Nobelpreisträger auf dem Irrweg

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Agrarforschung
Welternährung
Preisgekrönte Wissenschaftler fordern, mit modernster Agrarforschung mehr Nahrung zu produzieren. Die Machtstrukturen im globalen Ernährungssystem blenden sie dabei einfach aus.

Bernd Ludermann ist Chefredakteur von „welt-sichten“.

Wird ein Rezept zur Weltverbesserung umso klüger, je mehr Nobelpreisträger es mittragen? Leider nein, wie der jüngste Aufruf von 153 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zur Sicherung der Welternährung belegt. Unterzeichnet haben Fachleute aus verschiedensten Disziplinen, von denen 130 einen Nobelpreis erhalten haben und 23 den Preis der World Food Prize Foundation. Ihre Kernforderung ist, mittels Pflanzenforschung bis 2050 die weltweite Nahrungserzeugung stark zu steigern.

Es ist gut, dass die Ernährungssicherung hier prominente Unterstützung bekommt. Mehr für die Entwicklung und Verbreitung neuer Feldfrüchte und Anbaumethoden auszugeben, ist auch nicht per se falsch. Aber dieser Aufruf hat eine alarmierende technokratische Schlagseite.

Hunger ist ja nicht in erster Linie eine Folge zu geringer Agrarproduktion. Die Autoren des Aufrufs räumen selbst ein, dass heute weltweit genug Nahrung für alle erzeugt wird, aber nicht alle Zugang dazu haben. Doch sie warnen, bis 2050 werde die globale Produktion sinken und nicht mehr ausreichen – hauptsächlich infolge des Klimawandels; Bodenerosion, Verlust an Artenvielfalt und Kriege nennen sie nur als zusätzliche Faktoren. Folglich müsse die Nahrungsproduktion „nachhaltig“ ausgeweitet werden. 

Mehr erzeugen – aber wie?

Auch das muss nicht falsch sein. So erhöht es die Ernährungssicherheit in Afrika, wenn dort Kleinbäuerinnen mit ökologisch verträglichen Mitteln mehr erzeugen. Dazu brauchen sie aber nicht in erster Linie modernste Technik, sondern sichere Landnutzungsrechte, Straßen und Absatzmärkte sowie Zugang zu Dünger und Saatgut samt dem Recht, es selbst anzupassen. 

Die preisgekrönten Fachleute haben indes eine andere Art Produktionssteigerung im Sinn: Sie propagieren mehr Geld und weniger Regulierung für die biologische Forschung an Nutzpflanzen. Man könne damit die Photosynthese effizienter und Getreide von Stickstoffdünger unabhängig machen oder Mikroben Nahrung produzieren lassen. Sie stellen die eigene Forschung und speziell Gentechnik als Königsweg zur Rettung der Menschheit dar und kritisieren einschränkende Regeln dafür als gefährlich.

Wenn die Gentechnik endlich ein paar ihrer großen Versprechen einlöst, könnte das helfen. Darauf sollte man sich aber nicht verlassen. Im globalen Ernährungssystem wird Forschung heute weitgehend von einigen großen Konzernen gesteuert. Sie besitzen auch viele der geistigen Eigentumsrechte, welche die praktische Nutzung von Erfindungen und Züchtungen einschränken. Sie und Großinvestoren bestimmen mit, wovon mehr produziert wird, wie und wo – nicht zuletzt, weil sie große landwirtschaftliche Flächen unter ihre Kontrolle bringen. Diese Art Produktionsausweitung kann die Ernährungssicherheit für viele Menschen untergraben, statt sie zu erhöhen, zum Beispiel wenn in Peru mit knappen Wasservorräten Heidelbeeren für den Export erzeugt werden. Produkte für zahlungskräftige Kunden bekommen Vorrang. 

Der Blick einer Techno-Elite

Die 153 preisgekrönten Wissenschaftler – die meisten sind Männer – blenden diese Machtstrukturen im globalen Ernährungssystem aus und fordern einfach mehr Produktion. Ohne gerechtere Verteilung wird das die Ernährungsprobleme aber bestenfalls etwas lindern. Hier spricht eine Techno-Elite, die denkt, sie könne im eigenen Labor Lösungen entwickeln. Die Mehrheit der Unterzeichnenden sind Biochemiker, Physiker und Mediziner, gefolgt von Ökonomen. Einige Träger des Friedens- oder Literaturnobelpreises sind dabei, aber dem Text merkt man das nicht an.

Auch von Naturwissenschaftlern, die zu den führenden Köpfen der Menschheit gehören wollen, würde man sich aber einen klareren Blick auf die Weltgesellschaft wünschen. Der Nobelpreisträger, dem wir die wichtigsten Einsichten zum Hungerproblem verdanken, ist im Übrigen der indische Ökonom Amartya Sen. Er hat detailliert gezeigt, dass Hunger nicht auf Mangel an verfügbarer Nahrung zurückgeht, sondern darauf, dass Menschen keinen Zugriff darauf bekommen. Sein Name fehlt auf der Liste der Unterzeichner.

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