Das Kreischen der Motorsäge ist schon von weitem zu hören. Es übertönt das Zirpen, Schnattern und Klappern der Vögel, das Sirren der Insekten. Fast wirkt es so, als schwiegen die Tiere des Waldes – aus Respekt, weil sie wissen: Hier stirbt ein Baum. Dann ein Schrei: „Fällt!“ Es raschelt und knackt und am Ende ein dumpfer Schlag. Ein Cedro Macho von 25 Metern liegt gefällt im tropischen Regenwald nahe der karibischen Küste von Nicaragua.
Der wissenschaftliche Name des Cedro Macho ist Andiroba, ein Gewächs aus der Familie der Mahagoni-Hölzer, das nur im tropischen Mittel- und Südamerika vorkommt. Ausgewachsen erreicht er eine Höhe von bis zu 30 Metern, sein Stamm kann in Brusthöhe bis zu 1,5 Meter Durchmesser haben. Aus einem Baum gewinnt man 2 bis 2,5 Kubikmeter hartes rotes Tropenholz. Ein Säger schafft 25 bis 30 Cedro Macho am Tag.
Die Männer gehen in Zweierteams durch den Wald. Sie sind von der Sonne dunkelbraun gebrannt und muskulös, sie tragen Schutzhelme. Der Mann mit der Motorsäge hat zusätzlich Ohrenschützer gegen den Lärm und einen herunterklappbaren Gesichtsschutz. Der andere trägt ein Buch mit Plänen, in denen jeder zu fällende Baum eingezeichnet ist. Beim Sägen passt er auf, dass nichts passiert. Wenn er „fällt“ ruft, springt der Säger drei Schritte zurück.
Autor
Toni Keppeler
ist freier Journalist und berichtet für mehrere deutschsprachige Zeitungen und Magazine aus Lateinamerika.Nachdem beide den zu fällenden Baum begutachtet haben, setzt der Mann mit der Motorsäge einen ersten Schnitt von Brusthöhe schräg nach unten. Dieses spitz nach oben zeigende Dreieck des Stamms bleibt stehen und legt gleichzeitig fest, dass der Baum in die entgegengesetzte Richtung fallen wird. Dort wird zunächst ein waagrechter Schnitt gesetzt und darüber dann ein Keil nach dem anderen aus dem Stamm getrennt, bis der Baum sein Gleichgewicht verliert und der warnende Ruf durch den Wald hallt. Am Ende wird mit gelber Farbe eine Nummer auf Stumpf und Stamm aufgetragen.
Diese Nummer wird das geschlagene Holz begleiten, bis ein edles Möbelstück daraus geworden ist. Denn die Männer arbeiten in Nicaraguas einzigem Stück zertifizierten tropischen Regenwaldes. 6400 Hektar werden von der Kooperative Kiwatingni in dem Dorf Layasiksa sozial- und umweltverträglich bewirtschaftet. Jedes Jahr nehmen sich die Männer rund 200 Hektar vor. Zwei, höchstens drei Stämme werden pro Hektar geschlagen, danach lassen sie die Fläche für mindestens 30 Jahre in Ruhe. Wenn ihre Kinder wieder kommen, sind die geschlagenen Lücken längst zugewachsen.
„Wir beuten den Wald schon seit Jahrhunderten aus“, sagt Rojas Conrado. „Aber wir haben das lange planlos gemacht und ohne große Rücksicht auf die Natur. Jeder schlug eben so viel Holz, wie er konnte oder wollte.“ Vor 60, 70 Jahren kamen dann die ersten internationalen Holzkonzerne nach Nicaragua. „Die machten es genauso wie wir, nur eben in sehr viel größerem Stil.“ Rojas Conrado ist der Vorsitzende der Holzkooperative Kiwatingni. Sein Spanisch ist sanft. Der 33-Jährige spricht leise, fast schüchtern. Seine Muttersprache ist die der Miskito. Im Dorf Layasiksa gehören alle zu dieser Ethnie.
Der größte Feind des Waldes sind in Nicaragua nicht die Holzfirmen, es sind die Viehzüchter. Layasiksa liegt rund 450 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Managua. Die letzten gut 200 Kilometer fährt man auf einer holprigen Erdstraße mit Löchern, so groß und so tief, dass ein Geländewagen darin verschwinden kann. Vor 50 Jahren noch führte diese Piste durch den Regenwald. Heute fährt man an Viehweiden vorbei. Das Land verfügt zwar noch immer über die größten Waldreserven Zentralamerikas – fast die Hälfte Nicaraguas ist mit Bäumen bedeckt. Aber jedes Jahr werden zwischen 70.000 und 100.000 Hektar abgeholzt. Geht das in dem Tempo weiter, ist der Wald in 50 bis 75 Jahren verschwunden.
Ein Dorf macht seine Besitzansprüche geltend
Layasiksa war einst ein verträumtes Dorf an einer Lagune unweit der karibischen Küste. Die Miskitos dort lebten vom Fischfang und vom Ackerbau für den Eigenbedarf. Holz schlugen sie nur, um zu kochen und um ihre Häuser zu bauen. Die stehen weit übers Gelände verstreut auf hohen Stelzen, wegen der heftigen Niederschläge in der neun Monate dauernden Regenzeit. Als dann in den 1990er Jahren die Viehzüchter mit ihren Brandrodungen immer näher rückten, gründeten die Bewohner zwei Stunden Fußmarsch landeinwärts eine Tochtersiedlung. Seither gibt es Layasiksa- Laguna und Layasiksa- Bosque. „Wir haben über hundert Jahre alte Besitzurkunden für diesen Wald“, sagt Conrado. „Aber wenn wir nicht gekommen wären und mit dem neuen Dorf gezeigt hätten, dass hier ein Besitzer ist und aufpasst, dann gäbe es diesen Wald heute nicht mehr.“
Viehzüchter sind einflussreiche Leute in Nicaragua. Sie sitzen in allen Fraktionen des Parlaments. Fleisch ist das wichtigste Exportprodukt des Landes, ein Hektar brandgerodete Weide wird zu weitaus höheren Preisen gehandelt als ein Hektar Wald. Die Auseinandersetzung zwischen den Miskito und den Viehzüchtern war hart und dauerte lange. Über Jahre habe man verhandelt, habe versucht, der illegalen Landnahme mit Klagen vor Gericht ein Ende zu bereiten, erzählt Conrado. 2004 schließlich eskalierte der Streit. Drei Tage lang bekriegten sich Dorfbewohner und Eindringlinge. Es wurde geschossen, zwei Menschen starben. Dann flohen die Viehzüchter. „Man sagt, die Regierung habe ihnen anderswo Land zur Verfügung gestellt“, sagt Conrado.
Damals dachten die Miskito schon daran, ihren Wald nachhaltig zu bewirtschaften. Mit der Hilfe eines Beraters vom World Wide Fund for Nature (WWF) gründeten sie die Kooperative Kiwatingni – der indianische Name einer fast undurchdringbaren Schlucht, die quer durch ihr Waldstück führt. Ein forstwissenschaftlicher Experte der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) half bei der Vorbereitung des Zertifizierungsprozesses. 2006 war es dann so weit: Der Wald von Layasiksa bekam das Gütesiegel des Forest Stewardship Council (FSC), einer gemeinnützigen internationalen Organisation, die Vorreiter ist bei der Zertifizierung nachhaltiger Forstwirtschaft. Sie wurde 1993 in der Folge des Erdgipfels von Rio de Janeiro (1992) gegründet und hat ihren Sitz in Bonn.
Wer sein Holz mit dem FSC-Siegel veredeln will, muss eine ganze Reihe von Bedingungen erfüllen: Die Forstbetriebe müssen mit einem Bewirtschaftungsplan und jährlichen Arbeitsplänen nachweisen, dass sie umweltverträglich arbeiten. Sie müssen sich an die Gesetze des Landes halten, Einschlaglizenzen besitzen und ordentlich ihre Steuern bezahlen. Gute Beziehungen zu den Arbeitern und zur Kommune, in der der Betrieb angesiedelt ist, werden vorausgesetzt. Mindestens 30 Prozent der Arbeiter sollen aus der Gemeinde kommen. Und die Rechte indigener Völker müssen respektiert werden.
Die letzten beiden Bedingungen sind für Kiwatingni kein Problem: Alle 21 Kooperativenmitglieder sind Miskito, alle rund 100 Arbeiter kommen aus Layasiksa. Ihre Arbeitspläne stellt die Kooperative gemeinsam mit der im nahem Puerto Cabezas ansässigen gemeinnützigen Forstorganisation Masingni auf. Mario Castellón arbeitet dort als forstwirtschaftlicher Berater. Während der Zeit des Holzeinschlags im April und Mai wohnt er zusammen mit den Arbeitern in einem Camp im Dschungel, das ein bisschen an ein Guerilla-Lager erinnert: Schwarze, zwischen den Bäumen gespannte Plastikplanen schützen vor dem Regen, darunter baumeln Hängematten. In einer Feldküche bereitet eine Frau rote Bohnen und Kochbananen zu. Auf einem Stehpult aus groben Brettern im improvisierten Büro stapeln sich die Papiere. Vor dem Lager sind zwei Pferde festgebunden. Bis ins Dorf ist es eine Stunde Fußmarsch oder ein Ritt von 20 Minuten.
„Zunächst machen wir gemeinsam eine Waldbegehung“, erklärt Castellón das Vorgehen. Das zu bearbeitende Planquadrat wird festgelegt, jeder Baum wird mit GPS-Daten in einer Karte eingezeichnet. Es wird entschieden, welcher gefällt wird. „Es müssen genügend Besamungsbäume geschont werden, die dann in ihrem Umkreis für eine natürliche Wiederaufforstung sorgen.“ Und es sollen möglichst wenige Schneisen nötig sein, um die geschlagenen Stämme auf den nächsten Weg zu schleppen. Möglichst viele zu fällende Bäume müssen deshalb in einer Linie stehen und in dieselbe Richtung fallen. Zwei Wochen vergehen über dieser Arbeit, dann kommen die Säger.
Das schwere Gerät schluckt ein Viertel der Einnahmen
Die einzige Arbeit, die die Kooperative nicht selbst tun kann, ist der Abtransport der gefällten Stämme. „Man braucht schwere Traktoren, um durch die tiefen Schlammlöcher auf den Wegen zu kommen“, sagt Rojas Conrado. „Man braucht Seilwinden und Schlepper.“ Die Kooperative hat nicht genügend Kapital, um solche Anschaffungen zu stemmen. Sie mietet das schwere Gerät. „Das schluckt ein Viertel unserer Einnahmen.“
Am Ende des Einschlags geht Mario Castellón zum zweiten Mal über das gesamte Gelände und begutachtet den angerichteten Schaden. Zusammen mit Conrado entscheidet er: Kann sich der Wald von selbst erholen oder müssen einzelne Schneisen von Menschenhand wieder aufgeforstet werden? Für diesen Fall hat die Kooperative eine kleine Baumschule eingerichtet, in der Setzlinge herangezogen werden. Meist werden sie nicht gebraucht, sondern können an andere Betriebe verkauft werden – eine zusätzliche Einnahmequelle.
Um einen Grundstock an Kapital zu schaffen, hatte die Kooperative nach ihrer Gründung 2002 die stehenden Stämme an ein Sägewerk verkauft und dafür sechs US-Dollar pro Kubikmeter Holz bekommen. Seit 2005 fällen die Arbeiter selbst, zunächst mit gemieteten Motorsägen. Das brachte schon 35 Dollar pro Kubikmeter. Vom Gewinn haben sie in den vergangenen Jahren vier eigene Motorsägen gekauft und auf einer Freifläche nahe dem Dorf eine Holzsammelstelle eingerichtet. Dort stehen inzwischen das Bürogebäude, ein kleines Sägewerk und eine Trockenhalle. Für die fertig geschnittenen Bretter eines Cedro Macho werden heute rund 450 Dollar pro Kubikmeter bezahlt. 448 Stämme wurden in diesem Jahr gefällt, das bringt Einnahmen von knapp einer halben Million.
„Das Geld ist nicht nur für uns und unsere Arbeiter“, sagt Kooperativen-Chef Conrado. „Wir unterstützen auch unser Dorf.“ Der Betrieb hat die Dorfschule in Layasiksa-Bosque gebaut und drei Jahre lang einen Lehrer bezahlt, bis der schließlich vom Staat übernommen wurde. Für junge Leute, die studieren oder einen handwerklichen Beruf erlernen wollen, wird ein Stipendienprogramm finanziert. „Die meisten wollen irgend etwas mit Forstwirtschaft machen“, sagt Conrado.
Reich werden sie damit kaum werden. Einnahmen von einer halben Million Dollar im Jahr mögen zunächst beeindruckend wirken, sind aber nicht viel. Ein ganzes Dorf von rund tausend Einwohnern muss direkt oder indirekt von der Kooperative leben. Ein Säger, der an einem Tag 25 Bäume und mehr fällt, bekommt für diesen Knochenjob gerade einmal fünf Dollar Lohn. Der Vorsitzende der Kooperative wohnt mit seiner Frau und zwei Kindern weiterhin in einem einfachen Holzhäuschen auf Stelzen mit einem einzigen großen Zimmer. Es gibt keinen Strom in Layasiksa; nur einen kleinen Dieselgenerator, der nach Einbruch der Dunkelheit eine Laterne am Dorfbrunnen erhellt.
Neuen Kommentar hinzufügen