Patricia Dlamini spricht mit leiser Stimme, als sie die Erlebnisse von vor 42 Jahren schildert, die sie bis heute in ihren Albträumen heimsuchen. Mit jedem Wort scheint sie zu ringen, als würde das Aussprechen die Ereignisse erneut Wirklichkeit werden lassen – eine Furcht, die die 49-Jährige vermutlich nicht mehr ablegen wird.
Es war während der großen Regenzeit im Februar 1983, als Soldaten der Fifth Brigade, einer Eliteeinheit der simbabwischen Armee, in ihr Dorf Emkhonyeni im Westen des Landes einfielen und ihren Vater und die anderen Männer mitnahmen. „Am nächsten Morgen kamen sie nicht zurück. Und auch tags darauf nicht. Da wussten wir, dass sie sie getötet hatten“, erzählt Patricia. „Wir konnten die Toten nicht einmal anständig begraben aus Angst, die Soldaten würden zurückkommen und uns ebenfalls umbringen. Uns war klar, dass wir fliehen mussten.“
Doch kurz darauf, am 16. März 1983, kehrten die bewaffneten Männer zurück. Diesmal riefen sie die Mütter und Großmütter zusammen. Die Soldaten pferchten die Frauen des Dorfes in eine Hütte auf dem Grundstück der Dlaminis und setzten diese in Brand. Bei dem Überfall wurden 22 Menschen getötet. Die meisten von ihnen verbrannten, einige wurden erschossen beim verzweifelten Versuch, zu fliehen.
Patricias Erinnerungen an den Tag sind heute noch so lebendig, als hätte es sich gestern ereignet. „Die Schreie haben sich für immer in mein Gehirn eingebrannt.“ Ihre Mutter wurde verschont, da sie neben ihrer Muttersprache Ndebele auch Shona beherrschte, die Sprache der Soldaten. Dies ermöglichte ihr und ihren vier Kindern die Flucht in die Großstadt Bulawayo, wo Patricia nach einem mehrjährigen Aufenthalt in Südafrika mittlerweile wieder lebt.
Angeblich lebten im Dorf Dissidenten
Warum die Fifth Brigade ihre Verwandten und Nachbarn tötete, dafür haben Patricia und andere Hinterbliebene bis heute keine Erklärung erhalten. „Sie sagten, in unserem Dorf gebe es Dissidenten. Das Wort hatten wir bis dahin noch nie gehört.“ Ihre Angehörigen seien nicht politisch aktiv gewesen.
Patricias Dorf war eines der ersten, das damals von der Brigade angegriffen wurde. Zwischen 1983 und 1987 wurden schätzungsweise 20.000 Menschen bei Massakern in den Regionen Matabeleland und Midlands getötet oder verschwanden spurlos. Die Soldaten verübten zudem häufig sexuelle Gewalt, vor allem an Frauen und Kindern.
Bekannt wurden die Gräueltaten unter dem zynischen Begriff „Gukurahundi“, ein Wort aus der Shona-Sprache, das so viel bedeutet wie „der Frühlingsregen, der die Spreu wegwäscht“. Bei den Opfern handelte es sich mehrheitlich um Angehörige der im südlichen Afrika beheimateten Volksgruppe der Ndebele. Viele, doch bei weitem nicht alle simbabwischen Ndebele unterstützten damals die oppositionelle Zimbabwe African People’s Union (ZAPU).
Diese hatte in den 1960er und 1970er Jahren gemeinsam mit der Zimbabwe African National Union (ZANU) des späteren Diktators Robert Mugabe das weiße Minderheitsregime im damaligen Rhodesien gestürzt. Schon vor Simbabwes Unabhängigkeit zerbrach die Allianz, denn Mugabe sah den ZAPU-Führer Joshua Nkomo als Hindernis für seinen Plan, das Land in einen Einparteienstaat umzubauen. Kurz nach dem Wahlsieg der ZANU 1980 rief Mugabe die Fifth Brigade als Sondereinheit zur Beseitigung von Abweichlern ins Leben und ließ sie vom von ihm bewunderten nordkoreanischen Regime ausbilden.
Obwohl die ZAPU Anhänger aus verschiedenen Volksgruppen hatte, unterstellte die Regierung den Ndebele pauschal, diese Partei und die ihr angeschlossenen Milizen zu unterstützen. Das diente als Rechtfertigung für ihre massenhafte Ermordung.
Mehrere Völkerrechter sehen den Gukurahundi als Genozid an
Mbuso Fuzwayo ist Vorsitzender der Organisation Ibhetshu LikaZulu, deren Name auf Ndebele „Lendenschurz“ bedeutet; damit soll symbolisch die schützende Funktion der Organisation für die Rechte der Bevölkerung in Matabeleland zum Ausdruck kommen. Die staatlichen Investitionen in Infrastruktur, Bildung und soziale Angebote sind in der Region geringer, und Ndebele sind in öffentlichen Ämtern unterrepräsentiert. Fuzwayo teilt die unter Völkerrechtlern verbreitete Einschätzung, dass der Gukurahundi ein Genozid war: „Die Gräuel fanden in einer bestimmten Region statt. Es war der Versuch der Regierung, ein bestimmtes Volk – die Ndebele – auszulöschen.“
Beendet wurde das Morden erst im Jahr 1987 durch ein Abkommen zwischen Robert Mugabe und Joshua Nkomo, welches die ZAPU der Regierungspartei einverleibte und zur heutigen Partei ZANU-PF machte. Kurz darauf erließ die Regierung unter Robert Mugabe eine Amnestie für die an den Verbrechen beteiligten Soldaten. Die Aussicht auf strafrechtliche Konsequenzen für die Täter war damit im Keim erstickt.
Psychologische Unterstützung für die Überlebenden gibt es nicht
Doch mit dem Ende der Gewalt war das Trauma der Betroffenen nicht verschwunden. „Die Erinnerungen hindern mich bis heute daran, mein Leben zu leben“, beklagt Patricia Dlamini. Ihr jüngerer Bruder habe Simbabwe vor zwölf Jahren Hals über Kopf verlassen. Bei seinen drei Kindern habe er sich seitdem nicht mehr gemeldet. Patricia ist überzeugt, dass sein Verhalten in den Verlusterfahrungen seiner Kindheit begründet liegt. „Eine Heimat habe ich nicht“, seien seine letzten Worte an sie gewesen – ein Beispiel für die Entwurzelung, die viele Überlebende des Gukurahundi verspüren.
Clara Dlamini, die Frau von Patricias Großvater, konnte damals als Einzige aus der brennenden Hütte fliehen. Seitdem wird sie von starken Schuldgefühlen geplagt: „Es war reines Glück, dass ich überlebt habe und die anderen nicht. Immerzu muss ich an die Kinder denken, die damals zu Waisen wurden.“ Patricia ist überzeugt, dass professionelle psychologische Unterstützung ihr und den anderen Betroffenen helfen würde, die Vergangenheit zu verarbeiten. Doch derartige Hilfsangebote gibt es nicht.
2017 wurde Mugabe durch einen Militärputsch aus dem Amt gedrängt. Nur wenige Male hatte er die Morde öffentlich angesprochen, ohne jedoch eine Schuld einzugestehen oder um Vergebung zu bitten.
Gedenken an die Toten findet im Verborgenen statt
Auch wenn Vertreter der Zivilgesellschaft eine Auseinandersetzung mit den Ereignissen zunehmend lautstark einfordern, findet das Gedenken an die Toten noch immer weitgehend im Verborgenen statt. Erinnerungsplaketten, die von Organisationen wie Ibhetshu LikaZulu an den Orten der Verbrechen angebracht wurden, sind wiederholt von Unbekannten zerstört worden. Fuzwayo vermutet, dass staatliche Stellen dafür verantwortlich sind. „Die Tatsache, dass es bis heute keine Erklärung, keine Entschuldigung gibt, verstärkt unser Leid. Die anhaltende Stille ist ein Zeichen fehlender Reue“, findet Clara Dlamini.
Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass die öffentliche Anerkennung von Unrecht eine Schlüsselrolle bei der Heilung von Wunden spielt, die durch schwere Menschenrechtsverletzungen entstanden sind: Wenn die Opfer von der Gesellschaft Solidarität erfahren und die Täter moralisch, idealerweise auch juristisch zur Rechenschaft gezogen werden, können die Betroffenen ihr Gefühl von Selbstwirksamkeit wiedererlangen und Schuldgefühle abbauen. Zudem können Verfahren wie Wahrheitskommissionen oder Tribunale helfen, Normen zu stärken, die ähnliche Verbrechen in Zukunft erschweren.
Denn auch wenn Simbabwe heute weitgehend friedlich ist, sitzt die Angst vor Repressalien bei den Überlebenden tief. Vertreter der Zivilgesellschaft und Regierungskritiker sehen sich immer wieder Einschüchterungen und Verfolgung ausgesetzt. „Solange es keine Gerechtigkeit gibt, werden die Opfer stets auf der Hut sein“, so Fuzwayo. Deshalb fordert seine Organisation seit langem eine offizielle Aufarbeitung der Verbrechen.
Präsident eröffnet Aufarbeitungsprogramm - bis jetzt ist aber nichts geschehen
Die verspricht nun Mugabes Nachfolger, Präsident Emmerson Mnangagwa. Im Rahmen eines Community Engagement Outreach Programme sollen Überlebende erstmals einer breiteren Öffentlichkeit von ihren Erfahrungen berichten können. Geplant sind Anhörungen, die von den Chiefs – traditionellen Anführern aus den betroffenen Gebieten – geleitet werden sollen.
Zwar sehen einige Betroffene eine wachsende Offenheit zur Auseinandersetzung mit dem Gukurahundi, doch bei vielen überwiegen Skepsis und Kritik an dem geplanten Verfahren. „Die Initiative ist letztlich nur Schönfärberei, damit die internationale Gemeinschaft und die Opferverbände Ruhe geben“, sagt Chief Khulumani Mathema. Er ist zuständig für die Anhörungen in seinem Gebiet und ein engagierter Fürsprecher der Gukurahundi-Überlebenden.
Eigentlich hätten die Anhörungen schon Anfang 2024 beginnen sollen, doch der Start wurde immer wieder verschoben. Im Juli schließlich hat Präsident Mnangagwa das Programm feierlich eröffnet. Geschehen ist seitdem nichts. „Weder ein Budget noch Einzelheiten zum Ablauf der Anhörungen wurden uns mitgeteilt“, kritisiert Chief Mathema. Er betont, dass die Initiative bislang lediglich auf Absichtserklärungen beruhe, einen gesetzlichen Rahmen gebe es nicht. Auch mit den Opfern habe sich noch niemand in Verbindung gesetzt. Er wertet dies als Zeichen mangelnder Ernsthaftigkeit.
Mnangagwa spielte als Sicherheitsminister eine zentrale Rolle
Schon einmal, im Jahr 1983, direkt nach den ersten Morden, hatte Mugabe nach internationaler Kritik persönlich eine Kommission zur Untersuchung der Gewalt in Matabeleland eingesetzt. Doch deren Erkenntnisse wurden von der Regierung unter Verschluss gehalten mit der Begründung, dass die Veröffentlichung neue Gewalt nach sich ziehen könnte.
Mbuso Fuzwayo bezweifelt, dass die Regierung diesmal echtes Interesse an einer Aufarbeitung hat, zumal Präsident Mnangagwa als damaliger Sicherheitsminister eine zentrale Rolle bei der Planung des Gukurahundi gespielt haben soll – was dieser bestreitet. „Wieder findet der gesamte Vorgang im Geheimen statt“, beklagt Fuzwayo. Für die Versöhnung des Landes sei jedoch insbesondere die aktive Einbindung der shonasprachigen Bevölkerungsmehrheit unerlässlich. Die, schätzt er, seien sich der Gukurahundi-Morde wenig bewusst.
Fuzwayo unterscheidet dabei zwischen den Tätern und der Bevölkerung: „Nicht die Shona trugen die Verantwortung für den Genozid, sondern die Regierungspartei und ihre Institutionen“, stellt er klar. Die Unterscheidung ist bedeutsam, da die politische und militärische Elite Simbabwes damals wie heute vorwiegend aus der Shona-Bevölkerung stammt. Umso wichtiger sei es, die von der Regierung damals gezielt geschürten Vorurteile gegenüber den Ndebele abzubauen und ein neues Verständnis zwischen den Bevölkerungsgruppen zu fördern.
Zudem fehle dem angekündigten Verfahren das wichtigste Element: die Rechenschaftspflicht der Täter. „Die Verantwortlichen hüllen sich in Schweigen. Warum wurden unschuldige Menschen umgebracht? Was ist mit denjenigen geschehen, die verschwunden sind?“, will Fuzwayo wissen. Ein weiterer Kritikpunkt: Die Provinz Midlands wurde von dem geplanten Verfahren ausgeschlossen, obwohl dort ebenfalls zahlreiche Menschen umgebracht worden waren. „Und zwar deshalb“, vermutet Chief Mathema, „weil die Opfer dort ausschließlich Ndebele waren“, während die dort ebenfalls lebenden Shona verschont worden seien. Dieser Umstand würde den genozidalen Charakter der Morde unterstreichen.
Überlebende fordern unabhängiges Verfahren nach internationalen Standards
Statt des Outreach-Programmes, das von den Hintermännern des Gukurahundi selbst kontrolliert werde, fordern Chief Mathema und Fuzwayo deshalb ein unabhängiges Verfahren nach internationalen Standards. Als Vorbilder nennen sie den Strafgerichtshof für Ruanda, der den 1994 verübten Völkermord an den Tutsi aufarbeitete, sowie die Wahrheits- und Versöhnungskommission zur Aufarbeitung der Apartheid in Südafrika. Beide Verfahren betonten die Bedeutung von Schuldbekenntnissen der Täter für die Versöhnung.
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Viele Überlebende fordern darüber hinaus eine finanzielle Entschädigung für ihr Leid. Denn neben dem psychischen Trauma haben die Betroffenen unter den anhaltenden wirtschaftlichen Folgen des Gukurahundi zu leiden. Patricia Dlamini etwa musste die Schule in der Mittelstufe verlassen, um ihre Familie finanziell zu unterstützen. Ihre Mutter war aufgrund ihrer seelischen Verletzungen dazu nicht mehr in der Lage. „Ich hatte davon geträumt, zu studieren, aber das war unmöglich geworden. Mein Leben war zu Ende.“
Wie Patricia erging es zahlreichen Kindern, deren Eltern umgebracht wurden oder nicht mehr in der Lage waren, für ihre Angehörigen zu sorgen. Viele Familien verloren Häuser, Land und Vieh. Unter den erheblichen finanziellen Schäden leiden auch nachfolgende Generationen. So setzt sich das Unrecht an den Ndebele fort.
Die Aussichten auf Entschädigung schätzt sie allerdings gering ein. „Ich habe keine Hoffnung, dass es mit der heutigen Regierung einen Wandel geben wird. Wenn sie ihre Taten aufrichtig bedauern würden, hätten sie sich schon längst bei uns gemeldet.“
Dennoch sieht Patricia Lichtblicke. Der gesellschaftliche Umgang mit dem Gukurahundi beginne, sich zu verändern. „Wir können offener über unsere Erlebnisse sprechen. Im Vergleich zu früher erfahren wir mehr Mitgefühl von nicht Betroffenen.“ Das Reden über die Geschehnisse und der Austausch mit anderen Überlebenden geben ihr Kraft. „Wir weinen alle dieselben Tränen. Wir alle wollen, dass die Verantwortlichen dieses Land wieder zusammenfügen.“
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