„Es geht mir darum, medial vermittelte Bilder zu hinterfragen“

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Im ersten Langspielfilm „The Village Next to Paradise“ von Mo Harawe geht es um einen alleinerziehenden Vater, seinen Sohn und die Schwester des Vaters, die nach der Scheidung ein selbstständiges Leben sucht.
Im Kino
Der somalisch-österreichische Regisseur Mo Harawe zeichnet mit seinem ersten Langspielfilm ein einfühlsames Bild vom Alltagsleben in Somalia.

Mo Harawe hat mit seinem ersten Langspielfilm „The Village Next to Paradise“ etwas geschafft, was nur wenigen Regisseuren gelingt: Er wurde 2024 zu den Filmfestspielen von Cannes eingeladen. Der Streifen erzählt von einem alleinerziehenden Vater, seinem Sohn und der Schwester des Vaters, die nach der Scheidung ein selbstständiges Leben sucht. Der Film wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem im vergangenen November mit dem Wiener Filmpreis und kurz darauf mit dem Hauptpreis des Weltkinofestivals in Berlin. Im Gespräch erklärt Harawe, warum er Filme dreht und wie es ist, mit Laienschauspielern zu arbeiten.

Mo Harawe wurde 1992 in der somalischen Hauptstadt Mogadischu geboren. Kurz vor seinem 18. Geburtstag flüchtete er nach Österreich, mittlerweile ist er österreichischer Staatsbürger. In seinen bisherigen Kurzfilmen hat er sich den Themen Flucht, Fremde und Ankommen gewidmet.

Sie zeichnen im Film den Alltag von drei Menschen in einem Dorf an der somalischen Küste nach. Drohnenangriffe und fehlende Lebensgrundlagen schwingen dabei im Hintergrund mit, im Zentrum stehen jedoch die Menschen. Warum wollten Sie diese Geschichte erzählen?
Ich schrieb die Geschichte erstmals 2018, denn nach meinen ersten Jahren in Österreich stellte ich fest, dass man hier sehr wenig über Somalia weiß. Meist kennt man nur verzerrte Bilder von Piraterie, Krieg, Terrorismus und so weiter. Ich wollte zeigen, dass auch in Somalia Menschen ihr ganz normales Leben führen, arbeiten oder in die Schule gehen. Der Film ist mein Versuch zu erzählen, was ich über das Land weiß. Im Vordergrund geht es dabei um die zwischenmenschlichen Beziehungen. Und ich möchte auch die Widerstandskraft der Menschen zeigen: sie stehen immer wieder auf und gehen weiter. Natürlich gibt es auch Probleme in dem Land, aber dazwischen sind immer Menschen.

Sie haben den Film größtenteils mit Laien gedreht. Warum?
Wir wollten von Anfang an mit einem lokalen Team arbeiten. Allerdings gibt es in Somalia keine richtige Filminfrastruktur, auch nur wenige Menschen mit Film-Knowhow. Wir waren daher quasi gezwungen, mit Laien zu arbeiten. Abgesehen davon mag ich das aber auch sehr.  70 bis 80 Prozent unserer Crew waren zum ersten Mal an einem Filmset. Wenn wir für eine Position niemand Passenden in Somalia gefunden haben, haben wir jemanden aus der weiteren Region gesucht. So holten wir für den Ton Leute aus Kenia, für Kamera und Licht jemanden aus Ägypten. Die Dreharbeiten haben zwar länger gedauert als sonst, es war aber ein großartiges Team und am Ende ist alles gut ausgegangen.

Wer sind Ihre Protagonistinnen und Protagonisten im echten Leben?
Der Hauptdarsteller ist eigentlich Journalist, die Hauptdarstellerin eine Geschäftsfrau, und der Junge wurde über einen Freund eines Schauspielers gefunden. Wir fanden sie zufällig über Kontakte. Es hätte nicht funktioniert, in Somalia einen Castingaufruf zu machen. Die Wahrscheinlichkeit, dass niemand kommt, wäre sehr hoch gewesen.

Sie sagen, in Somalia gebe es keine große Filminfrastruktur. Wie sind Sie selbst dann zum Film gekommen?
Als Kind habe ich viele Filme im Fernsehen gesehen, aber nie den Traum gehegt, Filmemacher zu werden. Ich habe Geschichten und Gedichte geschrieben. In Österreich habe ich dann mit Freunden und kleinen Kameras erste Kurzfilme gedreht. Mit Filmen habe ich versucht, eine universelle Sprache zu finden. Das hat sich so für mich ergeben.

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Ist es für einen Filmschaffenden, der nicht aus Europa kommt, schwierig, Fuß in der Branche zu fassen?
Ich denke, es ist hier generell für alle schwierig, in die Filmbranche zu kommen. Ich glaube das trifft nicht mich im Speziellen, weil ich aus Somalia komme. Wenn du nicht in der Filmschule warst, ist es umso schwieriger, Filme außerhalb des Systems zu machen und ernstgenommen zu werden. Ich hatte mich damals an der Filmakademie in Wien beworben und wurde nicht genommen. Ein Vorteil, um ernst genommen zu werden, ist natürlich, wenn man irgendwann international Erfolg hat.

Sie sagen, viele Menschen in Österreich wüssten nur wenig über Somalia. Was wäre hier besonders wichtig zu vermitteln?
Es geht mir nicht um spezifische Fakten, sondern darum, medial vermittelte Bilder zu hinterfragen. Nicht nur zu Somalia, sondern weltweit. Wichtig wäre etwa zu recherchieren, ob es bei Somalia wirklich immer nur um Terrorismus oder Piraterie geht. Ich hoffe, dass mein Film dazu anregt, nach dem Kinobesuch hinauszugehen und selbst Antworten zu finden.

Wobei das oft schwierig ist, wenn man selbst keinen Zugang zu anderen glaubwürdigen Informationsquellen hat.
Ich sage auch nicht, dass es leicht ist. Man muss eine gewisse Motivation haben und Zeit hineinstecken. Das ist natürlich eine gewisse Eigenverantwortung. Aber wenn man das wirklich will, glaube ich schon, dass man Quellen finden kann, die Dinge vielschichtiger darstellen. Das kann im Internet sein, aber ich denke hier vor allem auch an Menschen, die aus diesen Regionen kommen und mit uns leben. Man könnte versuchen, mit ihnen in Kontakt zu kommen und nachzufragen.

Sind bereits entsprechende Reaktionen gekommen?
Ja, die Zuschauerinnen und Zuschauer hatten nach den Vorstellungen viele Fragen zu den Hintergründen, die im Film angedeutet, aber nicht beantwortet werden: etwa die Drohnen, die ständig über das Dorf fliegen, die giftigen Chemieabfälle, die neben dem Dorf abgeladen werden, oder die Proteste gegen illegale Fischerei, die die Lebensgrundlage vieler Menschen bedroht. Und es dürfte uns gelungen sein, inmitten all der Probleme, denen die Protagonistinnen und Protagonisten im Alltag gegenüberstehen, ihre Würde und ihre Widerstandskraft zu vermitteln.

Alle Ihre Kurzfilme und auch jetzt der aktuelle Langspielfilm drehen sich um Somalia. Etwa die Hälfte Ihres Lebens haben Sie nun in Österreich verbracht. Werden Sie auch das filmisch behandeln?
Auf jeden Fall. Bisher hat es sich so ergeben, dass meine Filme in Somalia spielen. Aber ich sehe es als Verantwortung, Geschichten zu erzählen – egal ob über Somalia oder Österreich. Wenn ich das Gefühl habe, einer Geschichte hier gerecht werden zu können, werde ich das tun.

Das Gespräch führte Milena Österreicher.

Hier können Sie sehen, ob der Film auch in einem Kino in Ihrer Nähe läuft. 

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