Wildwest im Ostkongo

Kongos Präsident Joseph Kabila hatte mit einem sechsmonatigen Verbot den Bergbau im Osten des Landes lahmgelegt. Damit sollte der Handel mit sogenannten „Blutmineralien“ zur Finanzierung von Milizen unterbunden werden. Doch die wirtschaftlichen Einbußen trafen vor allem legale Geschäftsleute, Kleinschürfer und die öffentlichen Kassen. Die Furcht ist groß, dass der US-amerikanische Dodd-Frank-Act ähnliche Auswirkungen hat.
Sechs Monate war der Bergbau im Osten der Demokratischen Republik Kongo verboten – von September 2010 bis März dieses Jahres. Sechs lange Monate, Tag für Tag, durften keine Unze Gold, kein Gramm Kassiterit, Wolfram oder Coltan – die „Blutmineralien“ – in den Minen der drei Provinzen Maniema, Süd-Kivu und Nord-Kivu abgebaut oder von den Rohstoffhändlern zu den Konzernen transportiert werden, die diese Mineralien überall auf der Welt für ihre Produkte verwenden.
 
Zur Erinnerung: Die offizielle Begründung für das Verbot, das Präsident Joseph Kabila im September 2010 bei einem Besuch in Goma angekündigt hatte, waren die Verbindungen „zwischen der illegalen Ausbeutung und dem illegalen Handel mit Mineralien, der Verbreitung von Waffen durch mafia-ähnliche Banden und der andauernden Unsicherheit in den Provinzen Maniema, Nord-Kivu und Süd-Kivu“. Hinzu kam die „Notwendigkeit, die Souveränität des Staates aufrechtzuerhalten und seine Autorität über die Böden und den Untergrund der betroffenen Provinzen wiederherzustellen“. Das Verbot sollte außerdem die „Einmischung von Agenten und Leuten beenden, die nicht zu den im Minengesetz anerkannten Dienstleistern im Geschäft mit Mineralien gehören“. All diese Faktoren sah Präsident Kabila damals als Hindernisse an auf dem Weg, die Armut der Bevölkerung im Ostkongo zu reduzieren.
 

Autor

Onesphore Sematumba

ist beim Pole-Institut in Goma unter anderem für Information und Advocacy zuständig.

Wenn man sich die Gründe für das Verbot anschaut, dann wird klar, dass die Maßnahme für alle Provinzen im Land hätte gelten müssen. Geht man etwa davon aus, dass wertvolle Mineralien zur Armutsbekämpfung beitragen und so der Bevölkerung nutzen sollen, dann hätten auch alle Minen und Gruben in Katanga und Grand Kasai geschlossen werden müssen. Der Stopp des Bergbaus in Maniema, Nord-Kivu und Süd-Kivu wurde als sehr diskriminierend wahrgenommen – es sei denn, es hätte sich um einen Test gehandelt, bevor die Maßnahme ausgeweitet werden sollte. Sonst kann man die echten Beweggründe dafür nicht verstehen. Denn der Stopp hat das Leben vieler Familien erschüttert, die direkt oder indirekt vom Bergbau abhängig sind.

Die Kleinschürferei wird oft als Ursache dafür gesehen, dass Kinder und Lehrer in den Schulen fehlen, weil sie sich in die Gruben stürzen, um reich zu werden. Ein Verbot des Bergbaus zu Beginn des Schuljahres hätte dann die Klassenzimmer wieder füllen müssen. Aber das war nicht der Fall. Als die Minen schlossen, wurden die Eltern so arm, dass sie selbst die wenigen Kinder, die normalerweise zur Schule gehen, nicht mehr hinschicken konnten. Im Kongo bezahlen die Eltern die Bildung ihrer Töchter und Söhne fast komplett, vom Kindergarten bis zur Universität, obwohl die Verfassung festlegt, dass die ersten drei Schuljahre kostenlos und verpflichtend sind.

Wenn die Regierung die Wirtschaft erdrosseln wollte, hätte sie kein besseres Seil finden können als dieses Verbot. Laut dem im Erzhandel tätigen Unternehmer John Kanyoni trägt der Bergbau zwei Millionen US-Dollar zu den Einnahmen der Provinz Nord-Kivu bei – auch wenn nur 800.000 US-Dollar die öffentlichen Kassen erreichen. Täglich werden für weit mehr als 20 Millionen US-Dollar Geschäfte abgewickelt. Für den Journalisten Primo Pascal Rudahigwa geht man „allgemein davon aus, dass in Nord-Kivu die Einkünfte aus dem Bergbau etwa zwei Drittel der Staatseinkünfte ausmachen. Dazu tragen auch mit dem Bergbau verbundene Dienstleistungen bei wie der Transport der Mineralien und der Handel mit Nahrungsmitteln und verarbeiteten Produkten. Für die Maut an der Straße nach Kilambo allein belief sich der Verlust an öffentlichen Einnahmen nach sechs Monaten auf 3,6 Millionen US-Dollar“. Vor allem dank dieser Finanzquelle kann die Provinzregierung von Nord-Kivu ihre Auftragnehmer und Angestellten bezahlen. Sobald sie versiegte, kam es zu Protesten und Unruhen unter den Beschäftigten.

Im Kongo sind manche Gebiete so isoliert, dass sie kleinen Inseln in der Mitte des Nirgendwo gleichen. Walikale in der Provinz Nord-Kivu ist das perfekte Beispiel dafür. Aus der dort gelegenen Mine Bisie stammen allein 70 bis 80 Prozent des über Goma exportierten Kassiterits (Zinnerz, das oft auch Spuren von Niob, Tantal und Titan enthält). Es gibt keinerlei befahrbare Straßen, die das an Mineralien reiche Gebiet mit der 164 Kilometer entfernten Provinzhauptstadt Goma verbinden – außer man nimmt den 1600 Kilometer langen Umweg über Kisangani. Walikale ist vom Rest der Provinz, außer zu Fuß, nur mit einem kleinen Flugzeug erreichbar, das auf einem sehr schmalen Rollfeld mitten im Dschungel landet. Von Goma aus transportiert es ein paar Passagiere, aber vor allem Dinge des täglichen Bedarfs wie Kerosin, Salz, Waschpulver und Seife. Auf dem Rückweg werden Pakete mit „Materialien“ geladen, das ist der lokale Name für Rohstoffe wie Kassiterit und Coltan (aus dem das in der Elektronik wichtige Metall Tantal gewonnen wird). Während des Bergbauverbots blieb das Flugzeug am Boden. Ganze Dörfer waren von der Außenwelt abgeschnitten.

Für die Erzhändler bedeutete das Verbot des Bergbaus verschenkte Zeit im Wettlauf gegen die Uhr, um den Vorschriften des „Obama-Gesetzes“ nachzukommen. So wird der Dodd-Frank-Act, Abschnitt 1502, hier genannt (vgl. den Kasten auf Seite 38-39). Initiativen, die im Minensektor des Ostkongo die Transparenz erhöhen und die Wege des Erzes nachvollziehbar machen sollen, konnten nicht mehr arbeiten, weil ihr Budget aus den Verkäufen der Handelsgesellschaften stammt. So hat das International Tin Research Institute die Internationale Initiative für die Zinn-Lieferkette (iTSCi) gestartet; die deutsche Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) sowie die Internationale Konferenz für die Region der Großen Seen (CIRGL) arbeiten an der Zertifizierung von Kassiterit, Coltan, Gold und Wolframit in der Region. Die von iTSCi angestoßene Kennzeichnung der Mineralien mit einem Siegel wurde aus einer Abgabe von 50 US-Dollar pro Tonne aus dem Kongo exportierten Kassiterits finanziert – die Minenbetreiber hatten dem zugestimmt. Während des Exportstopps konnten die Produkte nicht mehr mit dem Siegel ausgezeichnet werden.

Doch es gibt auch Menschen, die dem Stopp des Bergbaus gute Seiten abgewinnen konnten. Batende Ndoole von der lokalen nichtstaatlichen Organisation ADECADEWA erklärte, die Bevölkerung von Walikale habe die Maßnahme begrüßt. „Sie gab uns die Möglichkeit, unsere wirtschaftliche Tätigkeit auszuweiten, vor allem die Landwirtschaft wieder anzukurbeln“, sagt er. Aber er beeilt sich, hinzuzufügen: Es sei schwierig gewesen. „Es dauert seine Zeit, bis man von Feldfrüchten leben kann.“

Während des Verbotes wurden mit Hilfe der UN-Friedensmission im Kongo (MONUSCO) 100 offizielle Handelszentren identifiziert, 400 sollen es insgesamt werden. Ferner wurden 400 Polizisten in Kapalata (Kisangani) ausgebildet; die meisten von ihnen sollen die Minenpolizei von Walikale verstärken. Das Haar in der Suppe ist freilich, dass die meisten von ihnen aus den Mai-Mai-Milizen kommen, die vorher im Gebiet von Walikale ihr Unwesen getrieben hatten. Und hätte man das alles nicht tun können, ohne einen ganzen Wirtschaftssektor zu erdrosseln?

Die Bergbauunternehmen im Osten des Kongo hatten kaum Zeit, die Aufhebung des Verbotes im März zu nutzen: Nun hängt das Damoklesschwert des Dodd-Frank-Acts über ihnen. Es blieben ihnen nur 22 Tage Frist. Die nutzten sie vor allem, um ihre Lagerbestände zu leeren – ein Hindernislauf, wenn man ganze Provinzen durchqueren muss, um eine Straße zu finden, und wenn der Gouverneur jeder Provinz eine Steuer auf den Verkehr erhebt.

Dennoch haben Bergbauunternehmer und Erzhändler, die Zivilgesellschaft, der kongolesische Staat und die internationale Gemeinschaft Initiativen ergriffen, um die Bergbauindustrie im Kongo transparenter zu machen. Aber es scheint, als ob all diese Anstrengungen unbekannt sind oder nicht beachtet werden – als ob nur die Alarmrufe der nichtstaatlichen Organisationen, die der Bergbauindustrie gegenüber feindlich eingestellt sind, berücksichtigt werden sollten.

Eine Sonderrolle in der Bergbauindustrie nimmt die staatliche Armee (FARDC) ein. Laut einem Militärexperten beteiligen sich ihre Soldaten am Bergbau, an der Produktion und an der Besteuerung. Sie treten so in einen unfairen Wettbewerb mit den zivilen Geschäftsleuten. Das blieb auch während des Verbots so. Laut einem Vertreter der Zivilgesellschaft in Omate (Walikale) überlebten die Soldaten und ihre Ehefrauen während des sechsmonatigen Verbots, indem sie mühsam und ohne jegliche Hilfsmittel Mineralien ausgruben – aus Mangel an Maschinen und Treibstoff. Angesichts der öffentlichen Drucks und vor allem der Präsenz der MONUSCO sei dies jedoch im Verborgenen geschehen. Sie hätten wohl keine andere Möglichkeit gesehen, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, vermutet der Vertreter der Zivilgesellschaft.

Ein Offizier der FARDC hat andere Erklärungen für die Militarisierung der Minen – darunter „Gier und Korruption der Generäle“, die den Bergbau aus der Ferne kontrollierten. „Ein Kleinschürfer kann mit seinem Satellitentelefon direkt Verbindung zu einem General in Kinshasa aufnehmen“, so der Offizier. Dieser heiße Draht zwischen der Grube und dem General lasse der „normalen militärischen Hierarchie“ wenig Spielraum. Die isolierte Lage der Minen erschwere die Lage. So habe der Soldat, der vor Ort Dienst tut, die wirkliche Macht.

Das Eindringen von Männern in Uniform in die Minen kann aber auch mit Konflikten um Eigentumsrechte erklärt werden – vor allem wenn für dieselben Konzessionen verschiedene vom Staat ausgestellte Besitzurkunden existieren. Das verwandelt die Minen in den Wilden Westen: Jede Partei rekrutiert und bezahlt ihre eigenen Polizisten und Soldaten. Der kongolesische Staat scheint unfähig, auf diesen Missbrauch zu reagieren, und die Hände der internationalen Gemeinschaft sind durch merkwürdige Konventionen gebunden. So darf die MONUSCO die kongolesische Armee nicht angreifen, um nicht „die kongolesische Regierung zu beleidigen“. Wegen ihrer Pflicht zur Kooperation darf sie auch den Armeechef nicht auf eine Sanktionsliste setzen. Das könnte nur die kongolesische Regierung tun, weil es um ihre Souveränität geht.

Der Bergbau im Kongo steckt in einer Krise, die zugleich chronisch und akut ist. Chronisch, weil seine Fehlfunktionen nichts Neues sind. Er war schon immer nach außen orientiert, also dazu da, andere Leute reich zu machen. Akut ist die Krise insoweit, als der Sektor in den vergangenen Monaten turbulente Zeiten erlebt hat. Es könnte sein komplettes Aus bedeuten, wenn der Bulldozer, dem das neue Gesetz aus den USA gleicht, nicht zumindest für einige Zeit angehalten wird. 

Den Beitrag haben wir in gekürzter Form der Publikation „DRC: The Mineral Curse“ entnommen (www.pole-institute.org).

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erschienen in Ausgabe 12 / 2011: Bodenschätze: Reiche Minen, arme Länder
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