Kolonialismus und Österreich – zwei Begriffe, die auf den ersten Blick nicht zusammenpassen. Während Großbritannien, Frankreich oder Spanien ihre Macht in Afrika, Asien und Südamerika gewaltsam ausdehnten, blieb die Habsburgermonarchie scheinbar auf Europa beschränkt. Tatsächlich besaß die K.u.K.-Monarchie lediglich ein außereuropäisches Gebiet: ein 0,6 Quadratkilometer großes Areal, etwa die Fläche des Messegeländes von Hannover, innerhalb der sogenannten Internationalen Konzessionen im chinesischen Tianjin, das zwischen 1901 und 1917 unter Verwaltung der Donaumonarchie stand.
Doch die Beteiligung Österreichs an Infrastrukturprojekten in anderen Weltregionen verändert das Bild. Ein Forschungsprojekt des Technischen Museums Wien beleuchtet seit drei Jahren Österreichs Rolle bei kolonialen Infrastrukturprojekten. Nun werden auf einer Online-Plattform erstmals Ergebnisse zu den Projekten präsentiert, bei denen eine österreichische Beteiligung nachweisbar ist.
Ein Schwerpunkt liegt auf dem Suezkanal in Ägypten. Diese Wasserstraße, die das Mittelmeer mit dem Roten Meer verbindet, verkürzte den Seeweg zwischen Europa und Asien erheblich. Statt den gesamten afrikanischen Kontinent zu umrunden, konnten Schiffe nun auf direktem Wege nach Indien oder Ostafrika gelangen. „Der Suezkanal veranschaulicht die Selbstverständlichkeit, mit der europäische Mächte fremde Länder und Bevölkerungen ihren imperialistischen Interessen unterordneten“, erklärt Projektleiterin Carla Camilleri vom Technischen Museum Wien.
Auch der damalige österreichische Staatskanzler Metternich erkannte die wirtschaftlichen Vorteile vernetzter Mobilität. Die Verbindung von Wien nach Triest per Bahn und weiter per Schiff in die Welt verschaffte der Habsburgermonarchie einen Standortvorteil. „Anhand historischer Pläne, Karten und Dokumente lässt sich das imperialistische Denken jener Zeit deutlich erkennen“, sagt Camilleri.
Vom Suezkanal haben vor allem europäische Staaten profitiert
Der Kanal wurde von europäischen Ingenieuren geplant und errichtet – darunter war auch der Österreicher Alois Negrelli. Seine Pläne einer 164 Kilometer langen Wasserstraße bildeten nach seinem Tod die Grundlage für das Großprojekt. Negrelli betrachtete den Suezkanal als essenziell für den globalen Handel und die Belebung der ägyptischen Schifffahrt und als Voraussetzung für eine florierende Wirtschaft in Ägypten.
Nach zehnjähriger Bauzeit wurde der Suezkanal 1869 eröffnet. Doch von seinem wirtschaftlichen Erfolg profitierten vor allem europäische Staaten. Auch Österreich erlebte einen Aufschwung: Der Hafen von Triest, damals der wichtigste Seehafen der Monarchie, wuchs rasant. Das Unternehmen Österreichischer Lloyd wurde zu einer der bedeutendsten Schifffahrtsgesellschaften im Mittelmeerraum. Die neuen Handelsrouten erleichterten den Zugang zu Rohstoffen und Absatzmärkten in Indien und China, was die Industrialisierung Österreichs in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beschleunigte. Ägypten, damals eine Provinz des Osmanischen Reiches, sah den Kanal als Möglichkeit, sich von Konstantinopel zu lösen. Aufgrund der geopolitischen Bedeutung der Wasserstraße geriet das Land allerdings 1882 unter britische Kolonialherrschaft.
Camilleri betont, Infrastrukturprojekte dienten oft als treibende Kraft kolonialer Expansion. „Wir hoffen mit der Forschung auf einen Perspektivenwechsel: Kolonialismus bedeutete nicht nur direkte Herrschaft, sondern schuf auch wirtschaftliche Abhängigkeiten und infrastrukturelle Verflechtungen“, erklärt sie. Österreich habe eine indirekte Kolonialgeschichte, die es anzuerkennen gelte.
Im Laufe des Jahres wird die Online-Plattform des Technischen Museums Wien um weitere Forschungsschwerpunkte erweitert. Drei Bahnprojekte, an denen Österreich beteiligt war und die die Schüsselrolle von Infrastruktur für die koloniale Expansion belegen, werden präsentiert: die Otavibahn in Namibia, die North Western Railway in Indien und die Dom-Pedro-II.-Bahn in Brasilien. Die Plattform mit den Ergebnissen und dem Quellenmaterial soll auch als Ressource für weitere Untersuchungen dienen.
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