„Vor Mauretanien gibt es kaum mehr Fische“

Ein Gespräch mit Ismael Lebaye, Fischer und Leiter der lokalen Sektion der Nationalen Fischervereinigung in seinem Heimatort Nouadhibou in Mauretanien.
Sie leben seit mehr als zwanzig Jahren von der Fischerei. Nun sind Europas Fischereiflotten zunehmend auch vor den Küsten Ihres Landes unterwegs. Was bedeutet das für Sie und Ihre Kollegen?

Wir wissen nicht, wie wir künftig unsere Familien ernähren sollen. Riesige Fangschiffe der Europäischen Union ziehen direkt vor unserer Küste täglich bis zu 300 Tonnen Fisch aus dem Wasser. In Mauretanien fangen wir traditionell Fisch mit Hilfe von Delphinen. Wir rufen sie und sie treiben uns die Fische zu. Wir warten dann am Strand mit den Netzen. Boote brauchten wir keine. Heute funktioniert diese Technik nicht mehr.

Weil die Delphine nicht mehr kommen oder weil sie zu wenig Fisch mitbringen?

Wenn man die Delphine ruft, kommen sie noch immer. Aber sie bringen keine Fische mehr. Das heißt, dass in den seichten Gewässern kaum mehr Fische zu finden sind. Wenn es so weitergeht, gibt es in zwei Jahren keinen Fisch mehr vor Mauretanien.

Wie stellen Sie sich darauf ein?

Wir müssen mit unseren kleinen Fischerbooten fast zwei Wochen auf dem offenen Meer unterwegs sein. Oft bringen wir weniger als 60 Kilo Ausbeute mit. Jetzt müssen wir Fische aus tieferen Schichten suchen. Deswegen fahren wir mit den Pirogen mit Außenbordmotor hinaus. Das sind jetzt andere Fische als früher: Seehechte, Goldbrassen.

Reicht das zum Leben?

Kaum. Die Nahrungssicherheit von Fischern in ganz Westafrika ist gefährdet. Wir leben mit dem und vom Meer und haben keine Alternativen. Früher sind wir acht Stunden hinausgefahren, von 7 bis 15 Uhr. Heute sind wir manchmal 14 Tagen draußen. Wir fahren in Gruppen von mindestens zehn Pirogen. Eine fährt dann jeden Tag mit dem Fang an die Küste und bringt neuen Treibstoff, damit wir draußen bleiben können.

Hat mit der europäischen Fischerei auch die Verschmutzung zugenommen?

Ja. Die Auswirkungen auf die Umwelt sind sichtbar. Ich bin kein Experte für Wasserqualität, aber am Strand kann man die Folgen beobachten. Das geht bis zu Schiffswracks, die da liegen.

Die EU zahlt der Regierung von Mauretanien viel Geld für diese Fischereirechte.

Wir wissen von diesen Abkommen. 86 Millionen wurden im ersten Jahr bezahlt, im zweiten 76 Millionen, dann 73 Millionen und zuletzt nur 70 Millionen Euro. Es war geplant, dass 11 Millionen von den anfänglichen 86 Millionen in die traditionelle Fischerei gesteckt werden. Aber die Regierung hat das Geld in andere Projekte und in die Infrastruktur investiert.

Infrastruktur für Fischer?

Die elf Millionen wurden nicht in die traditionelle Fischerei investiert, sondern in die Fischerei insgesamt. Dazu zählen Projekte, die auch uns traditionellen Fischern nützen. Es wurden Häfen ausgebaut, Kühlhäuser errichtet, Straßen verbessert.

Wie viele Familien leben in Mauretanien von der traditionellen Fischerei?

Wir haben etwa 6000 Pirogen, auf denen rund 80.000 Personen arbeiten. Auf meiner beschäftige ich sieben Leute.

Und wie groß ist Ihre Familie?

Wir sind sieben: meine Frau, meine Schwiegermutter, meine Tochter und drei Enkelkinder. Meine Arbeit bringt mir zehn Euro am Tag ein. Damit muss ich die Familie durchbringen.

Was erwarten Sie von der EU?

Sie soll auf die Fischer hören und die Zahl der Schiffe, vor allem solcher, die Tiefseefischerei betreiben, reduzieren. Außerdem sollten nachhaltige Fischereimethoden eingesetzt werden, um die Überfischung der Küstengewässer zu verhindern. Wir fordern außerdem stärkere Kontrollen in den Häfen und auf hoher See.

Das Abkommen an sich wird nicht grundsätzlich in Frage gestellt.

Wir sind dafür, aber es muss auch für uns etwas übrig bleiben. Unser Überleben und unsere Art zu fischen dürfen nicht darunter leiden. Mit ihren Schleppnetzen fischen die europäischen Schiffe jeden Tag so viel wie hundert afrikanische Boote in einem Monat.

Wie haben die Vertreter der EU in Brüssel auf Ihr Anliegen reagiert?

Wir haben Maria Damanaki, die EU-Kommissarin für Fischerei, getroffen. Sie hat versprochen, bei künftigen Fischereiabkommen auf unsere Anliegen Rücksicht zu nehmen. Auf unsere Forderung, die Zahl europäischer Fischerboote vor Afrikas Küsten zu reduzieren, ist Damanaki nicht eingegangen. Deswegen wollen wir uns auf die Politik allein nicht verlassen. Wir setzen auch darauf, dass die europäische Bevölkerung Verständnis zeigen und auf die Politiker Einfluss nehmen wird.

Es heißt, die Piraterie in Ostafrika habe viel damit zu tun, dass Fischer nicht mehr überleben können. Gibt es das in Westafrika auch?

Einige von uns haben Rachegelüste. Es wurden schon Schiffe von Fischern geentert. Da kam es zu Konfrontationen mit der Mannschaft.

Auch bei Ihrer Organisation?

Ja, im vergangenen März wurde ein portugiesisches Schiff geentert, das Netze unserer Fischer zerstört hatte. Das Schiff wurde gezwungen, anzulegen, bis der Schaden bezahlt wäre.

War das erfolgreich?

Nein, unsere Fischer wurden ins Gefängnis geworfen, weil sie das europäische Schiff betreten hatten. Das ist per Gesetz verboten. Sie wurden erst nach einer Woche wieder freigelassen. In Zukunft werden wir Verluste in Kauf nehmen. Aber wenn sich so etwas wiederholt, werden wir wieder versuchen, Schadenersatz zu bekommen. Schließlich geht es um unsere Lebensgrundlage. Ich fürchte, das nächste Mal könnte auch Waffengewalt eingesetzt werden. Wir befürworten das nicht. Aber es ist nicht mehr als legitime Selbstverteidigung. 

Das Gespräch führte Ralf Leonhard.


Ismael Lebaye
ist Fischer und leitet die lokale Sektion der Nationalen Fischervereinigung in seinem Heimatort Nouadhibou im Norden von Mauretanien. Landesweit hat die Vereinigung 30.000 Mitglieder.

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erschienen in Ausgabe 8 / 2011: Die Jagd nach dem dicksten Fisch
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