"Natürlich Wut“, lautet die Antwort von Schriftsteller und Weltenbummler Ilija Trojanow auf die Frage, was er angesichts der Hungersnot in Ostafrika empfinde. Auch Jean Ziegler, der frühere Beauftragte der Vereinten Nationen für das Recht auf Nahrung, empört sich: Die „kannibalische Weltordnung“ verursache das Massensterben. „Ein Kind, das an Hunger stirbt, wird ermordet“, sagt Ziegler. Für Trojanow sind die Hungertoten „der Kollateralschaden eines globalkapitalistischen Systems“. Und die Bundestagsfraktion der Linken stellt fest: „Es ist die westliche Handels- und Wirtschaftspolitik, die Hunger verursacht.“
Autor
Wut und Empörung sind berechtigt. In Somalia haben fast vier Millionen Menschen nichts zu essen, in nur drei Monaten sind dort 29.000 Kinder verhungert. In Mitteleuropa schimpfen die Leute derweil über den verregneten Sommer, der jede Grillparty vermassele und einen zwinge, die Steaks zu Hause in die Pfanne zu hauen. Dass im Jahr 2011 auf dieser Welt beides gleichzeitig möglich ist, ist ein Skandal, weil sowohl Hunger als auch Überfluss keine zufälligen Schicksale, sondern vom Menschen gemacht sind. Und natürlich hängt beides miteinander zusammen: Die hohen Lebensmittelpreise haben die Krise am Horn von Afrika verschärft, und die Preise sind auch deshalb gestiegen, weil wir in den reichen Ländern Autos fahren, die mit Sprit aus Mais betankt sind, weil Spekulanten an den Rohstoffbörsen mit teuren Lebensmitteln Geld verdienen und weil wir eben lieber saftige Rindersteaks als Sellerieschnitzel essen.
Dennoch greift es zu kurz, „den Kapitalismus“ oder „die westliche Wirtschaftsweise“ für den Hunger in der Welt verantwortlich zu machen. Und ganz falsch ist es, darin die Ursache für die Katastrophe in Ostafrika zu sehen. Zunächst einmal: Seit 1970 hat sich der Anteil der Hungernden an der Weltbevölkerung halbiert, von 26 auf 13 Prozent. Das sind immer noch viel zu viele, aber zur These vom hungerverursachenden Kapitalismus passt dieser Rückgang nicht. Auch verheerende Hungersnöte wie 1984 in Äthiopien oder 1992 und jetzt wieder in Somalia sind laut Fachleuten seltener geworden. In Indien, das während der Kolonialzeit schlimme Hungerkrisen mit hunderttausenden Toten erlebt hat, gab es seit den 1960er Jahren keine mehr. Trotz kapitalistischer Weltwirtschaft.
Das Elend am Horn von Afrika ist vor allem hausgemacht. Unter der Dürre und hohen Lebensmittelpreisen leidet die Bevölkerung der gesamten Region, aber nur einige Provinzen in Zentralsomalia sind auf der Hungerkarte von USAID blutrot als Katastrophengebiet markiert. Allein von außen wirkende Faktoren als Ursache zu nennen, verschleiert den Blick auf die Unterschiede. In Äthiopien und Kenia, wo es funktionierende staatliche Strukturen gibt, ist die Lage insgesamt besser als im Bürgerkriegsland Somalia. Und in der autonomen Region Somaliland, in der seit vielen Jahren relative Ruhe und Frieden herrschen, ist sie besser als im direkt angrenzenden Osten von Äthiopien, wo die Regierung das nach Unabhängigkeit strebende Volk bekämpft.
Ilija Trojanow weist das Vorurteil zurück, die „unfähigen, wilden Afrikaner“ seien allein für den Hunger verantwortlich. Dabei ist eine Art umgekehrter, wohlmeinender Rassismus viel verbreiteter: das Bild vom unschuldigen Afrikaner, der hilflos globalen Mächten ausgeliefert ist und nichts dafür kann, wenn bei ihm die Leute verhungern. Wer aber hindert die Länder der Afrikanischen Union daran, wenigstens zehn Prozent ihrer Staatshaushalte in die Landwirtschaft zu stecken, so wie sie es 2003 beschlossen haben? Nur neun von 53 Regierungen erfüllen diese Quote. Wer zwingt den äthiopischen Ministerpräsidenten Meles Zenawi, zehntausende Hektar Land an ausländische Investoren zu verpachten, statt es den eigenen Bauern zu geben? Und wer verlangt von Kenia, große Blumenfarmen zu fördern, aber den Anbau von Lebensmitteln zu vernachlässigen?
Die meisten Opfer der Hungersnot sind nomadisch lebende Viehhirten. Auch das ist kein Zufall, gelten sie in den Ländern am Horn von Afrika doch als rückständig und werden seit je verachtet und vernachlässigt. Der Ökonom Amartya Sen hat aus den Krisen in seinem Heimatland Indien den Schluss gezogen, dass Hungerkatastrophen nur dort möglich sind, wo Regierungen vor allem an sich selbst und nicht an das Volk denken und die Leute keine Möglichkeit haben, sie zur Rechenschaft zu ziehen. Diese Theorie erklärt Hungersnöte überzeugender als die pauschale Kapitalismuskritik.
Neuen Kommentar hinzufügen