die große Freiheit, singt Ag Mossa. Das ist zumindest die Sehnsucht der Tuareg. Doch ihr Leben in den Staaten Mali, Algerien, Libyen, Niger und Burkina Faso wird immer schwieriger. Vor allem mit den Regierungen von Mali und Niger lieferten sie sich in den 1990er Jahren gewaltsame Auseinandersetzungen. Die Tuareg werfen den Staaten vor, politisch an den Rand gedrängt zu werden. Aktueller Streitpunkt: Die Pläne des französischen Konzerns Areva, im Niger Uran abzubauen. Die Tuareg sind darüber empört, weil die Profite an ihnen vorbei fließen. Schlimmer noch, eine hohe Konzentration freigesetzter radioaktiver Partikel gefährdet nach Überzeugung von Greenpeace die Gesundheit der Menschen. Radioaktiver Schlamm sei zudem in großer Menge aus Tanks ausgelaufen und verseuche die Umwelt.

Ousmane Ag Mossa singt von dem Leid, „das ich erfahren habe und das mein Volk durchlebt“. Pathos schwingt da nicht mit, wenn man sich die Geschichte seiner Familie anhört. Gern spricht er nicht von den Sorgen zu Hause. Seine Stimme wird ganz leise. Fast resigniert berichtet er von seinen Eltern, die das Leben als Nomaden in den 1980er Jahren aufgaben und als Gemüsebauern in einem Dorf im Nordosten Malis an der Grenze nach Algerien siedelten. Als die Tuareg Anfang der 1990er Jahre rebellierten, geriet auch das Leben der Ag Mossas aus den Fugen. Mit fünf, sechs Jahren musste sich Ousmane mit anderen Kindern und Frauen in den Bergen verstecken. Schließlich zog die Familie in die Regionalstadt Kidal im Osten Malis, wo der Junge Gitarrenunterricht erhielt. Auch dort blieb es nicht lange ruhig. 2006 griffen Tuaregrebellen einen Militärstützpunkt in Kidal an. Es war das Jahr, in dem sich Tamikrest gründete.

„Als ich eines Morgens aufwachte, war die Stadt ein einziger Albtraum“, erinnert sich Ag Mossa. „Viele hatten sich bereits den Rebellen angeschlossen. Aber wir wollten das nicht. Wir waren Musiker, keine Krieger.“ Die Ag Mossas flohen nach Libyen, Ousmane blieb wegen der Band in Mali. Die Eltern kehrten vor zwei Jahren zurück, Geschwister von Ousmane leben noch immer in Gaddafis zerrissenem Land. Der Sänger macht sich Sorgen um sie. Er ist inzwischen in der südalgerischen Stadt Tamanrasset zu Hause, verbringt allerdings einen Großteil des Jahres in Kidal, um dort mit den anderen Bandmitgliedern Musik zu machen. Die beiden Städte liegen zwei Tagesreisen auseinander.

Wenn die Band nicht durch Europa tourt, spielt sie in Mali auf Hochzeiten, Festen oder Festivals. Sie spielen die Stücke ihrer Alben und traditionelle regionale Lieder. Viel Geld bringt das nicht ein, aber für ein bescheidenes Leben reicht es in der Regel. Ab und zu nehmen die Musiker Jobs an, um über die Runden zu kommen. Der Percussionist Aghaly Ag Mohamedine und der Bassist Cheigk Ag Tiglia arbeiten gelegentlich für ihre Familien im Stoffhandel, Ag Mossa belädt Lastwagen. Manchmal schuften die Männer auch in einer nahegelegenen Goldmine. Insgesamt hat sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt verschlechtert, weil sich immer weniger Touristen in die Region wagen. Neben den Tuareg-Aufständen sind dafür Entführungen sowie der Drogen- und Waffenschmuggel von Westafrika Richtung Norden verantwortlich, an dem Tuareg beteiligt sein sollen.

Das alles macht die Region noch unruhiger. 2006 gab es einen Hoffnungsschimmer. Malis Präsident Amadou Toumani Touré gelang es, mit Vertretern der Tuareg das Abkommen von Algier zu schließen und die Rebellion im Norden zu beenden. Doch nur zwei Jahre später flammten die Kämpfe wieder auf. Erneut setzte Touré auf Verhandlungen und schloss mit einem Tuaregführer einen Waffenstillstand. Trotzdem griffen die Tuareg malische Staatsbedienstete an. Es bleibt also unruhig im Norden. Die Sicherheitslage sei in den vergangenen zwei Jahren schlechter geworden, sagt David Robert von der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ), der längere Zeit in der Region gearbeitet hat.

Im Booklet des aktuellen Albums wenden sich Tamikrest an ihre Altersgenossen. Abgesehen von der 35-jährigen Sängerin Walet Sidati sind die Musiker zwischen 22 und 27 Jahre alt. Sie fordern von ihrer jungen Generation der Tuareg, sich für die eigenen Rechte einzusetzen, die Kultur zu bewahren und ihre Heimat zu entwickeln. Der Ausverkauf von Siedlungsgebieten an Konzerne dürfe nicht hingenommen werden. Tamikrest verlangen von der internationalen Gemeinschaft, „dem Verschwinden eines Volks“ nicht schweigend zuzusehen. Ousmane Ag Mossa sagt: „Wir sind Künstler und es ist unsere Pflicht, der Welt von den Problemen der Tuareg zu berichten.“

Auf Tournee ist die Gruppe zu sechst – eine Sängerin und ein Musiker sind blieben aus logistischen Gründen zu Hause geblieben. Zwei Personen mehr bedeuten mehr Kosten, und es passen nicht alle in den Tourbus von Manager Peter Weber. Der Saarländer hat die Gruppe 2008 bei einem Musikfestival nahe Timbuktu „kennen und lieben gelernt“. Weber war als Manager einer anderen Band dort. Tamikrest waren im Nachbarzelt. „Sie hatten keinen Manager, kein Label oder Kontakt zu westlichen Musikleuten“, erzählt Weber, der die Band gemeinsam mit dem Label Glitterhouse nach Europa geholt hat. „Dadurch haben sich meine musikalischen Kenntnisse enorm erweitert“, sagt ag Mossa. „Ich habe gelernt, variantenreicher Gitarre zu spielen, habe neue Griffe und Techniken gelernt.“

Neben den westlichen „Gitarrenhelden“ zählt Ousmane Ag Mossa auch die etablierte Tuaregband Tinariwen zu seinen Vorbildern. Doch mit dem aktuellen Album ist Tamikrest aus ihrem Schatten getreten. Im Mai ist es auf Platz acht in die europäischen World Music Charts eingestiegen. Es war der höchste Neueinsteiger des Monats. Trotz ihrer traditionellen Gewänder und Turbane sind Tamikrest also längst keine Exoten mehr.

www.tamikrest.net

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erschienen in Ausgabe 8 / 2011: Die Jagd nach dem dicksten Fisch
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