Dass Felipe Reyna auf seine alten Tage noch Millionär geworden ist, hat er der Finanzkrise zu verdanken. Seit gut 50 Jahren gräbt der Peruaner nach Gold. In aufgelassenen Minen im heimatlichen Nordperu oder im Sand der am Osthang der Anden liegenden Flüsse hat Felipe Reyna schon die Erde auf der Suche nach Wertvollem umgegraben. Mehr oder weniger erfolgreich, je nachdem ob ihm das Glück und der Goldpreis hold waren. Bei rund 5 Euro pro Gramm Rohgold kam er kaum über die Runden. Heute bekommt er 33 Euro für das Gramm und die grünen Augen des 67-Jährigen strahlen vor Zufriedenheit aus dem wettergegerbten Gesicht.
Seit zehn Jahren ist Servilleta sein Reich, ein Bergbaucamp im Hinterland des nordperuanischen Städtchens Suyo, rund 30 Kilometer vor der Grenze zu Ecuador. Zwei Stunden rumpelt man von der Abzweigung bei Suyo über eine Erdpiste, knochentrocken ist der Boden, ab und zu taucht eine Ziege oder eine ausgemergelte Kuh hinter stachligem Gestrüpp auf. Servilleta, das sind ein paar Holzhütten und jede Menge Mini-Bergwerke mit zugehöriger Mühle. Polizei oder andere staatliche Institutionen gibt es hier nicht. Zwar ist das Gebiet kartiert und hat einen eingetragenen Konzessionär, aber der sitzt in Lima und lässt Felipe und seine Leute gegen eine Beteiligung in seiner Konzession schürfen.
Das Gold wird in Servilleta gefördert wie vor hundert Jahren, nämlich mit Dynamit, Pickel und Schaufel. Ein knapp ein Quadratmeter großer von Hand gegrabener Schacht führt bis zu 30 Meter in die Tiefe. An einer rostigen Leiter und dem Seil der Drahtwinde steigen die Bergleute hinunter, junge Bauernsöhne aus den umgebenden Dörfern, die mit 15 Euro pro Tag nach Hause gehen. Felipe Reyna kontrolliert die Weiterverarbeitung in seiner Mühle. Das Gestein wird dort mit einer elektrischen Mühle zerkleinert und mit Quecksilber versetzt, 40 Gramm auf 330 Kilo Gestein. Aus dem klein gemahlenen Schlamm wird zuerst das schwere Quecksilber durch mehrmaliges Abschütten herausgefiltert. Zum Schluss werden die mit Quecksilber gebundenen Goldkörnchen in einem Tuch ausgepresst.
In drei Auffangbecken wird der quecksilber- und goldhaltige Restschlamm aufgefangen und an einen Betreiber verkauft, der mit Zyanid den Rest Gold herausholt. Ein leeres Fläschchen Quecksilber liegt am Boden, wie viel von der quecksilberhaltigen Lauge überläuft oder einfach den Abhang hinuntergeschüttet wird, kann man nur vermuten. Umweltkontrollen sind hier ein Fremdwort.
Felipe Reyna ist ein sogenannter informeller Bergmann. Er besitzt die Einwilligung des Konzessionärs, hat aber keine staatliche Erlaubnis zum Abbau. Er bezahlt keine Steuern und niemand kontrolliert den Schaden für die Umwelt, den Umgang mit Sprengstoff oder die Rechte der Arbeiter. Illegal ist das nicht – das wäre seine Tätigkeit nur, wenn er in einem Naturschutzgebiet, an einer archäologischen Stätte oder innerhalb einer städtischen Siedlung schürfen würde, die für den Bergbau gesperrt sind.
Felipe Reyna fühlt sich in der Grauzone des informellen Sektors zu Hause. In Serviletta sind er und seine 14 Goldgräber-Partner die Herren über Leben und Tod. „Wenn uns hier jemand rausholen will, dann sprengen wir die Autos in die Luft.“ Allein im Gebiet von Servilleta soll es 16 Tonnen Dynamit geben, illegal aus Ecuador eingeführt. Da traut sich so schnell kein Polizist oder Steuerbeamter rein.
Autorin
Der 21-jährige José ist einer von Felipe Reynas Arbeitern. Heute ist er nicht in den Schacht hinabgestiegen, sondern steht oben an der Winde, mit der er die Eimer mit dem Gestein per Hand heraufzieht. Seine Oberarmmuskeln erinnern an Arnold Schwarzenegger in seinen besten Jahren. José kommt aus Ayabacá, einer Gegend, in der die Bauern vor vier Jahren erfolgreich den Einzug eines britischen Bergbau-Unternehmens verhindert haben – im Namen der Umwelt. Gegen die Goldförderung durch informelle Bergleute hat José jedoch nichts: „Besser die Bauern fördern das Gold als die Multis“, meint er. So sieht das auch Wilbelder Ruiz. Der studierte Lehrer hatte vor acht Jahren schon sein Bündel geschnürt, um als illegaler Migrant sein Geld in den USA zu verdienen. Da teilte ihm sein Bruder mit, dass in ihrer Heimatgemeinde San Sebastian im Distrikt Suyo Gold gefunden worden sei. Statt Tellerwäscher in New York wurde er Goldgräber. Heute ist er Geschäftsführer der Bergbaufirma Marss SA. Es ist ein Gemeinschaftsunternehmen von 118 Bauern, die, statt Ziegen zu hüten oder Kühe zu melken, aus dem Schatz unter ihrem Boden Kapital schlagen wollen. „Als Bauern hier im trockenen Hinterland haben wir kaum genug zum Leben gehabt, aber mit dem Gold verdienen wir gut“, sagt Wilbelder Ruiz.
Manche Bauern entscheiden sich gegen den Bergbau
Er möchte ein legales Unternehmen, das die Umweltauflagen einhält und Steuern bezahlt. Sein Traum: eine eigene Weiterverarbeitungsanlage, damit die Wertschöpfung auch in der Gemeinde bleibt. Das mag zwar sozial sein, aber keineswegs ökologisch, auch wenn Wilbeder Ruiz behauptet, dass das industrielle und überwachte Zyanidlaugenverfahren weit weniger umweltschädlich sei als der individuelle, unkontrollierte Gebrauch von Quecksilber. Er sei aber offen für neue Methoden der Goldbindung, die ohne Quecksilber oder Zyanid auskommen, versichert er. Sie basieren auf Mikroben und werden wegen ihrer geringen Ausbeute und Praktikabilität in Peru bisher nicht angewendet.
Nicht alle Bauerngemeinden entscheiden sich für den Bergbau. Der Ältestenrat der benachbarten Gemeinde Santa Rosa de Suyo hatte 2008 beschlossen, den Bergbau auf seinem Grund und Boden zu verbieten. Die Bauern befürchteten Gewalt und Ungleichheit und dass die wenigen Bäume für Stützbalken abgeholzt würden. Sie behielten recht: Der Konflikt zwischen dem Gemeindevorstand und den Bauern, die entgegen der Anweisung weiter Gold abbauten, eskalierte im Mord an einem Gemeindevorstand im März 2009. Ein halbes Jahr später wurden vier Bergleute in der Gemeinde am helllichten Tage erschossen. Eine Vendetta sei es gewesen, sagte die Polizei und steckte die Söhne des ersten Opfers ins Gefängnis.
Anfang Oktober wurde ein weiterer angeblicher Täter erschossen aufgefunden. In Santa Rosa de Suyo habe das Gold bisher vor allem Misstrauen und Angst geschürt, sagt Marcelino Correa. Mit seinen 25 Jahren ist er bereits Mitglied im Ältestenrat und befürchtet, dass er als Mitglied der Bauernfraktion als Nächster in die Schusslinie der Gegner geraten könnte. „Ich bin nicht gegen Entwicklung, aber sie soll nachhaltig sein“, betont er. Marcelino Correa setzt auf die Landwirtschaft und hofft auf ein gutes Einkommen mit dem Anbau und Export von organischem Kaffee und Kakao.
Laut dem Bergbauministerium in Lima arbeiten bis zu 200.000 Peruaner informell im Bergbau, die Zahl hat sich in den vergangenen drei Jahren verdoppelt. Die Mehrheit von ihnen ist in den südlichen Anden oder im Amazonasgebiet tätig, wo ganze Wälder abgeholzt werden, um Gold aus dem Flusssand zu filtern. In vielen Fällen werden dazu Maschinen, nicht mehr nur die Körperkraft eingesetzt. Eine Milliarde US-Dollar, so schätzt die peruanische Bergbauvereinigung, setzt der informelle und illegale Bergbau um. Die Umweltschäden hat niemand beziffert, aber sie sind riesig.
Das Bergbauministerium will deshalb in den nächsten fünf Jahren alle informellen Bergleute in den formellen Sektor holen. Sie müssen sich dann an staatliche Umweltauflagen halten, Steuern bezahlen und Arbeitsschutzgesetze einhalten. Der Vorteil für die Bergleute ist, dass sie damit Zugang zu Krediten erhalten, sichere Rechtstitel für ihr Bergwerk haben und nicht mehr als dubiose Goldgräber, sondern als respektable Bürger angesehen werden. Aber das Formalisierungsverfahren ist aufwendig und teuer für die Kleinschürfer. Zudem stellt der Staat zu wenig Personal, um sein Vorhaben zu verwirklichen.
Das Umweltministerium verfolgt eine andere Strategie: Im Februar dieses Jahres ließ Umweltminister Antonio Brack Egg die schlimmsten illegalen Goldfabriken im Amazonasgebiet von der Armee zerstören und ein Schutzgebiet ausweisen. Mit wenig Erfolg: Der hohe Goldpreis lockte die Bauernsöhne der Umgebung mehr, als das Verbot aus der fernen Hauptstadt sie schrecken konnte. Schnell wurde das Schutzgebiet von illegalen Bergleuten besetzt. Anfang November wusste auch Eggs Nachfolger, Ricardo Giesecke, kein weiteres Mittel als die Schwimmbagger der Goldwäscher im Amazonasgebiet gewaltsam zu zerstören und die Goldgräber mit Hilfe der Polizei zu vertreiben. Gleichzeitig will er die Zulieferung der Substanzen unterbinden, ohne die kein Goldgräber arbeiten kann: Benzin, Quecksilber, Zyanid und Dynamit. Ob er damit Erfolg hat, muss sich noch zeigen. Währenddessen spitzen sich die Konflikte zwischen Landwirten und informellen Bergleuten im ganzen Land zu. Alfredo Torres etwa baut auf seinen 20 Hektar am Unterlauf des Lorenzo-Flusses Maracuja für den Export an. Das Gebiet um Tambogrande ist mit seinem künstlichen Stausee eine Hochburg der peruanischen Exportlandwirtschaft. Doch der Bergbau-Distrikt Suyo liegt rund 100 Kilometer flussaufwärts.
Vor vier Monaten erfuhr Alfredo Torres von seinem Exporteur, dass ein Container mit Maracuja aus dem San-Lorenzo-Tal in Holland zurückgewiesen worden war, weil der Cadmium- und Bleigehalt in den Früchten zu hoch gewesen sei. Noch ist unklar, ob es falscher Alarm war oder ob der informelle Bergbau am Oberlauf des Flusses das Wasser verschmutzt hat. Aber Alfredo Torres muss befürchten, dass demnächst ein weiterer Container abgelehnt wird. Im Bergbaucamp Servilleta sind die Befürchtungen der Export-Landwirte flussabwärts kein Thema. Rasch steckt sich Felipe Reyna das silbrige Kügelchen in die Tasche, das nach dem Mahl- und Waschvorgang auf dem Tuch zurückgeblieben ist. 50 Gramm Gold sind das, noch vom Quecksilber überlagert. Wert: 1650 Euro. Er wird es illegal einem Goldaufkäufer verkaufen, der es dann in den legalen Markt einschleust. 15 bis 18 Prozent des aus Peru exportierten Goldes stammt laut dem peruanischen Bergbauverband aus informellem Bergbau. Der Run auf das Edelmetall ist ungebrochen. Felipe Reyna weiß, wer für das Glück seiner späten Tage verantwortlich ist: „Gut, dass Europa und die USA in der Krise stecken.“
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