In einem sogenannten Hirtenbrief an das kenianische Volk von Anfang Dezember vergleicht der Nationale Kirchenrat von Kenia (NCCK) die Situation des Landes mit der eines Patienten auf Intensivstation. Wirtschaftlich befinde sich das Land im freien Fall, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit würden mit Füßen getreten, und eine Kultur der Lügen habe ein Ausmaß erreicht, dass niemand mehr wisse, was richtig oder falsch sei. Der Dachverband, in dem 32 vor allem protestantische Kirchen sowie 13 christliche Organisationen vertreten sind, ruft die Bevölkerung dazu auf, den Aussagen von politischen Führungspersonen mit großer Skepsis zu begegnen: „Glauben Sie nicht einfach, was gesagt wird, sondern überprüfen Sie, ob das, was Ihnen gesagt wurde, wahr ist.“
Die Demokratie zurückgewinnen
Der NCCK wiederholt außerdem seine Forderung, die für den Zuschnitt der Wahlbezirke und die Durchführung von Volksabstimmungen und Wahlen zuständige Independent Electoral and Boundaries Commission (IEBC) wieder einzusetzen. Nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen 2022 war der IEBC-Vorsitzende zurückgetreten, seitdem arbeitet das von Parlament und Senat im Sommer 2023 eingesetzte Nationale Dialog-Komitee an der Neustrukturierung des Gremiums. Präsident Ruto beleidige das kenianische Volk, in dem er dies bewusst verzögere, heißt es in dem Hirtenbrief des NCCK. Der Rat ruft die Bürger dazu auf, den gewählten Politikern „keine Ruhe zu gönnen, bis sie die Kommissare der IEBC benannt haben, wie es die Verfassung vorsieht. Wir müssen unsere Demokratie zurückgewinnen.“
Der Kirchenverband spart auch nicht mit Kritik an den Parlamentariern. Statt das Volk zu vertreten, seien sie zu Handlangern der Exekutive geworden, heißt es in dem Hirtenbrief. Als Beispiel führt der NCCK die Finanzierung des Gesundheitssektors über einen neu eingerichteten Social Health Insurance Fund an. Dem hatte das Parlament unlängst zugestimmt, obwohl noch nicht klar ist, wie alle Kenianer die Pflichtbeiträge aufbringen sollen. 60 Prozent der arbeitenden Bevölkerung sind schließlich im informellen Sektor tätig und verfügen nicht über regelmäßige Einkünfte. Dieser Fonds diene allein dazu, „dass ein paar Leute öffentliches Geld stehlen können“, heißt es in dem Hirtenbrief. Die Bevölkerung solle Unterschriften sammeln, auf die Abberufung von unfähigen Abgeordneten hinwirken und der Korruption endlich ein Ende setzen. Keiner solle mehr Geld von Politikern annehmen, wenn nicht klar sei, woher es komme.
Keine Vereinnahmung der Religion durch die Politik
Gleichzeitig verwahrt sich der NCCK gegen eine Vereinnahmung der Religion durch die Politik. Gottesdienste dürften kein Ort der Selbstdarstellung und Selbstvermarktung von Politikern sein. Es sei ihnen nicht gestattet, innerhalb einer Kirche zu den Gemeinden zu sprechen, heißt es in dem Hirtenbrief.
In Kenia sind 85 Prozent der Gesamtbevölkerung von etwa 57 Millionen Christen; der NCCK vertritt rund zehn Millionen Christen. In seiner kritischen Haltung zu Ruto, der sich selbst als gläubiger Christ und treuer Kirchgänger präsentiert, und seiner Regierung steht er nicht allein. Bereits Mitte November hatte die Kenia-Konferenz der katholischen Bischöfe dem Präsidenten Korruption und Lügen vorgeworfen und kritisiert, dass die Sicherheitsorgane des Landes Fälle von Entführungen, Frauenmorden und außergerichtlichen Tötungen in der jüngsten Zeit nicht wirklich aufklären wollten. Auf diese Kritik der Bischöfe reagierte Ruto mit der Warnung, die Kirchenoberhäupter sollten keine Fehlinformationen verbreiten und lieber eng mit der Regierung zusammenarbeiten, um die Nation voranzubringen und das Land aufzubauen.
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