Die Nachricht ließ aufhorchen: Eine Million Tonnen Holzschnitzel aus dem westafrikanischen Liberia wolle Vattenfall künftig in europäischen Kraftwerken verfeuern – einen Teil davon in Berlin. In der Bundeshauptstadt ist der schwedische Energieriese Hauptversorger und hier entstehen gerade mehrere neue und nachgerüstete Kraftwerke zum Verbrennen von Biomasse. Vattenfall setze auf erneuerbare Energien und Nachhaltigkeit, hieß es dazu im April vergangenen Jahres beim Betreiber stolz – der Umstieg auf das Schredderholz sei ein vorbildlicher, zukunftsweisender Schritt weg von der Kohleverbrennung mit ihren schädlichen Treibhausgas-Emissionen.
Autor
Johannes Schradi
war bis Frühjahr 2013 Berlin-Korrespondent von „welt-sichten“.Es ist das größte Geschäft in diesem Bereich, das Vattenfall nach eigenen Angaben bislang eingefädelt hat. Die Kritik daran ließ nicht lange auf sich warten. Das Unternehmen sei „auf dem Holzweg“, wetterte etwa ein Vertreter der Umweltorganisation „Rettet den Regenwald“. Auf den Gummibaumpflanzungen Liberias, von denen das Holz stammt, herrschten katastrophale Bedingungen. Selbst die Vereinten Nationen, schreibt er, beklagten sklavenartige Arbeitsverhältnisse, Kinderarbeit, allgemeiner Gesetzlosigkeit und schwere Umweltverschmutzungen. Weil der Preis für das Holz steige, könnten es sich immer weniger Familien als Feuermaterial leisten.
Andere Kritiker machten darauf aufmerksam, dass Holzexporte aus fernen Ländern oft mit ökologisch wie sozial verheerendem Raubbau einhergehen. Die nicht-staatliche Organisation (NGO) PowerShift wertete in einem Bericht zum Vattenfall-Deal solche Geschäfte als Ausdruck neuer „imperialer Lebensweise“. Die Klagen über skrupellosen Landraub ausländischer Investoren, Spekulation, Knebelpachtverträge, miserable Arbeitsbedingungen und umweltzerstörenden Rohstoffabbau in Entwicklungsländern sind zahlreich – und sie sind sehr oft berechtigt. Doch im Fall Liberia und Vattenfall liegen die Dinge offenbar komplizierter. In der kritischen NGO-Szene gehen die Meinungen auseinander: Ist es gut oder schlecht, was dort passiert?
Unbestritten ist: Das von 14 Jahren Bürgerkrieg (1989-2003) schwer gezeichnete Land, dessen Wirtschaft völlig zusammengebrochen ist, braucht dringend Investitionen. Ohne tief greifenden Aufschwung und ohne staatliche Einnahmen kann es nicht wieder auf die Beine kommen. Beides – inklusive der Aussicht auf eine ordentliche soziale Umverteilung – verspricht sich die Reformregierung von Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf gerade auch von der Vergabe von Konzessionen und Lizenzen für den Rohstoffabbau an große Konzerne. Es geht nicht nur um Holz und Gummi, sondern auch um Eisenerz, Palmöl, Gold, Diamanten. Die Regierung hält sich zugute, ausländischen Investoren beim Abbau, der ökologischen Verträglichkeit und dem sozialen Nutzen strenge Auflagen zu machen. Ungezügelter Raubbau, heißt es bei der Nationalen Investitionskommission, war gestern (siehe welt-sichten, 12/2010-1/2011)
Im Fall des Energie-Holz-Deals ist zudem nicht Vattenfall direkter Verhandlungspartner der Regierung gewesen, sondern das Unternehmen Buchanan Renewables (BR), es gehört zu 70 Prozent einem kanadischen Milliardär. Drei Firmenzweige betreiben arbeitsteilig das Geschäft mit den Kautschukbäumen – von der Rodung bis zur Verfeuerung. Vattenfall ist an einem davon (BR Fuels) mit 20 Prozent beteiligt, zehn Prozent hält das staatliche schwedische Entwicklungshilfeunternehmen Swedfund. Das Geschäftsziel von BR ist nicht der Kautschukgewinn. Verwertet werden sollen alte, ausgelaugte Kautschukbäume, die nur noch zum Verheizen gut sind.
Dass der Energieversorger Vattenfall Hunderttausende Tonnen solchen Holzes nach Europa schaffen will, stört Abraham Kollie vom liberianischen NGO-Dachverband New African Research and Development Agency (NARDA) denn auch wenig. Erstens gebe es im Land Unmengen alter Kautschukbäume, und zweitens wirtschafte BR mit der strikten Auflage, gerodete Altbestände wieder aufzuforsten – woran sich das Unternehmen auch halte, sagt Kollie. Auf Einladung des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED) und von „Brot für die Welt“ zu Besuch in Berlin, ärgert er sich über etwas ganz anderes: Dass nämlich das Biomassekraftwerk in Liberia, das zu bauen sich BR ebenfalls verpflichtet habe, noch immer nicht stehe – geschweige denn Strom liefere. Den aber brauche das Land dringend: Um den Wiederaufbau voranzubringen und die Bevölkerung unabhängiger von der umwelt- und gesundheitsschädlichen Holzverfeuerung zu machen.
Abraham Kollies Einschätzung deckt sich weithin mit dem, was ein Team der Universität von Liberia in einer Studie zu den Geschäftspraktiken von BR zusammengetragen hat. „Ein grundsätzlicher Nutzungskonflikt zwischen dem Holzschnitzelexport und der
Binnenmarktverwertung konnte nicht festgestellt werden“, heißt es dort kurz und bündig. Die Wissenschaftler hatten Bauern, Vertreter der Gemeinden und Landkreise sowie der Regierung befragt und regionale zivilgesellschaftliche Gruppen in die Recherchen einbezogen. Sie kommen zu dem Schluss, das BR-Modell sei eine „echte Innovation“. Das Unternehmen habe „Impulse gesetzt, die sich vorteilhaft auf die Lage der Kautschukbauern wie auf die Rehabilitation der maroden Kautschukwirtschaft auswirken“. Endlich ein Beispiel, dass es über Landinvestment nicht nur Negatives zu berichten gebe, freut man sich beim EED, der das liberianische Studienteam mit einem eigenen Experten unterstützt hat.
So viel Sympathie steht in krassem Gegensatz zum Urteil des Powershift-Reports „Holz aus Afrika für warme Stuben in Berlin“. Die Herstellung und Verwertung von Holzchips möge zwar „auf dem Papier“ den Anforderungen an eine nachhaltige Plantagenwirtschaft genügen, heißt es dort. In der Praxis gebe es indessen gravierende Defizite. So beziehe BR das Altholz bevorzugt aus Großplantagen, Kleinbauern hätten das Nachsehen. Wo sie einbezogen seien, verlören sie oft auf Jahre ihren Verdienst. Denn nach der Rodung liefern neu gepflanzte Gummibaum-Setzlinge erst nach sieben Jahren wieder Kautschuk, mit dem sich Geld verdienen lässt. Der empfohlene zwischenzeitliche Anbau von Bohnen, Pfeffer oder Erdnüssen funktioniere nicht.
Zwar zahle BR für das Altholz besser als manches andere Unternehmen, aber existenzsichernd sei das nicht. Viele Kleinbauern, die während des Bürgerkriegs die Bewirtschaftung verlassener Plantagen übernommen hätten, sähen sich wegen unklarer Landrechte regelrechten Kämpfen mit angeblichen oder tatsächlichen Alteigentümern konfrontiert; in den Dörfern profitierten von den Deals mit BR regelmäßig nur die Reichsten und Mächtigsten. Das Exportinteresse von BR und Vattenfall laufe darauf hinaus, dass Liberia seine Holzvorräte langfristig womöglich verliere, mahnt Peter Fuchs von PowerShift. „Klima- und Energiegerechtigkeit“ sehe anders aus.
Auch die liberianische Universitäts-Studie sieht Verbesserungsbedarf. Teils deckt sie sich mit der PowerShift-Darstellung – etwa dass Kleineigner von Plantagen derzeit noch zu kurz kommen. Doch sie setzt auf Empfehlungen statt auf Fundamentalkritik: Die örtlichen Gemeinschaften müssten besser in die Planung einbezogen werden; die Bauern brauchten Rechtsberatung, bevor sie Kontrakte mit BR unterzeichneten; ihre Selbstorganisation müsse unterstützt werden. Insgesamt müsse das im Ansatz gute BR-Geschäftsmodell stärker auf Armutsbekämpfung und Ernährungssicherung ausgerichtet werden. Einen Rückfall in simple Plantagenausbeutung dürfe es nicht geben.
Und Vattenfall? Ein Unternehmenssprecher erinnert an das Abkommen mit dem Berliner Senat, in dem man sich bei der Beschaffung von Biomasse zu strikter Nachhaltigkeit verpflichtet habe. Anhand eines Kriterienkataloges, den das Heidelberger Ifeu-Institut im Auftrag von Vattenfall und der Berliner Senatsverwaltung entwickelt hat, soll in Liberia regelmäßig überprüft werden, wie ökologisch und sozial verträglich die Holzverwertung dort ist – und wo nachgebessert werden sollte. Ifeu sieht noch erhebliche Mängel in der Praxis, schätzt aber – wie die Uni-Studie – das Engagement von BR und Vattenfall im Ansatz als positiv ein. Noch komme in Berlin gar kein Holz aus Liberia an, fügt der Sprecher hinzu; es gehe derzeit nach Dänemark und Schweden. Aber das soll sich ändern, sobald Kraftwerke in ausreichender Zahl und Größe bereitstehen. Der Um- und Neubau läuft.
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