Neuer EU-Kommissar für Internationale Partnerschaften – so der Titel für das Ressort Entwicklungspolitik seit einigen Jahren – ist der Tscheche Jozef Síkela, ein früherer Investmentbanker und Handelsminister in der tschechischen Regierung. Síkela steht dafür, die Entwicklungspolitik der Europäischen Union unverhohlen für europäische Interessen zu nutzen. Sein Posten werde ihm die Möglichkeit geben, schrieb Síkela im September auf der Plattform X, „mich auf die Stärkung der wirtschaftlichen Sicherheit, die Diversifizierung unserer Lieferanten kritischer Rohstoffe und die Erschließung neuer Märkte für europäische Unternehmen zu konzentrieren“.
Bei seiner Anhörung vor dem Europäischen Parlament im Oktober sagte der Tscheche, die EU-Entwicklungspolitik – und vor allem die Global-Gateway-Initiative – sei ein Werkzeug, eine „zunehmend gefährliche Weltlage zu bekämpfen“. Global Gateway ist die vor vier Jahren gestartete Investitionsstrategie der EU, mit der im globalen Süden der Auf- und Ausbau von Infrastruktur gefördert werden soll. Die Kommission versteht die Initiative nicht zuletzt als Antwort auf den wachsenden Einfluss vor allem Chinas in vielen Staaten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas. Viele nichtstaatliche Hilfs- und Lobbyorganisationen kritisieren Global Gateway als Abkehr von entwicklungspolitischen Zielen wie Armutsbekämpfung oder die Förderung von Bildung und Gesundheitsversorgung.
Hilfe im Dienst der eigenen Interessen?
Die Kritiker des neuen EU-Kurses befürchten, dass die neue Kommission die Entwicklungspolitik in den kommenden Jahren noch stärker in den Dienst von EU-Interessen stellen wird. Diese Gefahr sieht auch der neue Vorsitzende des Entwicklungsausschusses im Europäischen Parlament, Barry Andrews. Der Ire von der liberalen Renew-Fraktion sagte bei einem Pressetermin, die EU laufe Gefahr, gegen ihre entwicklungspolitischen Verpflichtungen aus dem EU-Vertrag zu verstoßen. Dem zufolge gehört die Bekämpfung der Armut weltweit zum vorrangigen Ziel der EU-Entwicklungspolitik. Andrews sieht das Risiko, dass die Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt wird, der dann prüfen müsste, ob der entwicklungspolitische Kurs seit einigen Jahren gegen den EU-Vertrag verstößt. Als Vorbild für eine solche Klage sieht Andrews Klagen von Klimaaktivisten wie in Deutschland oder den Niederlanden gegen die Klimapolitik ihrer Regierungen.
Hingegen sagte der oberste EU-Beamte in der für Entwicklungspolitik zuständigen Generaldirektion der EU-Kommission, der Belgier Koen Doens, es sei beides gleichzeitig möglich: mit Entwicklungspolitik Armut bekämpfen und Interessen der EU verfolgen. Es sei falsch, hier einen Gegensatz zu konstruieren, sagte Doens im Europäischen Parlament. Doens wies zudem darauf hin, dass Hilfe allein kein wirksames Mittel gegen Armut sei. Nicht die Länder, die am meisten Entwicklungshilfe bekommen hätten, hätten erfolgreich Armut bekämpft, sondern die, „die ihr Wirtschaftswachstum mit der Weltwirtschaft verknüpft haben”.
Sichtbar wird der neue EU-Kurs in der Entwicklungspolitik am Anteil der am wenigsten entwickelten Länder (LDC) an der Entwicklungshilfe der Kommission: Der ist laut einer Recherche von „Devex“ von 2019 bis 2022 (neuere Zahlen liegen nicht vor) deutlich von 39 Prozent auf 19 Prozent gesunken. 1990 lag der Anteil noch bei 52 Prozent; der Jahresdurchschnitt seitdem betrug immerhin 37 Prozent.
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