Eine Somalierin brennt für das Filmemachen

Sofi Lundin
Kaif Jama dreht derzeit ihren ersten Spielfilm. Sie träumt davon, einmal einen ihrer Filme beim Streamingdienst Netflix zu veröffentlichen.
Kino in Somalia
Die Somalierin Kaif Jama erzählte schon in einem Flüchtlingslager gern anderen Kindern selbst ausgedachte Geschichten. Inzwischen hat die 25-Jährige 66 Kurzfilme produziert und für eine Premierenvorführung ein Theater in Mogadischu wiedereröffnet.

Kaif Jama war sechs Jahre alt, als ihre Mutter 1997 mit den Kindern vor dem Bürgerkrieg in Somalia flüchtete. Ihr Vater war gestorben und die Mutter musste ihre sechs Kinder sicher über die Grenze nach Kenia bringen. Im Kakuma-Flüchtlingslager im Nordwesten des Landes begann die Familie ihr neues Leben. Doch der Alltag als Flüchtling war hart, deswegen träumte sich Kaif in andere Welten: „Als Kind lebte ich durch die Geschichten, sie waren wie eine Therapie für mich“, sagt Kaif in einem Interview in Mogadischu.

Sie erträumte sich Fantasiegeschichten und erzählte sie Kapitel für Kapitel anderen Flüchtlingskindern. „Meine Mutter sagte, ich würde verrückt werden, aber ich war besessen von schönen Welten. In meinem Kopf entfloh ich der Wirklichkeit“, erinnert sie sich. Schon bald wurde das Mädchen eine berühmte Geschichtenerzählerin im Camp. Ihr Geografielehrer gab ihr eine Inspiration: „Er sagte immer, ich solle meine Geschichten aufschreiben, aber ich sei eine lausige Autorin. Als ich etwa 15 Jahre alt war, brachte er mich auf die Idee, Filme zu machen. Das war wie eine Offenbarung für mich“, sagt Kaif.

Nach mehreren Jahren im Kakuma-Flüchtlingslager zog die Familie erst nach Uganda und schließlich nach Ägypten. Dort drehte Kaif 2017 zusammen mit ihrer Freundin mit deren Canon-Kamera ihren ersten Kurzfilm mit dem Titel „It’s just a bad night“. Kaif spielt darin ein Mädchen, das nicht schlafen kann. Sie luden den Film auf Youtube hoch, innerhalb kürzester Zeit hatten ihn Zehntausende angeklickt. 

Kaifs Kurzfilme enthalten versteckte Botschaften

In den vergangenen fünf Jahren hat Kaif 66 Kurzfilme gedreht und diese bei Youtube und Facebook hochgeladen. Die guten Zuschauerzahlen sorgten dafür, dass sie damit ab 2019 etwas Geld verdiente. Ihre Kurzfilme, von denen sie die meisten mit ihrer Freundin Nkhlan gedreht hat, setzen sich oft mit der somalischen Kultur auseinander und enthalten versteckte Botschaften. Einer der Filme heißt „Shaddow“ und handelt von einem somalischen Mädchen, das versucht, sein Leben zu leben, aber von seiner Mutter aus dem Haus geworfen wird. „Wenn die Nachbarn sagen, dass dein Kind anders ist, ist das ein Skandal! Warum ist es nicht in Ordnung, so zu sein, wie wir sind, und das Leben zu leben, das wir leben wollen?“, fragt sie.

Kaif ist seit ihrem ersten Film im Jahr 2017, der auf Facebook mehr als 500.000 Aufrufe hatte, auf sich allein gestellt. Sie verantwortet die Produktion, Regie und spielt auch noch die Hauptrolle in ihren Filmen, die alle selbst finanziert sind. Das Geld für ihre Kurzfilme hat sie mit Aufträgen als Übersetzerin für „Ärzte ohne Grenzen“ und mit ihren Filmen auf Youtube verdient. „Ich habe zwar einige Arbeitspartner, aber es war schwierig, ein richtiges Filmteam zu finden. Das hat mich aber nicht abgehalten, meinem Herzen zu folgen“, sagt sie. „Ich habe hart gearbeitet, um meine Projekte zu verwirklichen.“

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Autorin

Sofi Lundin

ist freie Journalistin und Fotografin in Uganda.
Sie hat ihre letzten beiden Filme, „Hoos“ und „Date from Hell“, 2021 zusammen mit dem somalischen Filmemacher und Produzenten Ibrahim CM gedreht. Dabei kam sie auf eine Idee, die ihre Mitmenschen schockierte. „Ich beschloss, dass die Filmpremiere im Nationaltheater von Mogadischu stattfinden sollte. Da gab es nur das winzige Problem, dass es seit mehr als 30 Jahren geschlossen war“, sagt sie und lacht laut auf. 

Das Theater war einst ein Geschenk des chinesischen Staatspräsidenten Mao Zedong

Sie richtet ihren schwarzen Hijab und dreht ihren Nasenring, während sie weiter von der Reise zurück in ihr Heimatland erzählt. „Nach der Filmproduktion war ich total pleite und habe mein letztes Geld für ein Ticket von Ägypten nach Somalia ausgegeben. Ich musste einen Weg finden, dieses Theater wieder zu öffnen“, erzählt sie. 

Als sie in der Hauptstadt Mogadischu ankam, kontaktierte sie einen alten Freund, der sie mit Abdikadir Abdi Yusuf, dem Direktor des Nationaltheaters, bekannt machte. „Bist du völlig verrückt geworden?!“, fragte dieser Kaif. „Das Theater ist geschlossen und deine Pläne sind gefährlich.“ 

Das Nationaltheater in Mogadischu war ein Geschenk des chinesischen Staatspräsidenten Mao Zedong und wurde 1967 eröffnet. Bis zum Beginn des somalischen Bürgerkriegs 1991 war es ein Zentrum für Konzerte und Filmvorführungen. Der Krieg beendete alle Filmvorführungen, das Theater wurde zum Ziel von Selbstmordattentätern und das Gebäude von Kriegsherren als Militärbasis genutzt. Das Kino wurde 2012 wiedereröffnet, aber schon zwei Wochen später von Al-Shabaab-Dschihadisten in die Luft gesprengt. Seit den 1990er Jahren war hier kein Somalier mehr ins Kino gegangen.

Angst vor einem Angriff der Al-Shabaab 

 „Sie wissen, dass Sie mindestens 50 Polizisten und Sicherheitskräfte bezahlen müssen, um das Kino öffnen zu können. Haben Sie dafür das Geld?“, fragte der Direktor die Filmemacherin. Kaif hatte kein Geld, aber eine tolle Idee: „Wie wäre es, wenn ich Ihnen 150 Freikarten für die Vorstellung schenke?“ Der Direktor schwieg einen Moment. „Ok, sagen wir 200 Karten und Sie bekommen Ihre Eröffnung!“ Am 22. September 2021 nahmen schließlich in Präsenz von 50 Sicherheitsleuten die Besucher des Theaters, die je zehn US-Dollar für das Ticket bezahlt hatten, ihre Plätze ein. Als der Projektor das Licht auf die Leinwand warf, hatte Kaif Geschichte geschrieben. „Als die Filmvorführung losging, fingen die Leute an zu klatschen und zu lachen. Es war ein unglaublicher Moment“, erinnert sie sich. 

Kaif trug ein traditionelles somalisches Kleid, das Haar hing locker über ihren Schultern. „Ich wollte so aussehen wie die Frauen früher in Somalia. Es war mir wichtig, an einem Tag wie diesem selbst teilzunehmen, aber gleichzeitig hatte ich Angst vor einem Angriff“, gibt sie zu. Denn vor der Premiere hatte Kaif von mehreren Drohungen der Al-Shabaab gegen die Wiedereröffnung des Nationaltheaters gehört. „Um ehrlich zu sein, konnte ich den Tag nicht wirklich genießen“, erzählt sie. „Ich habe die ganze Zeit über meine Schulter geschaut. Ich hatte Angst zu sterben.“ 

Wegen der Bombendrohungen hatten viele Menschen ihre Karten storniert, und im Nationaltheater, das 6000 Besucher fasst, blieben viele Plätze leer. Auch ihre Mutter, die derzeit selbst in Mogadischu lebt, traute sich nicht, zur Vorführung zu kommen. „Sie hatte Angst und sagte zu mir: ,Es ist besser, wenn ich zu Hause bleibe, damit wenigstens eine von uns überlebt, falls etwas passiert‘“, sagt Kaif.

Ein Spielfilm für Jugendliche mit Selbstmordgedanken

Doch die Wiedereröffnung verlief friedlich, und nach der Filmvorführung war Kaif der Star des Abends. „Es war wundervoll, die Kommentare vor allem der älteren Leute zu hören, die seit ihrer Jugend nicht mehr im Kino gewesen waren: ,Ihr habt die Jugend in uns zurückgebracht!‘ oder ,Wir werden diesen Tag nie vergessen‘“, sagt Kaif gerührt. 650 Menschen waren ins Theater gekommen.

Als „welt-sichten“ Kaif Jama Ende 2022 in Mogadischu traf, pendelte sie zwischen Kenia und Somalia, um ihren ersten Spielfilm zu drehen. Er handelt von einem Jungen aus Kenia, der Selbstmord begeht. Die Geschichte erzählt von seinem Leben nach dem Tod und allem, was ihm auf seiner Reise begegnet, bis er wieder in den Schoß seiner Mutter zurückkehrt. „Viele Menschen glauben, dass Selbstmord der einzige Ausweg ist, wenn das Leben schwierig ist, aber niemand weiß, was nach dem Tod auf ihn wartet. Dieser Film soll allen Jugendlichen helfen, die Selbstmordgedanken haben“, sagt die Filmemacherin.

Auch diesen Film hat sie bisher allein finanziert, sagt Kaif, denn es sei schwer, als Filmemacherin Unterstützung zu bekommen. Dennoch weigert sie sich aufzugeben. „Ich träume davon, meinen Film auf Netflix zu veröffentlichen. Das Filmemachen ist eine so starke Berufung für mich. Es ist wie ein Feuer, das in meiner Brust brennt.“

Aus dem Englischen von Melanie Kräuter.

 

 

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erschienen in Ausgabe 3 / 2023: In der Stadt zu Hause
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