(29.10.2012) Ob Kaffee, Blumen oder Bananen: Fair gehandelte Produkte sind längst in den Regalen deutscher Supermärkte angekommen – als letzter im Bunde der fünf „Großen“ in der Branche hat der Discounter Aldi vor kurzem einen fairen Kaffee ins Sortiment aufgenommen. Insgesamt bieten 36.000 Geschäfte faire Waren an. Mit rund zwei Prozent ist deren Anteil am gesamten deutschen Lebensmittelmarkt aber noch immer mehr als bescheiden.
Der faire Handel allein könne zwar den Welthandel nicht verändern, sagte der Geschäftsführer des katholischen Hilfswerks Misereor, Thomas Antkowiak, jüngst bei einer Fachtagung in Berlin. Aber er könne ein Maßstab sein, um Lieferketten von Lebensmitteln insgesamt fair zu gestalten. Wie das gehen kann – darüber streiten die Experten. Reicht es aus, wenn sich Supermärkte freiwillig auf Transparenz und die Einhaltung sozialer und ökologischer Standards bei der Produktion von Schokolade oder Tee verpflichten oder braucht es eine gesetzliche Regelung?
Florian Schütze von der Lidl-Stiftung plädierte bei der Tagung – wenig verwunderlich – für Freiwilligkeit. Die Handelsunternehmen hätten nur wenig direkten Einfluss auf die Arbeits- und Lebensbedingungen der Produzenten in den Ländern des Südens. Seine Lösung: Siegelinitiativen unterstützen und zugleich die deutschen Verbraucher mehr für fair gehandelte Produkte begeistern. Denn sie sind weit weniger bereit als Schweizer und Engländer für den fairen Preis etwas tiefer in die Tasche zu greifen – wie Transfair-Geschäftsführer Dieter Overath beklagte.
Unternehmen müssen verklagt werden können
Vertreter von Hilfswerken und Politik widersprachen vehement: Gesetzliche Regelungen seien nötig, betonte Frank Braßel von Oxfam. Die Unternehmen müssten verklagt werden können, wenn sie ihre Sorgfaltspflicht verletzen, die sich auch auf ihre Lieferketten erstreckt. Er sieht die Bundesregierung am Zug. Der Staat habe sich zugunsten der Wirtschaft aus seiner Verantwortung zur Durchsetzung von Recht und Gesetz verabschiedet, kritisierte der Leiter der Kampagne „Mahlzeit!“.
Auch die SPD-Bundestagsabgeordnete Karin Roth will internationale Konzerne auf die Offenlegung ihrer Lieferketten und ihrer Strategien zur unternehmerischen Verantwortung (CSR) verpflichten. Verbände sollten bei Verstößen gegen soziale oder ökologische Standards ein Klagerecht erhalten, betonte Roth, die im Bundestagsauschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sitzt.
Studie: Es gibt kein Patentrezept
Wie andere europäische Länder mit dieser Frage umgehen, zeigt eine Studie des britischen Instituts für internationales und vergleichendes Recht: Die Autorin Justine Stefanelli hat zusammengetragen, welche Gesetze oder freiwilligen Regelungen genutzt werden, um faire Beziehungen zwischen Produzenten und Händlern auf dem Lebensmittelmarkt zu erhöhen. Von 15 untersuchten Ländern wenden zehn Regulierungen an, darunter sieben verpflichtende und drei freiwillige.
In Deutschland kommt das Wettbewerbsrecht zur Anwendung, weitere spezifische Gesetze fehlen jedoch. Die Erkenntnisse über die Wirksamkeit sind gemischt: Laut Studie ist kein einzelnes Instrument (etwa ein verpflichtender Code of Conduct, dessen Nicht-Einhaltung bestraft wird) besonders effektiv, sondern die Mischung macht es. Stefanelli plädiert für eine einheitliche Regelung auf der Ebene der Europäischen Union (EU).
In Deutschland teilen sich die fünf führenden Supermarktketten Edeka, Rewe, Aldi, Lidl und Metro rund 90 Prozent des Lebensmittelmarktes. Mit ihrer Marktmacht setzten sie die Produzenten unter Druck, so Misereor-Geschäftsführer Antkowiak. Auf vielen Plantagen erhielten die Arbeiter nur einen Hungerlohn, Gewerkschaften seien verboten. An die Bundesregierung appellierte er, die Befugnisse des Bundeskartellamtes zu stärken, damit es besser gegen unfaire Einkaufspraktiken vorgehen und Transparenz einfordern kann.
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