Zwei Straßen, kaum Verkehr, dazwischen ein vertrockneter Grasstreifen und dahinter eine weite, fast leere Landschaft: Dieses Bild mit der Überschrift „Accra ist das größte Zentrum Ghanas“ findet sich in einem österreichischen Schulbuch für Geografie und wirtschaftliche Bildung. Auf derselben Seite ist auch eine Aufnahme der kanadischen Großstadt Toronto abgebildet, ebenfalls als größtes Zentrum des Landes beschrieben, doch hier dominieren Wolkenkratzer und das Treiben der Großstadt. Warum vermittelt das Lehrbuch so unterschiedliche Bilder dieser beiden Metropolen, wenn eine einfache Google-Bildersuche zeigt, dass auch Accra eine pulsierende Stadt mit Hochhäusern, einem Geschäftsviertel und Stadtautobahnen ist?
Das Beispiel ist eines von vielen in einer aktuellen Schulbuchanalyse, die vom Vienna Institute for the African Diaspora in Auftrag gegeben und von der Initiative Advancing Equality within The Austrian School System (AEWTASS) mit Förderung der Austrian Development Agency durchgeführt wurde. Dazu analysierte ein Team aus zehn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Darstellung des afrikanischen Kontinents in 24 Schulbüchern für Geografie sowie Geschichte und politische Bildung. Die Ergebnisse präsentierte die Gruppe im Oktober an der Diplomatischen Akademie in Wien. Die untersuchten Bücher wurden zwischen 2015 und 2023 veröffentlicht und werden derzeit in Österreich im Unterricht verwendet.
Die Studiengruppe kritisiert beispielsweise die Bezeichnung von Kolonialmächten in einigen Büchern als „Mutterländer“. Solche Begriffe suggerierten eine fürsorgliche Rolle der Kolonialmächte und verhüllten deren oft brutales Vorgehen. Zudem würden afrikanische Länder so als unselbstständig und handlungsunfähig dargestellt. Die Analyse stellt außerdem fest, dass viele Themen stark auf europäische Perspektiven fokussieren. So werde ausführlich über die Seereisen europäischer „Entdecker“ berichtet, während bedeutende Expeditionen aus anderen Weltregionen unerwähnt blieben – etwa die des marokkanischen Gelehrten Ibn Battuta, der im 14. Jahrhundert fast die gesamte islamische Welt bereiste und bis nach Westafrika, Zentralasien, Indien und China gelangte.
Schwarze Menschen nur in negativen Situationen
Darüber hinaus befasst sich die Studie mit der Bildsprache in den Büchern. Einige zeigten afrikanische Länder überwiegend in ländlicher und ärmlicher Umgebung, wie im erwähnten Beispiel von Ghanas Hauptstadt Accra. In einem Geschichtsbuch fanden die Autorinnen und Autoren insgesamt nur drei Fotos von Schwarzen Menschen: zum Thema Imperialismus eine Gruppe unterernährter Menschen während des Herero-Aufstands in Namibia 1904 gegen die deutschen Kolonialherren; zum Thema Rassismus zwei Männer, die im Rahmen sogenannter Völkerschauen nach Europa gebracht wurden; und zum amerikanischen Bürgerkrieg eine versklavte Familie auf einer Baumwollplantage in Georgia, USA. Die Bilder zeigen Schwarze Menschen einseitig in negativen Zusammenhängen, Vorbilder und afrikanische Persönlichkeiten als handelnde Personen hingegen sucht man vergebens. So bekämen österreichische Schulkinder ein sehr einseitiges Bild vom afrikanischen Kontinent und Schwarzen Menschen, hieß es bei der Präsentation.
„In Österreich wird die verzerrte Darstellung Afrikas und seiner Menschen nach wie vor nicht als strukturelles Problem erkannt“, sagt Aquea Lamptey, Projektleiterin von AEWTASS. Dabei werde übersehen, wie solche Darstellungen auf Schwarze Menschen in Österreich wirken können. „Schwarze Kinder sollten in ihrem Schulleben auch positive Beispiele und inspirierende Geschichten vom afrikanischen Kontinent kennenlernen, sich in einem anerkennenden Kontext wiederfinden und dadurch die Möglichkeit haben, ein starkes, wertschätzendes Selbstbild zu entwickeln “, betont Lamptey. Außerdem hätten alle Kinder ein Anrecht darauf, ein realistisches Bild von Afrika zu erhalten.
„Wir sind uns der angesprochenen Probleme bewusst“, sagt Gertrude Öllinger, Marketingverantwortliche für den Programmbereich Deutsch und Geisteswissenschaften des österreichischen Schulbuchverlags Veritas. Bücher des Verlags kommen in der Schulbuchanalyse sowohl als gute als auch als schlechte Beispiele vor. Mittlerweile bilde man Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu den Themen fort, auch mit AEWTASS habe bereits ein Austausch und zwei Workshops stattgefunden, sagt Öllinger. Erfreut sei man über die inhaltlichen Vorschläge der Studie, etwa Anregungen und Ideen für Recherchen zu vorkolonialen Schriftsystemen in Afrika oder zu Afrikanerinnen und Afrikanern im antikolonialen Widerstand und in Unabhängigkeitskämpfen. Allerdings weist Öllinger darauf hin, dass bereits verwendete Bücher aufgrund des aufwendigen Zulassungsverfahrens des Bildungsministeriums nicht kurzfristig geändert werden könnten.
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