Eigentlich gehört Japan nicht zu den Ländern, die beim Thema Religionsfreiheit Besorgnis erregen. In der Verfassung des Landes ist das Recht auf freie Religionsausübung verankert. Gewaltkonflikte zwischen verschiedenen Religionsgemeinschaften muss man nicht befürchten. Und international macht Japan sich immer wieder für die Religionsfreiheit stark.
Doch Ende Dezember haben mehr als 30 Akademiker, Geistliche und Menschenrechtsaktivisten vor einer Krise der Religionsfreiheit in Japan gewarnt. Hintergrund sind Gesetzesänderungen, die im Nachgang der Ermordung des ehemaligen Premierministers Shinzo Abe 2022 erlassen wurden. Die würden zentrale Rechte religiöser Menschen im demokratischen Japan zerstören, heißt es in der gemeinsamen Erklärung, das Bitter Winter zitiert; diese Organisation mit Sitz in Italien geht Einschränkungen der Religionsfreiheit weltweit nach. Laut dem Dokument nutzten Gegner der Religionsfreiheit und religiöser Minderheiten den Mord, um gegen konservative Religionen und sogenannte Sekten vorzugehen.
Die Tat hat in Japan Diskussionen über den Umgang mit religiösen Gruppen ausgelöst. Denn der Mörder gab als Motiv die engen Verbindungen des Ex-Premiers zur sogenannten Vereinigungskirche an, zu der auch seine Mutter gehört. Sie hatte der Kirche vor mehr als zwanzig Jahren sehr viel Geld gespendet und damit die gesamte Familie in den Ruin getrieben. Was als persönlich motivierte Tat gelten kann, löste in Japan Zweifel an religiösen Gruppen aus, die nicht ins allgemeine Bild passen.
Die Moon-Sekte spricht vor allem die Mittelschicht
Die Vereinigungskirche, auch unter dem Namen Moon-Sekte bekannt, gehört zu den neuen religiösen Bewegungen. Sie sprechen vor allem die obere Mittelschicht an, sind von charismatischen Persönlichkeiten geführt, vertreten oft ein sehr konservatives Menschen- und Weltbild und unterscheiden klar, wer dazugehört und wer nicht. Seit ihrer Gründung in den 1950er Jahren in Korea ist die Vereinigungskirche zu einem weltweiten Wirtschaftsimperium herangewachsen. Die Vermischung von Wirtschaftsinteressen und politischem Einfluss mit Religion wird nicht nur in Japan kritisch gesehen.
Im Dezember 2022 hat Japan Gesetze erlassen, mit denen Religionsgemeinschaften stärker kontrolliert werden sollen. Sie stellen allerdings das Menschenrecht in Frage, dass jeder glauben oder nicht glauben kann, was er oder sie für richtig hält. In Japan kann der Staat jetzt religiöse Körperschaften auflösen, wenn diese Zivilprozesse verloren haben; vorher war das nur nach schweren Verbrechen der Organisation möglich. Die neuen Gesetze schränken auch die Spendenmöglichkeit für eine Religionsgemeinschaft ein, Verwandte des Spenders können Spenden zurückfordern. Und schließlich gelten neue Richtlinien zum sogenannten religiösen Missbrauch von Kindern. Sie sollen verhindern, dass Kinder von ihren Eltern in eine Religionsgemeinschaft mitgenommen werden und später Mitglieder werden. Das stellt die elterliche Befugnis in Frage, über die religiöse Erziehung ihrer Kinder zu bestimmen.
Vor allem kleine Gruppen fühlen sich bedroht
„Eine Demokratie sollte das Recht einer Religionsgemeinschaft, sich frei zu betätigen, Spenden zu sammeln und ihren Glauben an die nächste Generation weiterzugeben, nicht willkürlich beeinträchtigen“, heißt es in der jetzt veröffentlichten Erklärung. Dort wird auch kritisiert, in den Medien werde die Rolle der Vereinigungskirche für den Mord an Shinzo Abe einseitig dargestellt.
Von den neuen Gesetzen fühlen sich besonders kleine Gruppen bedroht wie die Zeugen Jehowas, von denen 200.000 in Japan leben. Sie haben sich 2023 an die UN-Sonderberichterstatterin Nazeela Ghanea gewandt. Diese und die drei UN-Sonderberichterstatter für die Meinungs- und die Versammlungsfreiheit sowie das Recht auf Bildung haben daraufhin Sorge über Einschränkungen der Religionsfreiheit in Japan ausgedrückt. Dem schließt sich die parteiübergreifende US-amerikanische Kommission für Religionsfreiheit, USCIRF, an. In ihrem Bericht vom November 2024 zur Situation der Zeugen Jehowas weltweit schreibt sie, dass in Japan insbesondere die Richtlinien zum religiösen Kindesmissbrauch viel zu vage formuliert seien. Von Menschenrechtlern werden vage Formulierungen in Gesetzen immer wieder kritisiert, weil sie häufig das Einfallstor dafür sind, dass Staaten Rechte von Minderheiten beschneiden, gegen die die Mehrheit Vorurteile hegt.
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