Zu viel Macht für drei Meinungshändler

Ratingagenturen bewerten die Kreditwürdigkeit von Staaten und Unternehmen. Der Idee nach soll das die internationalen Finanzmärkte stabilisieren. Doch in der Vergangenheit haben die Urteile der Agenturen häufig das Gegenteil bewirkt. Dennoch ist ihr Einfluss bislang stetig gewachsen – auch in Entwicklungsländern.

Seit Standard & Poor’s im August die Bonität der US-Regierung heruntergestuft hat, rätseln Ökonomen über die Motive. Die USA seien weit davon entfernt, ihre Schulden nicht bedienen zu können, betont etwa Wirtschaftsprofessor Robert Pollin von der University of Massachusetts. Im Magazin „The Nation“ spekuliert Pollin, Standard & Poor’s habe möglicherweise mit Blick auf Geschäfte in China der Regierung in Peking einen Anlass geben wollen, Dampf in Richtung Washington abzulassen. Die Volksrepublik ist der größte Gläubiger der USA und hat nach der Bonitätsabwertung die US-Regierung ermahnt, ihr Schuldenproblem in den Griff zu kriegen. „Vielleicht geht Standard & Poor’s jetzt davon aus, dass das richtige Geld künftig in China gemacht wird“, sagte Pollin.

Autor

Tillmann Elliesen

ist Redakteur bei "welt-sichten".

Das klingt etwas verschwörerisch, zeigt aber, wie es um den Ruf der Ratingagenturen bestellt ist. Ende der 1990er waren die drei Branchenriesen Moody’s, Fitch und Standard & Poor’s in die Kritik geraten, weil sie die Asienkrise erst verschlafen und dann durch hektische Herabstufungen der betroffenen Länder wie Thailand und Indonesien zusätzlich angefacht hatten. Damals warf die Weltbank den Agenturen Unfähigkeit vor.

Doch seit der Finanzkrise 2008 geht es nicht mehr nur um Unvermögen. Bis zum Kollaps von Lehman Brothers hatten die Agenturen Finanzinstrumente, die auf Forderungen aus riskanten Hypothekenkrediten beruhten, als sichere Anlagen eingestuft – nicht weil sie es nicht besser wussten, sondern weil sie selbst damit Geld verdient hatten. Teilweise hatten sie diese Papiere mit entwickelt oder die Banken dabei beraten. Mit anderen Worten: Die Agenturen benoteten Produkte, die sie mit geschaffen hatten.

Neun der ärmsten Länder haben sich benoten lassen

Trotz dieser offensichtlichen Interessenkonflikte und ihrer langen Geschichte von Fehlurteilen haben die Ratingagenturen ihren Einfluss auf den Finanzmärkten in den vergangenen Dekaden kontinuierlich vergrößert, allen voran die drei Marktführer, die mehr als vier Fünftel des Geschäfts unter sich aufteilen. Laut einem neuen Hintergrundpapier der Organisation WEED hatten 1980 nur acht Staaten ein Rating. Heute haben 138 Länder eine Bonitätsnote von Moody’s, Fitch oder Standard & Poor’s, darunter 90 Entwicklungs- und Schwellenländer sowie 9 der 48 ärmsten Länder.

Die Autorin des WEED-Papiers, Franziska Richter, hält das Vordringen der Agenturen in Entwicklungsländer aus mehreren Gründen für problematisch. Zum einen sind die Ratings teuer – und für arme Länder am Ende häufig wertlos, weil sie so schlecht ausfallen, dass sie Anleger eher abschrecken. Mosambik, Uganda, Senegal und Kambodscha zum Beispiel haben alle den so genannten „Ramschstatus“. Zum anderen ist die Benotung von Entwicklungsländern oft noch ungenauer als im Falle anderer Staaten, weil es den Agenturen an Daten sowie Expertise mangelt und sie Länder einer Region häufig pauschal gleich bewerten.

Auch indem Entwicklungsländer ihre Dienstleistungsmärkte für ausländische Banken öffnen, holen sie sich Moody’s und Co. ins Haus. Denn Banken aus Europa und Nordamerika müssen seit 2007 nach dem so genannten Basel-II-Abkommen Eigenkapitalreserven vorhalten, deren Höhe sich am Ausfallrisiko für vergebene Kredite bemisst. Um dieses Risiko zu bestimmen, verlassen sich die Banken vor allem auf die Ratingagenturen. Zwar ist keine Regierung an das Basel-II-Abkommen gebunden, doch die Banken sind daran interessiert, in allen Ländern, in denen sie niedergelassen sind, nach den gleichen Regeln zu arbeiten. Und laut WEED haben die Regierungen der armen Länder wenig Möglichkeiten, eigene Kapitalvorschriften durchzusetzen.

Das Basel-II-Abkommen verdeutlicht das Dilemma, für das die Ratingagenturen stehen: Der Idee nach sollen sie Anleger mit Informationen versorgen, die helfen könnten, die Märkte zu stabilisieren. Tatsächlich aber haben sie in der Vergangenheit immer wieder das Gegenteil bewirkt. Experten wie Heribert Dieter von der Stiftung Wissenschaft und Politik fordern deshalb nicht den Verzicht auf Ratings, sondern mehr Wettbewerb unter den Agenturen. „Ratings sind letztlich Meinungen, und je mehr Meinungen es gibt, desto vollständiger das Bild, das sich ein Anleger machen kann.“

Eine staatliche Agentur wäre keine gute Lösung

Dieter plädiert zudem dafür, eine unabhängige öffentliche Stelle einzurichten, die die Urteile der Agenturen überprüft. Eine staatliche Behörde, die selbst Ratings vornimmt, wie sie derzeit in der Europäischen Union diskutiert wird, sieht er dagegen skeptisch. Eine solche öffentliche Agentur hätte zwar keine wirtschaftlichen, wohl aber politische Interessen, die ihre Urteile beeinflussen könnten.

Dass eine staatliche Agentur nicht der Weisheit letzter Schluss ist, ließ sich zuletzt in China studieren. Dort hat die Agentur Dagong, 1994 als Gegengewicht zu den drei Marktführern geschaffen, jüngst für Kopfschütteln in Wirtschaftskreisen gesorgt: Sie gab der staatlichen Eisenbahngesellschaft eine bessere Note als der Regierung, obwohl Peking letzten Endes für die Bonität der Eisenbahn bürgt.

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erschienen in Ausgabe 9 / 2011: Rüstung: Begehrtes Mordgerät
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